Nervenkitzel am Wissgandstock (2404m)


Publiziert von Bergamotte , 20. Oktober 2011 um 14:38.

Region: Welt » Schweiz » Glarus
Tour Datum:18 Oktober 2011
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   Glärnischgruppe 
Zeitbedarf: 8:30
Aufstieg: 1875 m
Abstieg: 1875 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Luchsingen-Hätzingen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Luchsingen-Hätzingen
Unterkunftmöglichkeiten:Alp Bösbächi
Kartennummer:1173 (Linthal) - R. 240 & 241

Selten bestiegen, abgelegen, falsch kartographiert, eingebettet in eine rauhe Welt aus Fels, Schnee und Eis inmitten des Glärnisch - einem Faszinosum gleich verfolgt mich der Wissgandstock seit Wochen. Gerade noch rechtzeitig vor den neusten Schneefällen packe ich die Gelegenheit, um dem Mysterium im Rahmen einer grossen Saisonabschluss-Tour auf den Grund zu gehen.

Bei meinem Start in Luchsingen (572m) ist mir durchaus bewusst, dass ein Abbruch kurz vor dem Ziel ein nicht unwahrscheinliches Szenario darstellt. Denn der lange Kessel vor der Zeinenfurggel erhält wenig Sonne und es ist mit erheblichem Restschnee zu rechnen - ganz zu schweigen von der schattigen Nordwand, die es zu erklettern gilt. Doch immerhin stünde mit dem First ein kleines Trostpflästerli bereit.

Der markierte und signalisierte Waldweg führt mich zügig in die Höhe, zunächst Richtung Brunnenberg. Wer's gemütlicher mag, könnte die gleichnamige LSB benutzen (aber nicht mehr um diese Jahreszeit). Kurz vor Brunnenberg ziehe ich westwärts und erreiche in einem weiten Bogen auf einer Forststrasse Bösbächi Mittler Staffel (1383m). Vor mir öffnet sich das Bächital, umgeben von einem eindrücklichen Gebirgskranz: Eggstöche, Bös Fulen, Bösbächistock, Wissgandstock, First.

Ein blauer-weisser Pfad führt unschwierig durch die felsigen Grasplanggen von Vorder Chamm (T3). Inbesondere zu Beginn ist er so schwach ausgeprägt, dass ich ihn vorübergehend verliere. Weiter oben sorgt der zunehmende Schnee für kleinere Verlaufer. Auf der LK fehlen zudem die kleinen Hütten. Aber ob nun auf dem Weg oder in der Direttissima, verirren wird man sich kaum. Unterhalb des First-Grats traversiert der Weg schliesslich zu den Schwiböden, dem Übergang in den Kessel zwischen Bächistock, Zeinenfurggel und Wissgandstock.

Auf einen Schlag befinde ich mich in einer einsamen Welt aus Fels, Schnee und Eis. Der Weg und die Markierungen sind unter den Schneemengen nicht auszumachen. So kämpfe ich mich im Süden des Kessels den wenigen aperen und schattigen Stellen nach Richtung Zeinenfurggel. Schneeschuhe wären kein Luxus gewesen, ohne Gamaschen hätt ich's bleiben lassen. Und da steht sie plötzlich, die Nordwand des Wissgandstock, den die Kartographen in Wabern fälschlicherweise in Vorderchammstock umbenannt haben.

Die Wand ist steil (ca. 50-70°) und beträchtlich eingeschneit, doch sie sieht machbar aus. Zunächst halte ich mich an die Schneebänder. Der Schnee ist zu griesig, um den Pickel wie beim Eisklettern einzusetzen. So heisst es, ihn bis zum Schaft in den Schnee zu rammen und zu verkeilen. Dann Fusstritte schlagen und weiter geht's. Steigeisen wären wohl nicht verkehrt gewesen. Weiter oben benutze ich auch den freiliegenden Fels, wo er nicht vereist ist. Am angenehmsten sind die Übergänge zwischen Schnee und Fels, wo sich meist eine Rinne bildet, die Sicherheit bietet. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich den Gipfelgrat etwas links der mittigen Senke. In wenigen Minuten kraxle ich - alles direkt auf dem Grat (T5) - auf den Hauptgipfel des Wissgandstock (2404m).

Die nervliche Anspannung weicht einem unglaublichen Glücksgefühl. Ich bin umgeben von mächtigen Riesen wie Bösbächistock, Rad, Bächistock, Vreneli - und all dies hab ich für mich alleine. Die Freude etwas dämpft die Aussicht auf den bevorstehenden Abstieg über die gleiche Route. Hierbei halte ich mich vorwiegend an die Schneefelder, denn von oben sind Eis und lockere Steine im Fels kaum einsehbar. Aufgrund der Steilheit kann ich fast nur rückwärts absteigen, so dass ich für 150Hm ganze 75 Minuten benötige. Die Konzentration während dieser Zeit auf höchstem Niveau zu halten, ist vor allem gegen Schluss nicht einfach.

Der Rückweg zu den Schwiböden im aufgeweichten Schnee erfolgt fast wie von selbst. Nach der Traverse erkraxle ich noch kurz die 50Hm zu den Grashügeln des First (1997m) - auf Hikr ein fehlender Wegpunkt in der Glärnischgruppe (R. 240, T3). Zurück im Bächital belohn ich mich in der Beiz mit Wurst und Käse zum Mitnehmen, um anschliessend beschwingt ins Tal zu sausen.

Luchsingen - Wissgandstock  5:00
Wissgandstock - First - Luchsingen  3:30

Fazit: Die Besteigung des Wissgandstock bildet vermutlich den Höhepunkt der Sommersaison 2011. Der vergessene Gipfel belohnt mit Nervenkitzel, Einsamkeit und einem fantastischen Panorama in die Welt des Glärnisch. Was meine "Free Solo"-Touren anbelangt, hab ich hier aber meine Grenzen für den Moment ausgelotet.
 

Tourengänger: Bergamotte


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Kommentare (2)


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PStraub hat gesagt: Endlich wieder mal einer ..
Gesendet am 20. Oktober 2011 um 16:49
Gratulation zu dieser Tour!
Schade, dass du soviel Schnee in den Flanken hattest. Wie auf einigen Fotos sichtbar, ist das nämlich wirklich guter Kletter-Fels (Malm / Quintnerkalk) und entsprechend gut zu begehen.

Bergamotte hat gesagt: RE:Endlich wieder mal einer ..
Gesendet am 20. Oktober 2011 um 16:56
Danke. Ein Grund mehr, diesen schönen Berg mal wieder zu besuchen, dann vielleicht auf einer anderen Route, Du hast ja zahlreiche beschrieben. Und landschaftlich ist der Mix aus Schnee und Fels natürlich äusserst reizvoll.


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