Schusterlahn, Neugjaidkarscharte, Schusterplatte (2957 m)


Publiziert von gero , 8. Oktober 2011 um 13:24.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum: 6 Oktober 2011
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 9:30
Aufstieg: 1685 m
Abstieg: 1685 m
Strecke:P Antoninsstein - Dreischusterhütte - Schusterlahn - Neugjaidscharte - Schusterplatte - Abstieg über Normalweg (16,6 km)
Kartennummer:Freytag & Berndt WKS 3 (Pustertal, Bruneck, Drei Zinnen)

Eigentlich ein Geheimtip und als solcher vielleicht nicht unbedingt zu verraten - die fast 1000 m hohe Geröllreiße der Schusterlahn wird jedoch die Anzahl der Begeher in Grenzen halten, und deshalb möchte ich Euch einladen, mir in eine urgewaltige Landschaft der Dreischustergruppe zu folgen, wo es nicht jeden hinverschlägt.

Hinsichtlich der Zufahrt zum Parkplatz Innerfeldtal siehe meine Beschreibung hier: *Hochebenkofel (Cima Piatta Alta, 2905m) - Birkenkofel (Croda dei Baranci, 2922m)) .

Teil 1: Aufstieg zur Neugjaidkarscharte

Vom Antoninsstein (1500 m), geht es wieder einmal die (für den öffentlichen Verkehr gesperrte) Zufahrsstraße in ca. 30 Minuten zur Dreischusterhütte (1626 m) hinauf. Das Abenteuer beginnt hier mit der Suche des Steiges hinauf zur Schusterlahn (die auch als Lahner Riebeln bezeichnet wird): er beginnt unmittel neben der Hütte, an deren nördlichem Ende neben der Flagge des AVS.

Der deutliche Steig zieht in etlichen Kehren durch das Latschenfeld oberhalb der Hütte und erreicht den gewaltigen Schuttstrom, der sich aus der Schusterlahn bis in den Talboden hinunterzieht, etwa in halber Höhe (Steinmanderl). Nun folge ich den Steigspuren, die steil und anstrengend aufwärts führen und sozusagen die Schusterlahn "erschließen".

!!! Es ist sehr wichtig, daß man das riesige Geröllfeld von Anfang an immer ganz rechts (orographisch links) begeht - hier sind erstaunlicherweise immer Steigspuren vorhanden, die gelegentlich sogar als Steig bezeichnet werden können. Auf diese Weise ist die Schusterlahn "relativ" bequem zu begehen - viel besser als der Köhlenbrenngraben gegenüber am Haunold !!!

Gut eine Stunde nach Abmarsch vom Parkplatz habe ich die Stelle erreicht, wo die Schusterlahn nach Süden abbiegt und von jetzt an durch die Westflanke der Dreischusterspitze hinaufzieht zur Neugjaidkarscharte. Es ist dies die schon vom Talboden aus sichtbare Einsattelung zwischen dem talseitig vorgelagerten Neugjaidturm und dem mächtigen Wiener Turm, der bergseitig doch wiederum nur ein Anhängsel des Kleine Schusters ist.

Tja, dieses riesige Geröllfeld ist schon eine eigenartige Welt! Absolute Stille umgibt mich, nur das Scharren der Bergstiefel im Gestein und mein Schnaufen sind zu hören - ansonsten nicht das geringste Geräusch. Wieder einmal bin ich wahrscheinlich der einzige Mensch auf dieser Erde - so fühle ich mich jedenfalls, als ich mich hinaufarbeite. Und ich bin überrascht, wie gut ich höherkomme! Das Geröll ist nicht ganz so steil, wie ich es befürchtet hatte, und wenn ich mich immer unmittelbar neben den Felsen halte, die westseitig aufstreben, dann geht es sich auf den immer vorhandenen Stegispuren .... direkt angenehm! Die den Schuttstrom einrahmenden Felswände sind auch nicht brüchig - während meines ganzen Aufstieges erlebe ich nicht ein einziges Mal Steinschlag. So bleibt der Helm, den ich sicherheitshalber dabei habe, im Rucksack.

Leider ist das Wetter nicht ganz so makellos, wie es die Vorhersage für diesen letzten Spätsommertag prophezeit hatte - dünne Nebelschwaden wabern herum und verleihen der Szenerie etwas Mystisches. Auch gut - paßt sehr gut zu dieser geheimnisvollen, urweltlichen Landschaft.

So steige ich höher und höher - nach weiteren 30 Minuten sind die Umrisse des Wiener Turmes und des Kleinen Schuster schon näher gerückt. Ich stehe direkt vor der mächtigen Rinne, die zur Schusterscharte hinaufzieht - und bin schon wieder beeindruckt: durch diese Schlucht haben am 15. Juni 1930 Comici, Fabjan und Brunner einen Anstieg erschlossen.

Die Steilheit der Schusterlahn nimmt vorübergehend etwas ab; es bildet sich hier sogar ein plateauähnlicher Absatz aus, auf dem man es sich bequem machen und etwas ausruhen kann. Vorher habe ich, meiner Devise "immer äußerst rechts bleiben" treu bleibend, einige kurze Felsabsätze überklettert, um das Geröll zu vermeiden. In diesem Fall stellen sich kurze Einserstellen in den Weg, die aber alle harmlos sind und - wie gesagt - alternativ durch "Schuttrampferei" umgangen werden können.

Und weiter - mein Ziel, die Neugjaidkarscharte, kommt in greifbare Nähe. Erst auf den letzten 50 Metern verlasse ich den or. linken Rand des Gerölls und quere hinüber zu einem felsigen Sporn, der unterhalb der Scharte den allerobersten Bereich der Schusterlahn in 2 Bereiche teilt. Hier kraxel ich die heute erstmals etwas brüchig-kleinsplittrigen Felspartieen dieses Sporns hinauf (I), obwohl man sie nun orographisch rechts im Geröll vermeiden könnte. Aber ein bißchen Kraxelei ist, wenn man ihr gewachsen ist, noch immer angenehmer als das Ansteigen im Geröll.

Um 10 Uhr habe ich die Neugjaidkarscharte (ca. 2580 m) erreicht - und bin überrascht: ab Parkplatz habe ich nur 3 Std. gebraucht! Ein Indiz dafür, wie unerwartet gut die riesige Schusterlahn zu begehen ist. Hinter der Scharte liegt das Neugjaidkar, westlich über der Scharte steht - sozusagen als steinerner Wächter - der Neugjaidturm; laut AV-Führer wäre er in 20 Min. zu ersteigen (II), allerdings nicht für mich in dieser weltabgeschiedenen Verlassenheit.

Neugjaidkar, -scharte und -turm werden auf hochdeutsch auch als Neuejagdkar, -scharte und -turm bezeichnet.

Bleibt zunächst noch zu erwähnen, daß während der ganzen Begehung der Schusterlahn die Aufzeichnung des GPS-Tracks "wüste Sprünge" fabrizierte; möglicherweise werden die Satellitensignale von den flankierenden Felswänden stark abgelenkt. Ich habe hier den Track nachträglich korrigiert.

Ich trete also aus der Schuttwüste der Schusterlahn über die Schwelle der Neugjaidkarscharte - und bin schon wieder aufs höchste verblüfft: das Neugjaidkar ist eine kleine Hochebene inmitten gewaltiger Felswände, auf der einige kolossale Felsklötze herumliegen; sie stammen wahrscheinlich von einem Felssturz aus lang vergangenen Zeiten. Ich taufe diese großartige Szenerie deshalb den "Spielplatz der Riesen" - wahrscheinlich kommen sie nach Dienstschluß immer zum Murmeln hierher, von den Menschlein ungestört.

Das Neugjaidkar fällt westseitig jäh ins Innerfeldtal ab - ich trete an die Abbruchkante, fast 1000 m tiefer liegen die lieblichen Matten um die Dreizinnenhütte. Gegenüber aber ragen die Gipfel der Haunoldgruppe, des Hochebenkofels, der Drei Zinnen in den Himmel. Welch ein Tag, welch eine Landschaft !

Teil 2: Weiterweg zur Schusterplatte

Wie geht es nun weiter? Eigentlich habe ich mein Tagesziel erreicht und könnte wieder über die Schusterlahn absteigen. Andererseits wollte ich den Weg hinauf zur Weißlahnscharte mal erkunden, die 300 m über dem Neugjaidkar liegt, zumal das dort hinaufziehende Schuttfeld ebenfalls Begehungsspuren aufweist. Also gut - hinauf! Aber dieses Schuttfeld ist wesentlich unbequemer zu begehen als die Schusterlahn - trotzdem komme ich an den Beginn einer rinnenartigen Schlucht, durch die es ein Stück hinaufgeht, dann wäre aus dieser Rinne nach links auszusteigen. Das Gelände ist aber sehr unangenehm brüchig - überall stehen recht rissige, einsturzbereite Türme herum, zudem ist die Rinne mit blankem, knallharten Wassereis gefüllt. Hier müßte ich mindestens Grödel anziehen, um weiterzukommen! Aber in Anbetracht des fast schon gefährlich brüchigen Geländes lasse ich die Vernunft siegen und kehre kurz nach dem Beginn der Rinne gleich wieder um - zumal ich wahrscheinlich nicht bis zur Weißlahnscharte hinaufkäme (Zweiergelände?) und auch wieder den gleichen Weg zurückmüßte.

Statt dessen locken mich Steigspuren magisch an, die über ein Geröllband 40m westlich dieser Rinne aufwärtsziehen: wo geht es da noch hin? Kommt man da vielleicht weiter hinauf Richtung Weißlahnspitze bzw. Schusterplatte? Ich folge den Spuren, die kurz darauf sogar zu einem richtig schönen Steig werden, der allerdings immer an der Abbruchkante ins Innerfeldtal verläuft. Technische Schwierigkeiten gibt es auch hier keine - also hinauf!

Nach einiger Zeit erreiche ich eine Art kleinen Sattel - hier trete ich erstmals am heutigen Tag hinaus ins Sonnenlicht. Und weiter geht es auf hervorragend guter Spur. Das Gelände bleibt zwar weiterhin hochalpin, aber unschwierig, und notfalls kann ich das alles wieder absteigen. Die Spur erklimmt einen weiteren Sattel und noch einen - und dann ist es sicher: obwohl dieser Steig nicht im AV-Führer erwähnt ist, führt er Richtung Schusterplatte!

Ich erreiche denn auch die Schusterplattenscharte (2900 m) zwischen Weißlahnspitze und Schusterplatte, die mir vom 31.07.2011 bereits bekannt ist (*Schusterplatte / Lastron dei Scarperi (2957m), Weißlahnspitze / Punta Lavina Bianca (2987m)) - und nun besteht für mich kein Zweifel mehr: ich werde bis zur Schusterplatte weitersteigen und dann auf derem Normalweg ins Tal zurückkehren. Genau zur Mittagszeit stehe ich auf der Schusterplatte (2957 m) - 5 Stunden nach Abmarsch vom Parkplatz, und nach kurzer Rast geht es auf dem Normalweg zurück ins Tal.

Insgesamt eine höchst eindrucksvolle Tour, die in totaler Einsamkeit durch eine extrem urige Dolomitenwelt führt. Irgendwelche technischen Schwierigkeiten sind nicht vorhanden (die technisch schwierigste Stelle ist das etwa 3m hohe Zweier-Wandstück am Normalweg der Schusterplatte, aber deswegen die ganze Unternehmung als II einzustufen, entspricht denn doch nicht dem Charakter der Unternehmung) - aber Schwindelfreiheit, Trittsicherheit, Kondition sowie allgemein alpine Erfahrung sind selbstverständliche Voraussetzungen für diese großartige Bergfahrt !

Ich widme diese Tour, dieses Erlebnis meinem treuen Freund Walter, der mich schon so oft begleitet hat, momentan leider jedoch nicht mitkommen kann.

Tourengänger: gero


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Geodaten
 7870.gpx Aus dem Innerfeldtal durch die Schusterlahn auf die Schusterplatte

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Kommentare (6)


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Ray hat gesagt:
Gesendet am 8. Oktober 2011 um 14:48
Super Bilder, gratulation zu dieser wilden Tour!

Gruß

Felix hat gesagt:
Gesendet am 8. Oktober 2011 um 16:23
traumhaft, diese deine Tour - herrlich die Fotos und informativ die Beschreibungen!

Gratuliere, lieber Georg

Ursula hat gesagt: wirklich..
Gesendet am 8. Oktober 2011 um 16:58
...eine herrliche Gegend. Und unbedingt will ich spätestens nächstes Jahr wieder dort hin.
Gratulation zu Deiner langen, eindrucksvollen Tour!

l. G. U.


polamon hat gesagt: Vor vielen Jahren.....
Gesendet am 19. Juli 2012 um 20:49
....beobachtete ich mit dem Fernglas von einem Gipfel jenseits des Innerfeldtales zwei Gestalten, die genau diesen Weg gingen. Vom Neuejagdkar über dieses Schotterband hoch Richtung Schusterplatte. Ich versuchte dann den umgekehrten Weg über die Schusterplatte hinab, biwakierte im Neuejagdkar und dann hinab zur Dreischusterhütte - eine wirklich traumhafte Tour..... Ich glaube, das muß ich noch mal wiederholen!

Gelöschter Kommentar

orome hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. September 2019 um 21:12
Danke für die Inspiration und den perfekten Bericht! Das ist wirklich ne sehr schöne Runde, die sich erstaunlich leicht auflöst. Wir waren heute auf deinen Spuren unterwegs und hatten einen super Tag!
Und ich teile auch eher deine Einschätzung, bzw. Bei uns hat sich das ganze ähnlich präsentiert und nicht heikel, wie der Georg in seinem Bericht geschrieben hat. Das mühsamste war die schusterlahn, aber auch nicht dramatisch, man sieht ja von unten worauf man sich einlässt. Der Rest dann sogar überraschend angenehm.
Grüße manu


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