Piz Morteratsch, ohne Gipfelglück


Publiziert von Newa , 23. Juni 2011 um 09:55.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:20 Juni 2011
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Piz Bernina   Bernina-Gruppe 
Zeitbedarf: 1 Tage 10:00
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 2000 m
Strecke:Bovalhütte - Piz Morteratsch - Pontresina
Unterkunftmöglichkeiten:Boval Hütte

Nach der zweiten Nacht in der Bovalhütte, in der ich wiederum wunderbar geschlafen habe, findet die Tagwache um vier Uhr morgens statt.
Anders als am Vortag, als es hier knallvoll war, sind wir drei nun von Sonntag auf den Montag, ganz alleine (ausser dem sympathischen Hüttenwart und seiner netten Hilfe Alexandra).
 
Das Frühstück nehmen wir im Trockenraum ein und machen uns in der Morgendämmerung um etwa fünf Uhr auf den Weg.
Die Stimmung frühmorgens ist für mich die schönste in den Bergen, das erwachen des Tages, das erste leuchten der Berge, der Tau auf dem Moos und die Stille, die noch stiller ist als tagsüber (geht eben doch: stiller als Still)
Hinter der Hütte führt direkt der Pfad aufwärts Richtung Piz Morteratsch, immer wieder über grosse, instabile Gesteinsbrocken, dann über kleineres Geröll und feuchte Graskuppen.
Nach etwa einer Stunde erreichen wir das erste längere Firnfeld, für welches wir jetzt unsere Steigeisen montieren. Eine harte und stabile Schneedecke erspart uns das tiefe und kräfteraubende Einsinken.
In einem weiten, linken Bogen, stetig aufwärts, zum Schluss ein recht steiles Stück,  steigen wir bis zur Felswand auf.
Hier markieren rote Punkte den Weg über die Felsen, welchen wir aber nicht nehmen, sondern rechts davon haltend, betreten wir ein steiles Geröllfeld.
Auf allen vieren, immer noch mit den Steigeisen an den Füssen, krabbeln wir wie fette Käfer, über den sich stark bewegenden Untergrund. Das macht richtig Spass, obschon es sehr anstrengend ist.
Nach etwa zwanzig, dreissig Meter wird das Geröll stetig grösser, bis sich schliesslich grosse und herrliche Felsen daraus ergeben.
Jetzt folgt für Claudia und mich der allerschönste Teil der Tour: klettern in guten, griffigen Granitblöcken im zweiten und dritten Schwierigkeitsgrad. Ein richtiger Genuss, der nur leider viel zu kurz ist.
Wie nach der Sonne der Regen folgt (oder geht es umgekehrt?), erwartete uns nach diesem schönen Teil ein rechter Schreck. Ein steiles Stück von etwa dreissig Metern muss gequert werden in unsympathischem, weichem und tiefem Schnee. Trotz dem meckern von Claudia und mir und dem Wunsch geradeaus weiter im ach so schönen Fels zu klettern, bleibt Peter hart und spurt den unbehaglichen Weg für uns. Was bleibt uns übrig, und ich frage mich das erste, aber nicht das letzte Mal heute, was ich hier eigentlich mache und warum ich nicht gemütlich und warm am besten Ort der Welt bin: in meinem Bett.
Okay, alles grübeln nützt jetzt nichts und Claudia und ich folgen uns dicht aufeinander in den Schneehang. Den Eispickel als rein psychologische Krücke einsetzend, stiefeln wir Peter nach.
Das Wetter wechselt schnell und regelmässig von stark bewölkt bis sonnig. Windig ist es ununterbrochen.
Bevor wir die Fuorcla Boval erreichen, gibt uns Peter den weisen Tipp uns eine weitere Wärmeschicht anzulegen, da es „da oben“ sehr kalt werden wird.
Nach umsetzen dieses Ratschlags steigen wir steil in Stein, Fels und Firn weiter bis zur Fuorcla. Diese Fuorcla Boval ist ein querer, langer, spitziger aber nicht hoher Felsbrocken der eine Grenze zur andern Seite, der Tschiervaseite, bildet. Kaum da angekommen, peitschte uns ein richtiger Windsturm eiskalt ins Gesicht. Das ist Alpinismus pur, ich komme mir vor wie in „Die weisse Hölle des Piz Palü“, ausser das es der Piz Morteratsch und nicht der Palü ist. Auf dem Felsbrocken sitzend muss ich zuerst den Ausblick auf die andere Seite verdauen: eine weisse Arena aus Eis, Fels und Schnee liegt ausgebreitet vor uns, in der Mitte wie das weite Meer, ein topfebener Gletscher, umrahmt von den Giganten der Berninagruppe. Wahnsinn! Mir stockte der Atem und ich denke daran, dass das Leben nicht die Anzahl der Atemzüge ausmacht die wir machen, sondern der Atemzüge die wir anhalten.
Claudia folgt mir und ich sehe ihrem verwunderten Gesichtsaudruck an, dass es ihr genau so geht wie mir.
Es ist Zeit uns jetzt anzuseilen, denn ein langes Stück über den Firnhang erwartet uns und in unserer dreier Seilschaft ziehen wir los, zuerst rechts von der Felswand haltend, dann frei über die aufsteigende Kuppe. Der Wind setzt uns zu und ich habe Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Die Phasen in denen sich die Sonne zeigt, werden immer seltener und kürzer, dafür bleibt es düster und wird immer grauer.
Nach dem traversieren des langen Sattels führt uns Peter immer steiler werdend weiter Richtung Gipfel. Der Schnee ist teilweise steinhart, so dass ich kaum die Spur der anderen zwei die vor mir gehen erkennen kann, teilweise sinken wir aber auch bis zu den Knien ein, was uns grosse Anstrengung kostet.
Wir sind nun etwa fünf Stunden unterwegs und erreichen den Vorgipfel des Morteratsch auf 3620 Metern ü.M., 123 Höhenmeter vom Hauptgipfel entfernt.
Der Wind wird zur richtigen Sturmböe und die Sicht ist gleich Null. Hier treffen wir die Entscheidung zur Umkehr. Jawohl. So machte das keinen Sinn. Nach Einwurf von etwas Traubenzucker, also die Umkehr. Das steilste Stück krebsen Claudia und ich mit dem Gesicht zum Berg auf allen vieren herunter, so erreichen wir wiederum den Sattel welchen wir auf dem gleichen Weg zurück queren. Hier rutsche ich aus und kann mich, dank den Übungen und der Theorie der letzten Tage, wunderbar mit dem Pickel abbremsen. 
In einem weiten Bogen umlaufen wir das grosse Gletscherfeld und da sich das Wetter plötzlich entscheidet die guten Prognosen wahr werden zu lassen, rasten wir auf einer Felsinsel. Ohne viele Worte lassen wir das Erlebte und die Landschaft auf uns einwirken und ich bestaune und fotografierte einmal mehr den Traum eines Berggrates, den Bianco. Faszinierend aber auch Furcht einflössend präsentierte er hoch oben seine volle Schönheit in Sonnenlicht.
Weiter führt uns unser Weg durch den Gletscher und der Schnee wird immer weicher und unangenehmer.
Nach etwa einer Stunde können wir uns vom Seil losbinden und marschieren über Felsen abwärts zur Tschiervahütte. Hier führt ein wunderschöner und guter aber sehr langer Wanderpfad talwärts. Das letzte Stück bis zum Tal, passieren wir einen idyllischen Lärchenwald mit romantischen Holzbänkchen und wild sprudelnden Bächen.
Da es vom Tal dann noch etwa sieben Kilometer bis nach Pontresina sind, machen wir wie zu unserer Jugendzeit Autostopp und haben, wie damals schon, immer noch Glück ;-)
Am Bahnhof in Pontresina genehmigen wir uns je nach Gusto Eis oder  Bier, wobei ich mich für die Kalorien in flüssiger Form entscheide.
 
 
Newa
 

Tourengänger: Newa


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Kommentare (2)


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Merida hat gesagt: Beeindruckender...
Gesendet am 28. Juni 2011 um 23:15
Bericht. Da kann man so richtig mitfühlen wie's euch ergangen ist. Und man merkt, dass die Tour auch ohne Gipfel ein voller Erfolg war.
Grüässli, Stephan

Newa hat gesagt: RE:Beeindruckender...
Gesendet am 29. Juni 2011 um 16:47
Hey Steph,

ja es war auf alle Fälle eine gute Tour in einer wunderschönen Gegend, ich hoffe dass wir es dieses Jahr auch mal gemeinsam dorthin schaffen.Ev. im August?

Gruss
Anica


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