Wendenhorn SE-Grat


Publiziert von Scout , 12. Oktober 2011 um 17:51.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:20 August 2011
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: V (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE   CH-UR 
Zeitbedarf: 11:45
Aufstieg: 930 m
Abstieg: 930 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit Auto oder ÖV (wenige Postautos pro Tag) bis Chli Sustli. Von dort Hüttenweg (Wegweiser) zur Sustlihütte.
Unterkunftmöglichkeiten:Sustlihütte
Kartennummer:1211 Meiental

Vorwort
Nachdem ich nun schon einige Male von Infos in den Tourenberichte hier auf hikr profitiert habe, ist es wohl an der Zeit, auch selbst mal etwas beizutragen.
 
Vorspann
Mitte Juli 2010 haben wir anlässlich unserer allerersten gemeinsamen Tour auf einer Hütte ein Kalender-Bild gesehen und waren beide auf den ersten Blick begeistert. „Wendenhorn“, mehr konnten wir der Legende nicht entnehmen. Die Recherche führte zum SE-Grat des Wendenhorns im SAC-Führer Urner Alpen 3.
Bewertet mit 2-3, Vorbau 4-5. Spätestens jetzt war klar: da wollen wir hin!
 
Vorgeplänkel
Anfang August 2010 sind wir trotz vorhergehender Schlechtwetterphase auf  die Sustlihütte. Der Hüttenwart hat uns wegen den aktuellen ca. 20cm Neuschnee DRINGEND von einer Begehung abgeraten. Zum Glück, muss ich heute sagen… Der Normalweg auf den Grassen war dann gerade richtig.
 
Vorstellung
Beim zweiten Versuch stehen die Vorzeichen viel besser. Wir sind dieses Mal zu viert: Barbara und ich haben mit Vroni und Martin zwei starke Verbündete zur Seite. Ausserdem passen Wetter (heiss, ev. Gewitter am Abend) und Bedingungen (nach nächtlichem Gewitter sind nur noch die Graspolster etwas feucht) perfekt.
 
Vorspiel
Angereist sind wir schon am Freitag Abend. Die Sustlihütte mit ihrem kurzen Zustieg bietet sich dafür geradezu ideal an. Ausserdem standen mit Wendenhorn und Grassen-Südwand dieses Wochenende ja auch zwei Touren auf der Wunschliste.
Los ging’s um 6h, mit der Morgendämmerung. Es ist so warm, dass ich im T-Shirt vor der Hütte stehen kann, ohne zu frösteln…
Zustieg wie im „Urner Alpen 3“ beschrieben zuerst auf dem blau/weissen Weg Richtung Guferjoch bis zur Stöss. Hier sind wir relativ weit dem Weg gefolgt und dann (ca. beim “ö“ auf der Karte) über steile Grassflanken aufgestiegen. Einfacher und angenehmer währe es, den Weg früher (kurz nach der Brücke) zu verlassen und den blauen Markierungen zu folgen, welche schräg rechts aufwärts bis ins lose Blockgelände kurz vor dem Einstieg zum Vorbau führen.
 
Vorbau
Auf dem Photo im Urner Alpen 3 sowie auf den aktuellsten Karten schliesst der Chli Sustlifirn den Vorbau noch links und rechts ein. Dies ist unterdessen nicht mehr so: man gelangt trockenen Fusses zum Einstieg etwas links oberhalb des tiefsten Punktes.
Der erste Haken (BH) ist vom Einstieg aus sichtbar. Die Route führt in vier SL (1. + 3. lang, 2. und 4. kürzer) eher rechts haltend aufwärts auf das Geröllband. Die Bewertung geht mit 4-5 in Ordnung:
Kari Salder (Hüttenwart Sustlihütte) hat „V- oder V“ vorgeschlagen, ich hätte 5a dazu gesagt.
Die Standplätze sind mit 2BH ausgerüstet. Zwischensicherungen gibt’s auch, übersichert ist aber nicht. Selber legen kann man da und dort, beliebig viele gute Möglichkeiten sind aber nicht vorhanden.
Vroni und Martin steigen (mit Bergschuhen) als erste, wir (mit Kletterfinken) als zweite Seilschaft ein.
So ist das Tempo der beiden Seilschaften auch gut ausgeglichen.
 
Vor dem eigentlichen Grat…
…bietet sich das Geröllband für eine kurze Rast an. An diesen Punkt (rechtes Ende des Bandes) gelangt man gemäss Führer auch, wenn man den Vorbau in einer Linksschleife umgeht.
Diese Variante ist meiner Meinung nach weniger lohnen und bietet sich vor allem dann an, wenn man auch oben am Grat alle Schwierigkeiten umgehen will. Dann ist das Wendenhorn wohl tatsächlich im 3ten Grad „zu haben“…

Vor allem deshalb sind wir hier:
Am rechten Ende des Geröllbandes beginnt der eigentliche SE-Grat.
Kari ist daran, die Route neu mit Standplätzen und ca. 2-3 BH pro SL auszugerüstet.
Der erste Haken (BH) ist auch hier wieder so gesetzt, dass er gut sichtbar ist.
Zur Zeit (Mitte Aug. 2011) sind ca. die unteren 2/3 des Grats saniert. Oben bleibt die Wegfindung vorerst weiterhin der Kreativität der BegeherInnen überlassen. Aber auch auf dem gebohrten Abschnitt darf der Orientierungssinn nicht ganz ausgeschaltet werden: Die Abstände sind gross und das Gelände vielfältig strukturiert, Varianten fast beliebig möglich. Es ist immer noch eindeutig „Alpine Klettertour“ und nicht „Plaisir-MSL“…
Die neu gebohrte Route folgt nicht unbedingt immer der Beschreibung im „Urner Alpen 3“ sondern eher den lohnenden, festen Abschnitten direkter der Kante entlang. Entsprechend ist’s jetzt (gem. Kari) IV+ anstatt 2-3.
Im mittleren Teil haben wir einen auffälligen, scheinbar schwierigen Turm links umgangen, da wir laut unserem Zeitplan eigentlich schon auf dem Gipfel hätten sein sollen… Vroni und Martin sind über den Turm: viel mehr als IV+ soll’s tatsächlich nicht gewesen sein. Die Umgehung erfolgt zuerst in der brüchigen / schuttigen Rinne. So bald wie möglich auf die linke Begrenzung wechseln: dort ist der Fels viel besser und bietet nette Kletterei im 3.Grad.
Einen weitere Turm kurz vor der Scharte wo das Abstiegsband beginnt, haben wir dann direkt überklettert: luftig, lohnend, schön und mit höchsten IV leichter als zuerst gedacht. Sicher deutlich angenehmer als die ebenfalls möglich Umgehung rechts herum in losem, groben Blockwerk.
Unmittelbar vor dem Gipfel folgt noch eine unangenehme Stelle der klassischen Sorte:
Die Ausstiegsrinne wird durch einen grossen, überhängenden Block versperrt. Eine alte, vermoderte Bandschlinge zerstreut allfällige Zweifel, ob’s WIRKLICH da drüber geht. Die Stelle kann kaum vernünftig zusätzlich abgesichert werden und machte auf den ersten Blick einen ziemlich ernsten Eindruck. Es hat aber ausreichend Griffe und Tritte, so dass es letztendlich wirklich „nur“ unangenehm ist.
 
Auf dem Gipfel haben wir uns endlich eine Pause gegönnt, etwas gegessen und getrunken. Es war unterdessen bereits ca. 14h, nach unserem optimistischten Zeitplan hätten wir schon fast wieder in der Hütte sein können…
Reichen mir sonst 1.5 ltr. Wasser oder Tee problemlos auch für lange Touren, so musste ich mich jetzt extrem beherrschen, nicht den ganzen verbleibenden Flascheninhalt auf’s Mal aus zu trinken.
 
Vorbei…
ist eine Tour bekanntlich erst, wenn man wieder im Tal ist:
Vom Gipfel wenig in eine Rinne absteigen und an „goldenem Karabiner“ ca. 20m Abseilen.
Von dort bis zur Scharte recht heikel durch das Couloir bis zur Scharte absteigen (ca.T6, II, viel loses Material). Der nächste Abseilstand befindet sich auf einem Band etwas unter der Scharte: Nicht an den gut sichtbaren alten Schlingen abseilen: auf dem Band ca. 2m unterhalb hat’s einen neuen Stand mit 2BH + Kette! Weiter schräg nach links haltend über Geröll und ein paar Felsstufen absteigen, z.T. sind Wegspuren und Steinmänner vorhanden (ca. T4 -T5). In diesem Bereich ist noch mindestens ein neuer Stand vorhanden. Wir haben hier aber den problemlosen Fussabstieg dem Abseilen vorgezogen: im brüchig / losen Gelände wäre Steinschlag beim Seilabziehen vorprogrammiert.
Am Schluss noch mal ca. 10m von neuem Stand (2BH + Kette) auf den Gletscher abseilen.
  
Der Gletscher war bis auf den obersten Teil aper und mit vielen, z.T. grossen Spalten durchzogen. Grossen Dank an Martin, der uns mit seinem Spürsinn schnell und sicher durch das Labyrinth geführt hat! Man könnte hier auch viel Zeit verlieren.
Vom Ende des Gletschers zum tiefsten Punkt des Vorbaus und von dort links halten zum Beginn der blauen Markierungen. Diesen und dem blau/weiss markierten Wanderweg folgend zurück zur Hütte, wie beim Zustieg.
Nach 11 3/4h waren wir zurück bei der Hütte. Die verbleibenden 45min. bis zum Z’Nacht nutzen wir,
um nasse Steigeisen, verschwitze Kleider und uns selbst in die Sonne zu legen. Auch das Flüssigkeitsdefizit konnte schon mal um knapp 1.5 ltr. verkleinert werden…

Vorbehalt
Der Wendenhorn SE-Grat ist eine schöne, lange Klettertour in meistens gutem bis sehr gutem Fels.
Man sollte aber: genug Zeit einplanen, den geforderten Grad sicher beherrschen, nicht das erste Mal mit Keilen und Friends hantieren, keine Angst vor alpinen Abstiegen haben und auch mit einem spaltenreichen Gletscher zurecht kommen.
 
Auf eine Bewertung auf der Hochtouren-Skala verzichte ich: aufgrund der Schwierigkeiten im Fels käme da wohl ca. ein S+ dabei heraus. Die Haupt-Schwierigkeiten am Wendenhorn sind Kletter-, nicht Hochtouren-Schwierigkeiten.
Ich schlage deshalb folgendes vor:
Zustieg: T4, Vorbau: V-/V (oder 5a), Grat: IV+, Abstieg bis auf den Gletscher: T6,II, Gletscher: je nach Verhältnissen WS- bis ZS.
Die im Führer angegebene Zeit bezieht sich wohl auf eine Begehung mit Umgehung des Vorbaus und aller Schwierigkeiten im oberen Teil: wir brauchten anstatt 4.5 fast 8h von der Hütte zum Gipfel.
Verhauer hatten wir keine, Pause gab’s 1 x 10min. und geklettert sind wir durchaus flüssig.
Aber 1.5h Zustieg und fast 20SL häufig im 4ten, stellenweise auch 5ten Grad brauchten einfach ein wenig Zeit…
 
Vorbereiten…
Nicht nur Kletterkönnen und Kondition müssen stimmen: Auch die Ausrüstung sollte passen.
Deshalb hier ein paar Tipps:
Steigeisen und Pickel: im Frühsommer geht’s vielleicht auch ohne. Ist der Gletscher aber blank, sitzt man ohne in der Falle…
Seil: wir hatten pro Seilschaft je 1x50m. Mit 40m reicht’s wohl da und dort nicht bis zum Stand.
Schuhe: Wer mit den Bergschuhen 5er sicher vorsteigt, kann die Kletterfinken zuhause lassen und spart sich beim Klettern dann das Gewicht der „Klötze“ im Rucksack.
Schlosserei: Ein kompletter Satz Keile und einige Friends müssen mit. Ich hatte 6 Stk. dabei, das empfand ich als sehr komfortabel. Es ginge auch mit etwas weniger.  Die ganz Grossen braucht’s nicht und die Kleinsten kann man meistens genau so gut durch Klemmkeile ersetzen. Lieber im Bereich F1 bis F3 gut versorgt.
Textiles: Zwei kurze und zwei lange Schlingen, brauchbare Zacken hat's recht häufig.
 
Vorbildlich
Lob und Dank an Kari, Agi und den Rest des Hüttenteams:
Gastfreundschaft und Küche auf der Sustlihütte verdienen 5 von 5 möglichen Sternen.
Hier würde man bestimmt auch ein unerwartet verregnetes Wochenende ohne Depression überstehen!


Tourengänger: Scout


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Kommentare (4)


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simba hat gesagt: Gratulation!!!
Gesendet am 12. Oktober 2011 um 19:53
Tolle Tour und fantastische Beschreibung....
Der Grat steht auch auf meiner Projekte-Liste von daher herzlichen Dank für die unglaublich umfassenden Infos!

Scout hat gesagt: RE:Gratulation!!!
Gesendet am 12. Oktober 2011 um 21:03
Vielen Dank für die Blumen.
Ich wünsch Dir schon mal viel Freude im Voraus. Für mich war's ein Höhepunkt im sonst eher durchzogenen Sommer 2011.

Alpin_Rise hat gesagt: Merci!
Gesendet am 13. Oktober 2011 um 19:52
Schön, gleich eine detaillierte Beschreibung von einem der nächsten Projekte zu lesen!
Nachdem diese Saison ein halbes Dutzend Granitgrate ganz flüssig gingen, sollte ich auch an diesem nächstes Jahr meine Freude haben!
G, Rise

Scout hat gesagt: RE:Merci!
Gesendet am 16. Oktober 2011 um 21:21
Hallo Alpine_Rise
ja, nach allem, was ich von Dir schon gelesen habe, dürfte das für Dich auch eine Tour sein, die Dir viel Freude machen wir.
Gruss
Urs


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