Den Drachen gezähmt: Unterer Drachenberg (2605 m) via Drachenloch


Publiziert von marmotta , 1. Oktober 2011 um 02:16.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:28 September 2011
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 1700 m
Abstieg: 1700 m
Strecke:Vättis - Chrüzbach - Steinberg - Chrächeli - Chrüzboden - Gelbberghütte - Gelbberg - Drachenloch - Unterer Drachenberg (2605 m) retour
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Vättis, Post
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Vättis, Post

Prähistorischen Funden nach sollen sich im Drachenloch, einer Höhle im Drachenberg ob Vättis im Taminatal, bereits vor über 50.000 Jahren menschliche Wesen aufgehalten haben. Ob diese auch den Drachenberg bestiegen, ist selbstverständlich nicht überliefert - wie auch, hätte der altsteinzeitliche Hikr seine Tourenberichte doch allenfalls in die Höhlenwände ritzen können.
 
Auch auf Hikr.org war bislang keine Besteigung des (Unteren) Drachenbergs (2605 m) dokumentiert. Alpin_Rise hat auf dieser tollen Tour über das Zanaihorn zwar den wenig markanten P. 2626, der in der Führerliteratur auch als Oberer Drachenberg bezeichnet wird, besucht. Diese, von Norden kaum den Eindruck eines Gipfels vermittelnde Erhebung in dem langen, vom Pizol nach Südosten verlaufenden Grat, aus dem namentlich die Zanaihörner herausragen, kann von P. 2663, wo sich der Grat zum Drachenberg und Vättnerchopf gabelt, relativ einfach erreicht werden. Der Übergang von hier zu dem durch eine tiefe und ausgeprägte Scharte getrennten Gipfel des Unteren Drachenbergs (2605 m) sieht jedoch sehr wild aus und scheint nicht einfach zu bewerkstelligen zu sein. Die breite, aus Schutt und Schiefer bestehende Gipfelkuppe wird von einem Sockel aus senkrecht abfallenden Wänden getragen, die auf den ersten Blick keine Schwachstelle erkennen lassen. Doch im Osten ist die Wand durch mehrere, tiefe Rinnen unterbrochen. Hier soll laut Führer über eine "seichte" Schrofen-bzw. Felsrinne ein einfacher Aufstieg (L) auf die breite Gipfelkuppe möglich sein. Here we go!
 
Von Vättis (943 m) folgt man zunächst ein Stück dem talauswärts leicht ansteigenden Asphaltsträsschen, bis nach Passieren der letzten Häuser am östlichen Ortsrand und Überqueren des Chrüzbachs ein Wegweiser nach Norden Richtung Drachenloch leitet. Nach einigen eher gemütlichen Metern entlang des Chrüzbachs ist bald Schluss mit lustig: Der oberhalb der Murverbauungen abzweigende Pfad führt nun in anhaltender Steilheit 1400 Hm hinauf zu den Felswänden des Drachenbergs, wo man von weitem das dunkle Portal der Drachenhöhle erkennen kann. Erst kurz vor der neuen Gelbberghütte (die alte war im strengen Winter 1999 durch Lawinen vollständig zerstört worden) auf über 2000 m tritt man endgültig aus dem Gehölz heraus (unten dichter Nadel -und Laubwald, oben Latschen).  Man befindet sich nun in offenem Weideland, welches weiter oben rasch in schuttiges und gerölliges Ödland übergeht. Die letzten Meter geht es ziemlich steil auf teils etwas undeutlichen Wegspuren an einigen bizarren Felsbastionen vorbei zu den Wandabschlüssen des Drachenbergs. Von hier noch einige Meter leicht absteigend der Wand entlang nach Nordosten, dann steht man unter dem Eingang der Drachenhöhle (2427 m). Bis hierhin durchgehend gut markierter Wanderweg, der steil, aber problemlos zu begehen ist (T3).
 
Ein Besuch der Höhle lohnt sich: Bleibt man im Eingangsbereich, wo sich auch gleich das "Höhlenbuch" in einer an der Höhlenwand befestigten, massiven Metallschatulle befindet, benötigt man nicht mal eine Stirnlampe (ausser natürlich nachts…). Ausweislich des Höhlenbuchs wird das Drachenloch häufig besucht, trotz des einigermassen "nahrhaften" Aufstiegs. In den Jahren 1917 - 1924 wurden hier fast sensationelle prähistorische Funde gemacht. Die dort geborgenen Höhlenbärenknochen und menschlichen Werkzeuge können in einer permanenten, umfassenden Ausstellung im Heimatmuseum in St. Gallen besichtigt werden.
 
Der kurze Aufstieg zum Höhleneingang über einfache Felsstufen ist mit einem dicken Fixseil gesichert, das aber bei trockenem Gestein kaum benötigt wird (T3+)
 
Nun wollte ich aber noch weiter auf den Gipfel des Drachenbergs. Hierzu folgte ich zunächst noch ca. 50 m leicht absteigend dem gut begehbaren Wegband entlang der Felswand nach Norden, bis in der Ostflanke eine markante Schrofenrinne sichtbar wird, welche die bis hierhin geschlossene Felswand unterbricht. Die Rinne gabelt sich weiter oben um einen Felspfeiler herum. Um in die Rinne zu gelangen, steigt man vom Wegband am besten einige Meter ab, über gut gestuftes, der Abschüssigkeit des Geländes wegen jedoch (vor allem im Abstieg) mit Vorsicht zu begehendes Gras-Schrofengelände ist dann schnell die erwähnte Gabelung erreicht (T5). Obwohl die geradeaus weiter nach oben ziehende Gras-Schrofenrinne auf den ersten Blick einfacher aussieht, hängt in der Querung nach links über einer abschüssigen Felsstufe überraschend ein neues Fixseil! Gut, dann eben hier rauf...

Im Aufstieg lässt sich die ansteigende Querung auch gut ohne Benutzung des dünnen und etwas unangenehm durchhängenden Nylonseils bewerkstelligen (T6, II), später im Abstieg bin ich jedoch froh, mich wenigstens mit einer Hand daran festhalten zu können. Da mir persönlich immer etwas unwohl ist, wenn ich mich mit meinem ganzen Gewicht in so ein Fixseil reinhängen soll, blieb eine Hand immer am Fels (irgendwie werde ich die krankhafte Vorstellung nicht los, so ein Seil könnte aus der Verankerung reissen oder mir durch die Hände hindurchrutschen - insofern bewundere ich die Menschen, die sich mental darauf einlassen können!). Vom oberen Ende des Fixseils gelangt man schnell in einfacheres bzw. weniger ausgesetztes Felsgelände. Über plattige, abwärts geschichtete, aber aus festem Gestein bestehende Felsstufen steigt man nun in der Rinne oder weiter oben linkerhand einen engen (und an diesem Tag etwas feuchten) Kamin ausnutzend nach oben (T5, I), bis man nach rechts in die nur mässig geneigte Schutt- und Geröllflanke aussteigen kann, welche sich vom Südgrat des Drachenbergs bzw. dessen Vorgipfel herabzieht. Auf guten Schutt- bzw. Rasenbändern traversierte ich anschliessend wenig oberhalb der Abbruchkante die Flanke nach Norden um den Vorgipfel herum und über Schutt und Schiefergestein hinüber zum breiten Südgrat des eigentlichen Drachenberg-Gipfels (T4).
 
In dem Moment, als ich die Felsen am höchsten Punkt des (Unteren) Drachenbergs betrat, erschrak ich fürchterlich: Wenige Meter vor mir erhob sich ein Steinadler, der es sich offenbar hinter den Felsen gemütlich gemacht hatte. Seine gewaltigen Flügel ausbreitend, erhob er sich unmittelbar vor mir und segelte über das Tersol-Tal in Richtung Sazmartinshorn. Unglaublich - es war wie bei einer Greifvogelschau. Noch nie in meinem Leben war ich jedoch in freier Wildbahn einem Steinadler so nah gewesen! Wahrlich eine ergreifende Szene…
 
Nachdem ich die herrliche Aussicht auf das nahe Ringelgebirge mit seinen gewaltigen Nordostwänden, auf Sazmartinshorn, Pizol und die das Calfeisental abschliessenden Gipfel, allen voran Piz Sardona und Piz Segnas, sowie natürlich ins Rätikon und Bündnerland ausgiebig genossen hatte, trat ich wieder den Abstieg an. An einem Logenplatz direkt unter den Südwänden des Drachenbergs machte ich es mir nochmals bei einem Picknick gemütlich, bevor ich den erbarmungslos steilen Abstieg hinunter nach Vättis hinter mich brachte, von dem ich noch immer (in Form eines gewaltigen Muskelkaters) zehre.  
              

Tourengänger: marmotta


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