Wem das Verzascatal zu eng ist, der steige hoch durch seine steilen bewaldeten Flanken im unteren Teil und über die verlassenen und verwilderten Alpen im mittleren Teil und kraxle auf die felsigen Grate, die aus dem Tal betrachtet scheinbar den hellblauen Himmel kratzen. Auf diese Weise wird das schmale Tal nach und nach weiter und offener, wobei man allerdings einiges an Höhenmeter bewältigen muss, bis man die Schönheit dieser wunderbaren Bergwelt geniessen kann. Dafür wird man mit grosser Wahrscheinlichkeit allein unterwegs sein; wir sind heute auf unserer knapp 7stündigen Tour keinem einzigen Menschen begegnet.
Die Berge im Verzascatal sind für den Alpinwanderer Genuss vom Feinsten; ich habe immer wieder den Eindruck inmitten von einem riesigen, monumentalen Gemälde unterwegs zu sein. Klar, der nicht enden wollende lange Aufstieg durch die steilen Wälder geht in die Beine, vor allem beim Abstieg. Doch es ist die Mühe wert, denn in eine solche Wildnis vordringen zu können, will verdient sein. Beeindruckt bin ich im Tessin immer wieder von den verlassenen Alpen, die früher einmal unter härtesten Bedingungen bewirtschaftet wurden und heute trotz ihres langsamen Zerfalls ein Stück Tessiner Geschichte aufrecht erhalten.
Dass wir die heutige Tour so durchführen werden, wie wir es letztlich taten, stand dauernd im Ungewissen. Die ständig in die Höhe wachsenden Quellwolken und Nebelschwaden hingen stets wie ein Damoklesschwert über den Berggipfeln, ständig galt es die Lage zu beobachten, doch hielten sich die Regentropfen und vor allem die angekündigten Gewitter vornehm zurück. Gerade im gleichen Moment, wie wir in Gerra das Auto erreichten, begang es zu tröpfeln: Timing! So sind die nicht erwarteten Gipfelerfolge immer die schönsten. Als Pünktchen auf dem i konnten wir heute sogar ein Teilstück der berühmten (wenn auch offenbar nicht oft begangenen) Via Alta Verzasca zurücklegen - im Bereich zwischen den beiden Gipfeln in luftiger, abwechslungsreicher Gratkletterei in herrlichem Fels.
Die vielen herumziehenden Wolken sorgten heute für veritables Waschküchenwetter, liess aber dennoch immer wieder weite Blicke in über die Gipfel des Verzascatals und die benachbarten Täler zu. Das Ganze verlieh der heutigen Einsamkeit und landschaftlichen Schönheit eine gespenstische Stimmung und einen ständigen Wechsel des Lichts und der Farben.
Routenbeschreibung:
Gerra - Corte di Fondo - Starlaresc (T3)
Vom Parkplatz im langgezogenen Gerra geht man auf der Hauptstrasse einige Meter talabwärts und zweigt gleich links hinab zur Hängebrücke über die Verzasca. Die Route ist ausgeschildert Richtung "Corte di Fondo" und "Cap. Efra". Der gesamte Aufstieg verläuft auf zum Teil steilen und schmalen, aber bestens ausgebauten Bergwegen. Das hohe Gras im Bereich des Weges wurde durchgehend geschnitten, sodass der Weg stets gut sichtbar ist.
Starlaresc - Cima di Gagnone (T3) - Schlussaufstieg über den Nordwestgrat T5
Der Bergweg wird aber der Alphütte bei Starlaresc etwas undeutlicher, ist aber immer noch sehr gut markiert, auch wenn die weiss-rot-weissen oder roten Striche etwas am Verblassen sind. Man erreicht auf etwa 2350 m einen Wegweiser und folgt dem Weg Richtung "Cap. Efra" noch wenige Meter bis zur dessen ersten Kehre nach links. Dort steigt man über Grashalden und Geröll dem Cima di Gagnone entgegen, der von hier nicht besonders Eindruck macht. Nach dieser problemlosen weglosen Passage steht man auf dem Grat und hat die Via Alta Verzasca erreicht (weiss-blau-weisse Markierungen bzw. blau-weiss-blaue Metalltafeln).
Der Schlussaufstieg über den Grat ist im unteren Teil etwas ausgesetzt, doch dank hervorragender Felsqualität gut zu begehen; einzelne Stellen II-. Oben wird der Grat breiter und zuletzt öffnet sich ein riesiges, nicht erwartetes Gipfelplateau auf dem sich ein Steinmann und in diesem ein sehr wenig frequentiertes Gipfelbuch befinden.
Cima di Gagnone - Bocchetta dello Scaiee (T5)
Nach dem Abstieg über den Nordwestgrat folgt man weiter den Markierungen der Via Alta Verzasca über den Grat mit zwei Aufschwüngen. Auch in diesem Abschnitt wird es ab und zu etwas luftig, aber jede allenfalls kurz in den Flanken zu umgehende Stelle ist mittels Markierungen signalisiert, so dass über den besten Routenverlauf keine Zweifel aufkommen. Zuletzt folgt ein steiler Abstieg über immer noch hervorragenden Fels in die Bocchetta dello Scaiee .
Schlussaufstieg zum Scaiee (T2)
Das kleine Gipfelchen ist mit vielen Steinmännern gekrönt und lässt sich in einigen Schritten problemlos erreichen.
Bocchetta dello Scaiee - Gerra (T3)
Von der Bocchetta dello Scaiee folgt man dem ausgeschilderten Bergweg Richtung Gerra und erreicht bald die Stelle, wo wir im Aufstieg zur Cima di Gagnone den Weg verlassen haben.
Kommentare (4)