Der lange (Kamm-)Weg von Tesserete auf den Gazzirola (2116 m) - "Nahrhafte" Tour über dem Val Colla


Publiziert von marmotta , 23. Januar 2012 um 02:01.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Sottoceneri
Tour Datum:21 Januar 2012
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo San Jorio-Monte Bar   I 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 1550 m
Strecke:Tesserete - Brughera - Monti di Roveredo - Pianone - Motto della Croce - Caval Drossa - Monte Bar - Piandanazzo - Cima Moncucco - Passo di Pozzaiolo - Pozzaiolo - Gazzirola - Pozzaiolo - Alpe Pietrarossa - Barchi di Colla - Scatian - Cozzo - Bogno
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Tesserete, stazione
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Colla, Paese

Flucht vor Winter, Sturm und Wolkengrau
 
Bei Nordwest(stau)-Wetterlagen, wie wir sie diesen Winter nun schon mehrmals erlebt haben, ist die Alpensüdseite immer eine gute Wahl. Meist ist man dann allerdings mit einem mehr oder weniger bissigen Nordföhn konfrontiert, zudem kommen für mich aufgrund der schon grenzwertig langen Anreise für einen Tagesausflug nur wenige Gipfelziele in Betracht. Eine gute und schnelle Anbindung des Ausgangsortes an einen der Intercity-Haltepunkte ist angesichts des eingeschränkten Zeitfensters unerlässlich. Der Gazzirola (2116 m), Eckpfeiler zwischen dem Val Colla (CH) und dem Val Cavargna (I), ist ein solches Gipfelziel, und nachdem ich vergangenes Jahr den höchsten Punkt nicht besucht hatte, weil ich -vom Passo di San Lucio herkommend- den markanteren Vorgipfel mit Gipfelkreuz für den Hauptgipfel hielt (click), war hier noch eine Rechnung offen.
 
Auf der Anreise konnte ich mir selbst am Gotthard-Südportal im noch grauen und tiefverschneiten Airolo nicht vorstellen, dass ich gleich in ein gleissendes Sonnenlicht, blauen Himmel und fast frühlingshafte Temperaturen eintauchen würde. Kurz vor dem Gotthard-Nordportal schneite es heftig und ich wurde gerade Zeuge eines gewaltigen Lawinenabgangs durch eine Runse in den Felswänden unweit der Bahnstrecke. Der Winter hat die Nord- und Zentralschweiz fester denn je im Griff, nicht so das Tessin: Im Sottoceneri lag bis am Vortag bis in höhere Lagen wenig bis gar kein Schnee. Zwar hat es nun auch dort über Nacht ein Schäumchen Neuschnee gegeben, dies hat aber kaum ausgereicht, den Boden flächendeckend und vor allem hoch mit Schnee zu bedecken. Schneeschuhe sind also momentan absolut entbehrlich, im Gegensatz zu Sonnenbrille und -creme!
 
Bereits in Lugano kann ich mein Gipfelziel als schneeweisse Kuppe über dem Val Colla ausmachen. Zweifel kommen auf, ob ich den Gazzirola unter diesen Umständen überhaupt innerhalb des mir vorgegebenen Zeitfensters würde erreichen können. Sollten es die Verhältnisse und/oder meine Verfassung nicht zulassen, gebe es aber immer noch die Option, die Kammwanderung nach Erreichen des Gipfels des Caval Drossa oder des Monte Bar abzubrechen und ins Val Colla abzusteigen.
 
Vom Stazione Nord in Lugano bringt mich die Buslinie 458 rasch nach Tesserete, von wo ich meine Tour um 10.30 Uhr starte. Zunächst den Wanderwegweisern und -markierungen folgend, erreiche ich den Beginn des langen Gratrückens, den der Gazzirola nach Westen bzw. Südwesten entsendet. Ich gehe die Sache gleich forsch an, wo immer ich im lichten Wald zwischen Brughera und Monti di Roveredo Abkürzungen sehe, nehme ich diese und erreiche so nach knapp 1,5 h die mit einem Gipfelkreuz geschmückte, aussichtsreiche Schulter des vorgenannten Gratrückens, den Motto della Croce (1393 m). Ausserhalb des schützenden Waldes und erst recht auf dem exponierten Kamm trifft mich die Kraft des Nordföhns mit voller Wucht. Für den Weiterweg lege ich daher Jacke, Mütze und Handschuhe an. Auf dem windexponierten Abschnitt über das Gipfelchen Caval Drossa (1632 m) ist der Boden nun auch stellenweise mit Schnee bedeckt. Vom Nordföhn hin- und hergerüttelt, torkle ich wie ein Betrunkener und muss -insbesondere in den jeweiligen Abstiegen- aufpassen, nicht auf einem unter der rutschigen Neuschneedecke versteckten Felsen auszurutschen oder zu stolpern. Ansonsten bietet der breite Bergkamm keinerlei Schwierigkeiten und wäre bei schneefreien, trockenen Verhältnissen auch gut mit Trailrunnern zu meistern.
 
Die Aussicht ist nach allen Seiten grandios, vor allem aber in die dunstige Ebene des Lago di Lugano, der weit unten in der Sonne glänzt.
 
Nach Überschreiten der Gipfelebene des Monte Bar (hier sehe ich zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag frische Fusspuren, die offensichtlich von der Capanna Monte Bar herkommen) ist dann der Spuk des Nordföhns urplötzlich vorbei. Nur noch ein laues Lüftchen weht mir um die Nase und es wird gleich so warm, dass ich mich meiner Winterbekleidung für den Rest der Tour entledigen kann.
 
Obwohl der Gazzirola auf dem Wanderwegweiser auf dem Monte Bar mit 2 h 30 min angeschrieben ist und es bereits nach 13.00 Uhr ist, wage ich den Weiterweg. 2 h 30 min darf ich natürlich nicht brauchen, da ich dann definitiv den anvisierten Bus im Val Colla vergessen könnte. Nun, sooo wahnsinnig weit sieht es nicht mehr aus, das ständige Auf und Ab kostet aber durch den rutschigen Neuschnee doppelt Kraft. Immer wieder blicke ich auf die Uhr und glaube erst nach Passieren des Passo die Pozzaiolo am Wegweiser P. 1692 daran, dass ich es bis zu der von mir gesetzten "dead line" um 14.30 Uhr bis auf den Gipfel des Gazzirola schaffe. Für die verbleibenden 425 Hm "durfte" ich also noch 25 min brauchen - das sollte für mich kein Problem sein! Ohne das am Wegweiser deponierte Gepäck steige ich zügig über die fast schneefreien Rippen der Südwestflanke auf und komme auch gut voran. Bis 200 m unterhalb des Gipfels plötzlich ein heftiger Krampf meinen linken Wadenmuskel durchzuckt. Autsch! Hatte ich meinen Muskeln nach 2 Monaten ohne richtige Bergtour vielleicht doch zu viel zugemutet? Oder vor lauter Nordföhn und Euphorie zu wenig getrunken und gegessen? Ich denke kurz daran, aufzugeben. Nein! Ich will nicht schon wieder den Hauptgipfel und höchsten Punkt des Gazzirolas knapp verpassen. Sonst wird das ja noch zum Trauma… ;-)
 
Ganz vorsichtig und nun deutlich langsamer bringe ich die letzten Meter bis zum Gipfel hinter mich und stehe um 14.35 Uhr ganz oben. Der Wind weht auch hier nur noch schwach, so dass ich die herrliche Aussicht in aller Ruhe geniessen kann.
 
Für den Abstieg ins Val Colla hatte ich 2 h einkalkuliert (man weiss ja nie), ich erreiche die Fahrstrasse zwischen Cozzo und Colla jedoch trotz mehrerer kleiner Pausen bereits nach 1,5 h. Die nächste Bushaltestelle wäre cff logo Colla, Paese oder cff logo Chiesa di Colla, da ich aber noch über eine halbe Stunde Zeit habe, schlendere ich gemütlich über das kleine Bergdörfchen Cozzo im Talschluss bis nach Bogno. Während der Busfahrt hinunter nach Tesserete werden die Berge zuhinterst im Val Colla von der untergehenden Sonne angestrahlt. Toll!
  

Tourengänger: marmotta


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