Sturm auf die Stöcke…


Publiziert von Tobi , 1. Dezember 2011 um 21:44.

Region: Welt » Schweiz » Schwyz
Tour Datum:29 November 2011
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Fronalpstock - Kette   CH-SZ 
Zeitbedarf: 8:30
Aufstieg: 2150 m
Abstieg: 2350 m
Strecke:22km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Morschach, Talstation
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Muotathal, Nuschlau

Der Gebirgszug des Fronalpstocks zwischen dem Muotatal und Riemenstaldner Tal hat neben einer spannenden Gratwanderung auch ganze zehn Gipfel mit der Endung „Stock“ - einige davon natürlich in dem in der Schweiz üblichen Diminutiv „Stöckli“ - im Angebot. Dazu gesellen sich vier weitere Erhebungen mit einem von diesem Schema abweichenden Namen. Eine steile Vorlage für eine ausgefüllte Spätherbst-Tagestour…
 
Als mich das Postauto kurz vor acht Uhr bei der Talstation in Morschach entlässt, empfängt mich die eisige Kälte einer klaren Nacht. Frierend ziehe ich deshalb zügig davon. Doch schon einige hundert Höhenmeter später fliessen schon wieder die Schweisstropfen. Der blau-weiss markierte Bergweg durch die Chälen zieht sich steil in die Höhe. Er bietet atemberaubende Tiefblicke: Weit unten schmiegt sich der Vierwaldstättersee um das Knie von Seelisberg. Der Weg ist bestens markiert, auf entsprechenden Karten eingetragen und hier schon reichlich dokumentiert. Beim Einstieg weisst ein verblasster Zettel darauf hin, dass der Pfad gesperrt sein soll. Die Gründe dafür bleiben mir unbekannt. Erst beim Ausstieg verrät ein frischer Hinweis, dass der Weg wegen der Wintersaison gesperrt ist. Aber ohne Schnee wohl auch keine Wintersaison…
 
Nach diesen knapp 1000 Höhenmetern im Schatten begrüsst mich oben die Sonne hinter milchigen Wolken. Zeit für den ersten Gipfel, den man fast geschenkt im Vorbeigehen mitnehmen kann: das Charenstöckli (1811m). Dieser flache Hügel kann auf beliebiger Route weglos bestiegen werden. Ebenso quer über die braune Weide erreiche ich den Fronalpstock (1921.1m). Wie erwartet ist das Restaurant verlassen, das Pistengaudi noch nicht eingeläutet.
 
Während es in der Hochsaison fast zu Staus auf dem folgenden beliebten Panoramaweg zum Chlingenstock kommt, ist dieser heute menschenleer. Diese Einsamkeit und Ruhe soll auch für den Rest des Tages so bleiben. Den Huser Stock (1832m) erklimme ich in direkter Linie von Südwesten her, ohne Umweg und Höhenverlust. Wildspuren führen durch die steile Grasflanke und schliesslich durch eine Grasrinne auf den Gipfel. Irgendwas zwischen T5 und T6.
 
Nun braucht es schon etwas Sturheit oder gar Verrücktheit, um nur des Gipfelsammelns Willen über 150 hart eroberte Höhenmeter zu verschenken, die unbedeutende Erhebung des Firenstöckli (1715m) zu erklimmen. Ich nehme es sportlich und sehe es als Training und kleiner Test für grössere Touren.
 
Etwas mehr als eine halbe Stunde später bin ich wieder zurück auf dem Grat. Weiter geht es auf dem für das breite Zielpublikum gut abgesicherten Gratweg. Der Rot Turm (1893m) wird überschritten. Beim Chlingenstock (1935m) laufe ich fast am Gipfelkreuz vorbei. Das wäre aber ein ärgerlicher Flüchtigkeitsfehler gewesen, wenn ich dort den höchsten Punkt der heutigen Tour verpasst hätte!
 
Ab nun wird es alpinistisch interessanter. Fast zu Interessant! Den nächsten Gipfel habe ich grob unterschätzt. „Den nehme ich locker im Vorbeigehen mit, ist ja nur ein kurzer Abstecher“. Ich dachte, dass jeder bisherige Gratwanderer dies so gemacht hätte. Doch das Chalberstöckli (1844m) ist bis dahin noch von keinem Hikr bestiegen worden. Nun weiss ich auch wieso. Bis zum Sattel südlich des Gipfelaufbaus ist es alpinistisch noch sehr spannend (ca. T5+), doch der brüchige Gipfelaufbau bereitet Kopfzerbrechen. Ich folge Wildspuren in die steile Westflanke, im Anmarsche habe ich dort eine Schwachstelle ausmachen können. Von Schutt bedeckter brüchiger Fels, hier fühlen sich wohl definitiv nur noch die Gemsen wohl. Zum Glück gibt es noch einige stabile Graspolstern und kleine Sträucher, mit Hilfe dieser schaffe ich es auf den Gipfel. Definitiv T6 im oberen Bereich, hier möchte ich nicht wieder runter.
 
Oben befindet man sich auf einem geräumigen grasigen Hügel. Von Norden her dürfte er wohl um einiges leichter zu besteigen sein. Ich wähle trotzdem nicht diese Route für den Abstieg, würde sie doch ein ziemlicher Höhenverlust bedeuten. Zudem scheinen die Wildspuren in der Ostflanke ziemlich solide zu sein. Auf den ersten Meter bestätigt sich diese Vermutung, auch wenn hier schon wieder eine T6 vergeben werden muss. Doch die Querung zurück zum Sattel südlich vor dem Gipfel wird wieder haarig. Der brüchige Fels muss zunächst vom losen Geröll befreit werden. Bei einer Wiederholung  würde ich wohl ein paar Höhenmeter mehr in Kauf nehmen und vom Einschnitt vor dem Gipfel weit nach Osten ausholen.
 
Der nächste Gratabschnitt zum Hengst (1890m) ist dann aber wieder alpinistischer Genuss pur, insbesondere weil die letzten Meter zum Gipfel über das Hengstmürli etwas ausgesetzt sind. Hier gönne ich mir eine kurze Mittagspause. Wohl auch, um meiner Frau einen zweideutigen „Gruss vom Hengst“ per SMS zu schicken. Diese Gelegenheit habe ich doch vor einer Woche auf der Schrattenfluh glatt verpasst.
 
Der Grat wird nun immer wilder, die Wegspuren spärlicher. Vom Lauchstock (1841m) wähle ich keinen der beiden im Führer beschriebenen Routen, sondern lasse mich von Wildspuren zu einem direkten Abstieg über die Südflanke verführen. Im oberen Teil etwas felsige Kletterei, in der Mitte sandige Wildspuren und als Abschluss noch ein paar Legföhren. Wohl ein moderates T6, schwierig dies im Abstieg richtig zu beurteilen.
 
Tritt für Tritt geht es dem Sisiger Spitz (1914.6m) entgegen, wo mich das erste Gipfelbuch des heutigen Tages erwartet. Nach dem Abstieg von diesem Spitz wird der Grat breiter und läuft sanft zum Driangel (1788m) hinüber. Doch kurz nach dem Gipfel bricht er jäh ab, so dass ich in der Flanke nach Nordosten zum Wanderweg absteigen muss. Dieser führt mich zum Wannentritt. Von diesem Übergang führen Pfadspuren mehr oder weniger dem Grat entlang zum Schwarz Stock / Napf (1662m). Der letzte Gipfel der eigentlichen Fronalpstock-Kette, aber noch lange nicht das Ende meiner heutigen Tour…
 
Auf dem gleichen Pfad geht es wieder zurück zum Sattel und auf dem Wanderweg ohne grossen Höhenverlust zu Pt 1620. Hier quere ich weglos über die Ebene des Laubgarten. Das Mälchstöckli (1767m) ist mein nächstes Ziel. Auf hikr.org noch ein unbeschriebenes Blatt. Wohl auch, weil es als tiefster Gipfel im Nordgrat des Sisiger Spitzs völlig unbedeutend ist. Aber es ist eben auch ein „Stöckli“. Eine von weitem sichtbare Grasrampe soll mich durch die felsige Ostwand bringen. Doch diese erweist sich als anspruchsvoller als erwartet. Der Hang wird steiler und das Gras immer länger. Wieder wird ein T6 erreicht. Oben erwartet mich zur grossen Überraschung eine kurzgeschorene Grasplangge, auf der ich ohne weitere Hindernisse zum höchsten Punkt aufsteigen kann. Für allfällige Freunde des wilden Abenteuers werfe ich einen scheuen Blick die Südkante herunter: mindestens eine brüchige III. Wer diesen Gipfel direkt von Süden auf dem Grat vom Sisiger Spitz her besteigen möchte, braucht Nerven.
 
Auf dem breiten Grasrücken nach Norden lässt es sich bequem absteigen. Ich orientiere mich an der Ostkante und quere an geeigneter Stelle hinüber zur Alp bei Pt 1595. Hier folge ich deutlichen Pfadspuren durchs Geröll und befinde mich so bald in der Westflanke des Planggstock (1761m). Das Gipfelkreuz erreiche ich weglos über diese steile Grasflanke.
 
Mein Abstieg von diesem letzten Stock und Gipfel des heutigen Tages ist ein gutes Lehrstück schlechter Vorbereitung. Da habe ich mir doch am Vorabend noch *diesen Bericht von MaeNi zu Gemüte geführt. Auf seinem Abstieg möchte ich wieder hinunter kommen. Aber beim Routenstudium hat wohl mein geographisches Vorstellungsvermögen versagt. Zudem habe ich fatalerweise  lechts mit rinks verwechselt. So wandere ich vom Gipfelkreuz wieder zurück nach Süden und steige frohen Mutes nach Osten (!) in das steile Grasband ab, welches sich quer durch die Nordostflanke zieht. Ich wundere mich noch, was MaeNi für ein tollkühner Hikr sein muss, dass er für eine solch ausgesetzte und steile Querung über dem bedrohlichen Felsabbruch nur eine T4+ vergibt. Zu meinem Glück kommt bald ein tiefer Einschnitt, welcher sich von der Scharte südlich des Gipfelkreuzes bis nach unten durch die Wand zieht. Eine Überquerung wäre definitiv im oberen T6-Bereich anzusiedeln. Da kann etwas nicht stimmen. Also wieder raus aus diesem ungemütlichen Gelände und rauf auf den Grat.
 
Nach dem Studium der Karte entschliesse ich mich nach Norden zu gehen und über diese Flanke abzusteigen. Dies entspricht, wie ich zu Hause feststellen durfte, auch genau der von MaeNi beschriebenen Route. Intuitiv folge ich nun dieser, hier stimmt nun auch seine Bewertung vollkommen. Der Einstieg zum Pfad, der durch den Wald Im Eigen führt, ist schwierig zu finden. Zum Glück hat jemand diesen Weg vor kurzem begangen, so sind noch Spuren im Laub zu entdecken. Wie MaeNi in seinem Bericht richtig vermerkt hat, ist der Pfad im mittleren Teil schwierig zu finden. Und wenn dies für einen Local gilt, dann erst recht für einen Auswärtigen. In diesem Abschnitt irre ich quer durch den Wald, von einer vermeintlichen Wegspur, die sich im Nichts auflöst, zur nächsten. Etliche Kratzer und etwa drei Dutzend unter den Kleidern gesammelten Tannennadeln später stehe ich endlich wieder auf dem richtigen Pfad. Die Fahrstrasse ist auf diesem schnell erreicht. Noch schneller bin ich bei der Haltestelle cff logo Muotathal, Nuschlau. Dies, weil ich noch einen kurzen Sprint hinlegen muss, um den Bus zu erwischen. Zwar fährt dieses (für mich) in die falsche Richtung, doch so erspare ich mir zwanzig Minuten Wartezeit in der Kälte und komme stattdessen während des viertelstündigen Boxenstopps in Muotathal in den Genuss eines Kaffees, einem Muotathaler Höllochchräpfli und einem halben Liter Rivella.
 
 
Fazit: Falls nun der (zumindest von einigen) lang ersehnte Schnee doch kommen sollte, wäre dies ein würdiger Abschluss der alpinen Wandersaison gewesen. Ein abwechslungsreicher Aufstieg auf den Fronalpstock, eine wilde Gratwanderung in völliger Einsamkeit und dazu noch drei Hikr-Erstbesteigungen, was will man mehr?
Vielleicht sich fürs nächste Mal besser vorbereiten und die Hikr-Berichte besser studieren…
 

Tourengänger: Tobi


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Kommentare (4)


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MaeNi hat gesagt:
Gesendet am 2. Dezember 2011 um 08:37
Holla die Waldfee! Das wäre wirklich verwegen gewesen, ein Abstieg über das besagte Band als T4+ zu bewerten! Aber über die Begehbarkeit dieses Bandes haben wir uns auch schon Gedanken gemacht..dürfte eine recht abschüssige Geschichte sein..

Wenigstens gab's nach dem Wäldelen im Eigen noch ein Höllochchräpfli..;-)

LG

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. Dezember 2011 um 11:44
Schwierig zu sagen, wie begehbar dieses Band ist. Wie auf eurem Foto zu sehen ist, gibt es zwei Einschnitte. Den Oberen durfte ich aus der Nähe bestaunen. Diese Überquerung wäre äusserst brüchig und heikel, wohl ein T6. Beim unteren Einschnitt dürfte es eher eine Schwachstelle geben. Allgemein ist das Band ziemlich steil und ausgesetzt, das lange Gras macht es auch nicht gerade einfacher. Bei Trockenheit könnte man vielleicht mal einen Aufstiegsversuch wagen...

Weiterhin tolle Touren, Gruss Tobi

Gelöschter Kommentar

Tobi hat gesagt: RE:Unglaubliche Tour
Gesendet am 3. Dezember 2011 um 11:48
So langsam dürfte auch von mir aus schlechtes Wetter kommen. Dann könnte ich ruhigen Gewissens meinem Körper etwas Ruhe und Erhohlung gönnen. Schliesslich muss er nächstes Jahr wie Höchstleistungen vollbringen...

Trotzdem hoffentlich bis bald wieder mal auf einer gemeinsamen Tour, Gruss Tobi


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