Über den Tuyzpass 4001m ins Inylchektal, Gletscherwanderung zum Khan-Tengri BC (4400m)


Publiziert von schnunzel , 4. Juni 2011 um 17:34.

Region: Welt » Kirgisistan » Inylchek
Tour Datum: 5 August 2008
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: KS   RC   KZ 
Zeitbedarf: 9 Tage
Aufstieg: 3400 m
Abstieg: 3400 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bishkek - Karakol - Ekilytash
Unterkunftmöglichkeiten:keine

August 2008. Eine der extremsten Touren, die wir jemals gemacht haben. Jeder, der sich in dieses wunderschöne Gebiet begibt sollte sich darüber im Klaren sein, dass es weder Wegmarkierungen gibt noch Versorgungsmöglichkeiten, alles muss für mindestens 10 Tage mitgetragen werden. zudem ist diese Tour eine "Einbahntour", das Ziel BC Khan Tengri liegt im Oberen Inylchektal auf dem Gletscher, der vom Pik Pobeda (7439m) in den gewaltigen Inylchekgletscher einmündet. Also irgendwann ist vorwärts gehen genauso weit wie zurück... Wirklich zurück gehts dann planmäßig mit dem Helikopter. - Die Gletscherbegehung ist ein riesiges Abenteuer und ohne Sicherungen sollte mans nicht machen, da die Spalten und die reißenden Ströme unterhalb des Eises echt sehr gefährlich sind. Zudem ist die karge Landschft aus Fels und Eis zwar extrem schön, jedoch muss man sich darauf einstellen, dass man sehr auf sich selber "zurückgeworfen" ist und nur mit einem guten Team oder mit viel Erfahrung ist diese lange, extreme Einsamkeit zu bewältigen.
Soweit die Exposition.

1. Tag: Anreise an den Checkpoint Ekylitasch, an dem unsere Papiere und Permits kontrolliert werden. (Die Permits unbedingt Tage vorher über ein Reisebüro oder direkt in Bishkek besorgen! Die Tour geht ins Grenzgebiet zu China, und war bis vor kurzen militärisches Pserrgebiet.). Die jungen Grenzer haben Besuch von ein paar Prostituierten und bieten uns in der einsamen Hochsteppe deren Gesellschaft an. Wir danken freundlich und beginnen unsere Tour entlang des Tuyz, orientieren uns nach Karte, Kompass und einigen Tierpfaden in Richtung der riesigen Eisriesen, die am Horizont bereits sichtbar werden. Auf dieser Hochebene befinden wir uns bereits auf über 2500m. Lager am Fluss.

2.Tag: Wir gehen weiter dem Fluss entlang und die Berge ringsum werden immer höher. Wir halten uns links vom Fluss talaufwärts und biegen am in das obere Tuyztal. Uns begegnet ein Kletterer, sehr ausgemärgelt und seltsam vergeistigten Blickes. Sehr nett, er ist Russe und hat sich über 14 Tage alleine in diesem Gebiet jenseits des Passes aufgehalten. Als wir ihn nach dem Weg fragen, stellt sich heraus, dass er wohr "irgendeinen" Pass genommen hat, aber bestimmt nicht den Tuyzpass. Wir verabschieden uns und vertrauen unserem Orientierungssinn und der präziesen russischen Karte. Es ist bereits Nachmittag als wir an die Stelle kommen, an dem man den Fluss queren muss. Das Wasser ist zu reißend und tief, also beschießen wir es morgens zu versuchen. Lager vor der Flussquerung.

3.Tag: Wir gelangen gut und wohlbehalten durch das eisige Wasser. Nun geht es steil bergauf in die Gletscherregion zur Tuyzquelle. Unterhalb vom Pass entdecken wir ein Lagerplatz, der wohl von einigen Bergsteigern vor uns schon benutzt worden war. Anbei ein riesen Felsensolitär, vollkommen durchlöchert und von hunderten Murmeltieren bewohnt. Es bewölkt sich. Trotzdem wollen wir noch heute über den Pass. Wir steigen und klettern die felsige Passhöhe hinauf und durchschreiten gerade den Sattel, als uns von hinten eine schwarze Schneewolke einholt und uns direkt auf dem Pass auf 4001m Höhe "festnagelt". Die Sicht beträgt fast nur noch 10 Meter und der Eisregen schmerzt. Wir "biwakieren" und schützen uns zwischen Felsen. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei und wir steigen ins Inylchektal ab bei Regenbogen und einem wunderbaren Blick auf den ersten der Eisriesen: dem Pik Nansen. Unten im Tal auf 2300m wandern wir aufwärts Richtung Gletscherzunge und schlagen unser Zelt bei Chon Tash auf, einem alten Expeditionslager der ersten Pioniere, darunter auch Merzbacher, nachdem die beiden Seen auf dem Nordinylchek benannt sind. Heftige Fallwinde reißen uns beim Aufbauen fast die Ausrüstung weg, ein Vorgeschmack auf die extremen Wetterbedingungen dieser Region.

4. Tag. Aufbruch zum Gletscherrand. Ab Chon Tash gibt es keine Wege mehr. Wir sind nur noch auf Karte, Kompass und Geländeorientierung angewiesen. Laut Karte befindet sich der Gletschermund talaufwärts links, also etwa nördlich. Ab da, so die Karte, geht man nördlich-seitlich am Gletscher entlang und biegt dann nach ein paar Hundert Metern - in diesem Gelände eine weite Strecke - auf den Gletscher zur ersten Querung. Aber auch hier ist der Gletscher bereits etwas abgeschmolzen, um einige hundert Meter, sodass sich der Mund plötzlich südlich - also rechts talaufwärts befindet. Der Eistig ist uns nach dem vielen Suchen und Klettern an diesem Tag nicht mehr möglich. Wir Lagern direkt am Gletscherrand. Abends gibt es die ersten Probleme mit unserem Benzinkocher. Eine Vorwarnung, die wir noch nicht sehr ernst genommen haben.

5.Tag. Wir finden ohne Probleme den Einstieg zur ersten Querung und Kreuzen den Gletscher diagonal, sodass wir die Abbruchspalten gut umgehen können. Ab nun geht es rechts vom Gletscher, also südlich des Eises talaufwärts und wir finden die ersten Steinmännchen, wir sind also richtig. Weiter geht es bis zur Merzbacher Schneise, an der der Nordinylchek in den Südlichen Gletscher mündet. Hier der Blick auf die leider bereits leergelaufenen Merzbacher Seen. (Einmal im Jahr entladen sich die Eisseen mit einem gewltigen Spektakel...). Ab der Schneide geht es über mehrere Seiten-Gletscher fast nur noch auf dem Eis immer weiter nach oben. Unser erstes Lager direkt im Eis.

6. Tag: Weiter auf dem Eis, entlang der Spalten, immer auf der Suche nach einem Übergang. Die Strecke ist sehr beschwerlich und anstrengend zu gehen. Uns kommt aus dem "Nichts" ein Bergsteiger entgegen, ein Ukrainer, auf der Suche nach dem BC. Wir sagen ihm, das BC sei genau in der anderen, also östlichen Richtung gelegen, aber er glaubt uns nicht. Er scheint verwirrt und wir bieten ihm Hilfe oder Medikamente an. Er lehnt dankend ab, zieht seiner Wege. - In einem Gebiet, in dem weder Mobiltelefon noch Funkverbindungen existieren, ist man auf sich alleine gestellt... Lager bei schönen Abenwetter unterhalt des ersten Blickes auf den Khan Tengri 6998m.

7.Tag: Wir müssen eine Eisbrücke auf die "Rote Moräne" finden, die uns laut Karte und Beschreibung direkt zum BC führen soll. Aber es findet sich keine geeignete Brücke über den reißenden Inylchek, der tosend und donnernd unter uns, neben uns und dann wieder vor uns - mäandernd - unter dem Eis fließt. Wir verbringen einen ganzen Tag mit der Suche und verzweifeln. Abends kollabiert unser Kocher.

8.Tag. Wir essen nun seit meheren Tagen nichts mehr Warmes. Unsere Kondition ist gut, aber wir leben ab jetzt von der Substanz. Nach einigen Versuchen gelingt uns endlich ein spektakulärer Übergang auf die Rote Moräne und wir sind überglücklich. Wieder entdecken wir Steinmännchen und wir wandern äußerst beschwerlich über die steinig-gerölligen Moränenhügel, inmitten einer faszinierenden Eislandschaft. Der Himmel wird ab Mittag etwas trübe und wir ahnen nichts Gutes. Die vielen wunderbaren Berggipfel, die meisten bereits über 6000m hoch, einige davon noch unbestiegen, ziehen langsam zu. Ein Blick zurück erklärt den plötzlichen Winterhimmel: talaufwärts zieht eine schwarze Schneefront - ein Wintereinbruch. In der tat, es fängt an zu schneien und wir bauen unser Zelt auf, sichern alles ab mit Steinen und Verspannungen. In dieser Nacht fällt fast ein halber Meter Schnee. Immer wieder befreien wir das Zelt von der Last und Schlafen ist nur noch im Halbstundenrhythmus möglich. Wir geraten gerade in eine gefährliche Situation.

9.Tag. Wir klettern aus dem Zelt und die Landschft ist nur noch weiß. Winter. Weder erkennen wir die Gletscherspalten, noch kann man den Unterschied zwischen Geröllmoräne und Blankeis ausmachen. Der Aufstieg zum BC ist ab jetzt eine wesentlich gefährlichere Sache als vorher. Wir sind verzweifelt, bekommen wechselweise Angst und Zuversicht. In der Ferne sehen wir ein gelbes Zelt und geben Signal. Durch das Fernglas sehen wir: es ist unser verrückter Ukrainer. Er kommt zu uns über das Eis gelaufen. Dafür braucht er fast eine Stunde. Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals mehr über ein menschliches Zusammentreffen gefreut zu haben. Wir teilen Essen und beschließen, unser Lager zusammenzulegen. Er möchte dann erkunden (wie wir wissen in der falschen Richtung) ob er das Lager westlich findet, und wir ziehen für eine halbe Tagestour nach Osten, um dort vorsichtig einen Weg zum BC zu finden. - Nach etwa einer Stunde holt uns von hinten eine deutsche Expedition ein, die auch vom Winter überrascht worden war. Unter ihnen bereits unser Ukrainer, der bei seinem Suchausflug westwärts auf die Gruppe zu erst gestoßen war - unsere Suchrichtung war goldrichtig. Wir schließen uns der Gruppe an und gelangen nach ein paar Stunden Fußmarsch durch Schnee und Eis ins Basislager Khan Tengri.
Dort in der Küche ein riesen Hallo und Glückwünsche, aber auch besorgte Gesichter: einige Bergsteiger sind in der Wand am Pobeda und haben sich seit dem Wintereinbruch nicht mehr gemeldet....
Wir schlagen uns fast unvernünftig die Bäuche voll. Der Helikopter bringt uns einen Tag später planmäßig aus dem Inylchekgebiet zurück über Kasachstan nach Karakol. Auf dieser Tour habe ich 7 Kilo abgenommen....

Tourengänger: schnunzel


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26 Jul 13
Expedition zum Khan Tengri · Matthias Pilz

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