Hinterer Brochkogel 3628m über Brochkogeljoch und Alternativabstieg


Publiziert von alpensucht , 11. Oktober 2011 um 02:31.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum: 4 Oktober 2011
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 13:00
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Vernagthütte-Großer Vernagtferner-Brochkogeljoch-Brochkogel Westgrat-Hinterer Brochkogel-Brochkogel Südgrat-Vernagtjoch-Großer Vernagtferner-Vernagthütte ca.11km
Unterkunftmöglichkeiten:Vernagthütte

Nachdem gestern Abend noch zwei weitere von unseren Bergkameraden zur Vernagthütte kamen, überlegen wir nun in zwei Seilschaften zu gehen. Doch am heutigen morgen ist unser Neuling Heiko leider krank, hat schlecht geschlafen und geht nicht mit. Und zu unserer Bestürzung muss unser Erfahrenste im Fels absteigen, weil er in der Nacht starke Schmerzen im Hüftbereich verspürt. So bildet sich unserer heutige Seilschaft nur aus fünf Männern.

 

8Uhr sind wir alle startbereit und müssen zuerst über ein Stunde über eine alte Seitenmoräne, noch gefrorene Gletscherabflüsse und Geröllgelände hinüber zum Vernagtferner (T3+). Der Weg bis dahin ist meist gut markiert, wobei in Dunkelheit oder Nebel die Orientierung nicht einfach sein kann.

 

Da wir über das Brochkogeljoch aufsteigen wollen, gilt es, bevor wir die Route über den Gletscher festlegen, den Einstieg auszumachen. Die auf der AV-Karte eingezeichnete Route über den Gletscher zum Joch finden wir nicht. Doch zunächst ist das Eis weitgehend aper und flach. Am ersten „Eisbuckel“ seilen wir an und legen die Steigeisen an. Es ist eine seltsame zerschrundene Eis- und Schneekruste auf dem blanken Eis. Je höher wir steigen, desto mehr erkennt man, dass noch der Neuschnee der letzten Wochen auf diesem eher südwestlich abfließenden Teil des Gletschers liegt. Um den S-Sporn der Petersenspitze südöstlich herum gehend, passieren wir kurz vor dem Einstieg ins Joch einige Markierungsstangen für die Meteorologen und Glaziologen, wobei wir uns viel weiter östlich halten, als die Route auf der Karte eingezeichnet ist, weil wir zu lang auf das Vernagtjoch zu streben, von dem wir wieder absteigen wollen (L, aber erhebliche Spaltengefahr).

 

Aufs Joch hinauf geht’s ohne Steigeisen leichter als gedacht, aber steil über Geröll und ein steiles Firnfeld (im Spätsommer nach längeren Trockenzeiten sicherlich verschwunden) zum Schluss hinauf (T4).

 

Oben am Joch genießen wir zur verdienten Mittagspause den nach längerer Zeit im Flachland immer wieder neu atemberaubenden Blick auf den Kreuz- und Hauptkamm der Ötztaler, sowie die Ortlergruppe und den Kaunergrat. Auch der schön überfirnte Taschachferner ist eine Augenweide, scheint doch hier oben in nördlicher Exposition die Welt des Gletschers noch in Ordnung!

Ein Teil von uns würde gern den Westgrat des Hinteren Brochkogels machen, der von hier aus in kombiniertem Gelände hinauf zieht (Fels II, sehr steile Firntraversen, ausgesetzt). Da wir aber in dieser Zusammensetzung in der Seilschaft zum ersten Mal gemeinsam unterwegs sind und einer von uns auf keinen Fall über den Westgrat wollte (er hat Frau und Kinder, d.h. weniger Risikobereitschaft), entschließen wir uns für den Normalweg hinauf.

 

So führt die Route nun nahe an der Nordwestwand, dem Nordgrat und der Nordostwand des HB vorbei zum Mitterkarjoch. Man läuft quasi 180° um den Berggipfel herum.

Endlich kommt auch die Wildspitze in ganzer Pracht (Nordgipfel, Verbindungsgrat und Südgipfel mit Kreuz) ins Blickfeld.

Die Spur vom Brochkogeljoch zum „Einstieg“ in den Normalweg am Mitterkarjoch (westlich) legen wir im letzten Teil selber. Nun gilt es, eine etwa 45° steile, aber gut gespurte Firnflanke zu traversieren. Schräg hinauf gelangt man danach auf den Grat, der zu Beginn noch sehr breit ist. Doch schon nach wenigen Metern über Firn und Fels im Gehgelände müssen wir wenigstens etwas zupacken. Den Grat begehen wir natürlich unangeseilt.

Die teils etwas ausgesetzten Stellen im I. Grad wechseln mit Gehgelände ab, wobei in jenem meist die Hände nur für das Gleichgewicht nötig sind. Zum Schluss betreten wir die wieder breite Firnkappe des Gipfels.

 

14:30Uhr. Welch ein Gipfel an welch einem Tag.

 

Das schöne am Panorama ist hier auch, dass eine weitere Hauptattraktion direkt nebenan steht, die Wildspitze neben den vielen anderen großen Namen. Logischerweise gelten eben die Berge als besonders, die auch von sehr weit weg im Panorama aus mehreren Perspektiven klar ins Auge stechen.

Doch nun zum weitaus schwierigeren Teil der Unternehmung, der Abstieg über den Südgrat. Unser geschicktester Felskletterer Jonas steigt lustig, locker aber voll konzentriert voran und erreicht den Einstieg unten, als ich gerade erst die Hälfte geschafft habe…

 

Einer von uns muss sogar an der ersten heiklen Stelle gesichert werden. Der Grat erfordert höchste Konzentration, erst recht wenn er unbekannt ist und abgeklettert wird (gewöhnlich wählt man den Aufstieg schwieriger als den Abstieg). Der Fels ist auch direkt am Grat sehr brüchig und zu beiden Seiten befinden sich sehr steile Schuttrinnen mit lockerem Geröll. Ich bin abwechselnd direkt auf dem Grat geklettert oder in eine der Rinnen ausgewichen (T6-). Doch im letzten Drittel des Grats habe ich mich an dessen Schwierigkeiten gewöhnt und gehe mit Absicht zu Übungszwecken direkt auf die Gratfelsen, die hier nun weitaus weniger brüchig sind. Nach einigen wirklich interessanten Abkletterpassagen (bis III-, kann auch umgangen werden) gelange ich an das Joch und freue mich fast ebenso wie am Gipfel, es geschafft zu haben.

Beim Zurückblicken in die Rinnen, werde ich froh, dass Jonas den anderen „zu Hilfe“ geeilt ist, denn sie befinden sich noch sehr weit oben. Von hier sieht die Rinne östlich vom Grat noch furchterregender aus als von oben!

 

Nach über zwei Stunden vom Gipfel aus kommen die letzten beiden am Joch an. Im Vernagtjoch führen Spuren hinab zum Mitterkarferner (Breslauer Hütte). Das war ein Bergsteiger, den wir im Aufstieg auf unseren heutigen Gipfel trafen.

Nun beeilen wir uns vom Gletscher hinab zu kommen.

In aller Eile erleben wir noch einen Verhauer, der uns zwischen einen steil abfallenden Gletscherbruch und einen Felsaufbau führt, der das östlichste Becken des Kleinen Vernagtferners unter dem Vorderen Brochkogel westlich umrandet. So müssen wir noch einmal hinauf einen blanken Steilaufschwung, gesichert mit einer Eisschraube, wegen der vielen Spalten.

Weiter östlich finden wir bei untergehender Sonne zum Glück gute Brücken über die gefährlichen Spalten.

Als die Sonne hinter Fluchtkogel und Kesselwandspitze verschwindet, gelangen wir im Eilmarsch schnell hinunter vom Kleinen Vernagtferner, seilen bei Erreichen der ersten Moräne aus und müssen nun im Halbdunkel den „Weg“ durch das Moränengelände finden.

 

Zuerst müssen wir noch einmal über etwas Eis steigen und kommen dabei an einem Schneemobil vorbei. Durch das Geröll finden wir nur mal kurz auf den markierten Pfad zurück, verlieren aber die Spur schnell wieder.

 

Im Schein der Stirnlampe sehen wir zwar das Gelände einige Meter vor uns, doch durch den zunehmenden Mond, der hell scheint, können wir das Gelände weiter ringsum erkennen. So fällt uns die Orientierung leichter. Dennoch ist es sehr mühsam, weglos durch das Geröll zu steigen (T4). Nachdem wir diagonal eine steile Geröllflanke fast eine halbe Stunde hinauf gestiegen sind, erreichen wir den Weg kurz vor der Vernagthütte. 21:00 Uhr.

Die anderen drei weit hinter uns scheinen den richtigen Weg gefunden zu haben und kommen eine halbe Stunde später an.
Morgen gehen wir hinüber zur Breslauer und unternehmen auf dem Weg eine weitere Hikr-Erstbegehung: Vorderer Brochkogel via Südgrat!!

 

Diese Hikr-Erstbegehung soll als Hilfe für diejenigen dienen, die auch den Hinteren Brochkogel von der Vernagthütte aus besteigen wollen. Die Abstiegsvariante ist nicht empfehlenswert, stellte jedoch für uns eine gute Übung dar. Immer wieder, besonders auch wegen dem Abschmelzen der Gletscher, werden wir mit lockerem, brüchigem Gestein zu tun bekommen. Steile Schuttrinnen sind generell abwärts besser zu begehen, weil man einen beträchtlichen Teil abrutschen kann. Klar, dass dabei immer nur einzeln in den Passagen abgestiegen werden kann!

 

Der Hintere Brochkogel gilt als Topziel neben der Wildspitze und bietet einen schönen Einblick über deren Normalweg und den Nordwest- sowie den Verbindungsgrat vom Nord- zum Südgipfel. Aufgrund der konditionellen Ansprüche, der steilen Firnflanke zum Grat hinauf und des anspruchsvollen Abstiegs (Orientierung, Routenfindung, Verhauer…), bewerte ich unsere Tour mit WS+. Insgesamt ist die Route über das Brochkogeljoch lohnend, überraschend einfach und natürlich wesentlich länger als über das Mitterkarjoch von der Breslauer.


Tourengänger: alpensucht


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