Der Mauerläufer der Cima di Sassello, 1899m (TI)


Publiziert von Seeger , 26. Mai 2011 um 22:28.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:25 Mai 2011
Wandern Schwierigkeit: T4- - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Cima dell'Uomo 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 903 m
Abstieg: 903 m
Strecke:5.34 km : Monti di Motti 1062m – Monti della Scesa 1279m – Alpe di Foppiana 1495m – Pt 1784 – Cima di Sassello 1899m, gleicher Weg zurück
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Zufahrt: Auto von Cugnasco über Medoscia nach Monti di Motti, Ö.V: Riazzino (3 Stunden Aufstieg nach Monti di Motti, Wanderweg)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Unterkunftmöglichkeiten:Restaurant in Monti di Motti
Kartennummer:Bellinzona/Swissmap

IN MEMORIAM DER POLNISCHEN INTERNIERTEN UND ERBAUERN DER MAUER 1945 - 1949
Der Befehl: „Erstellung einer massiven Trockensteinmauer mit fester Abdeckung auf dem Grenzkamm von der Forcarella Pt. 1642 zur Forcola Pt. 1709, Minimale Höhe 170cm, Minimale Breite 80cm, unter Einbezug der Felsen“…“Begehbar“… „Die Eidgenossenschaft, resp. die Internierungsbehörde der Armee sind für Sprengmaterial, Werkzeuge und Transportseile, sowie für die Bewachung, Unterbringung und Verpflegung der polnischen Internierten verantwortlich“
Begründung: Schutz vor übergreifenden Waldbränden und als Schutz-Zaun gegen Geissen. (Absoluter Unsinn)
Wer wollte die Mauer: Die Ortsgemeinden, welche das Weiderecht und Holzrecht vergaben? Oder gaben sie auf Druck des Kantons oder Bundes nach?
Die Ausführung: Begonnen auf der Forcarella Pt. 1642 und gebaut bis auf die Cima di Sassello, 1899m. Unvollendet und dennoch ein schier unglaubliches Denkmal. 1945 bis 1949.
Denkwürdig:  Arbeitsbeschaffung? Bewegungstherapie gegen Heimwehkoller? Ablenkung durch Bündelung der Energie? Dankbarkeit den „Gastgebern“?
Motivation:  Gehorsam. Kost und Logie. Sicherheit vor den Nazis. Hoffnung auf heile Heimkehr.
Helmut Kohl übergab den Polen einen Stein der Berlinermauer zur Versöhnung und bedankt sich für den aktiven Beitrag an die Wiedervereinigung Deutschlands.
Und die Schweiz?
Die Polenmauer zur Cima di Sassello wartet auf eine Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Schweizergeschichte. Schon 70 Jahre.
Euer Mauerläufer
(Gedanken eines Schweizers mit 800 Diensttagen während dem faszinierenden Aufstieg über die Polenmauer.)
Ewuska hat folgende wichtige Hintergrundinformationen unter Kommentare (testo italiano vede sotto) mitgeteilt, welche ich grob übersetzt wiedergebe:
„Danke Andreas für diesen Bericht! Du hast ein sehr interessantes Thema angeschnitten.
Zwischen dem 19. Und 20. Juni  1940 haben etwa 50‘000 Soldaten aus ganz Europa die Schweizergrenze bei der Flucht vor den Deutschen Truppen überschritten, ohne eine andere Wahl gehabt zu haben. Unter den Flüchtlingen waren 13‘000 Polen, davon etwa 500 Offiziere. Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat ihnen die Möglichkeit gegeben, Kurse, Schulen und Universität zu besuchen. Daraus gingen 111 Diplome der Technischen Hochschule, 53 Maturanden und 10 Doktoranden der Wissenschaft hervor.
Ursprünglich galt ein Arbeitsverbot für die Internierten. Doch der „Plan Wahlen“ hat angeordnet, sie in Arbeiten verschiedener Sektoren einzusetzen. Die Polen haben beigetragen bei 450km Strassenbau – darunter der Sustenpass – beim Bau oder Renovation von 63 Brücken, bei der Urbarmachung von 1000 ha Land, Roden von 1300 ha Wald und haben in Minen und der Landwirtschaft gearbeitet.
1945 kam eine zweite Welle von Flüchtlingen, doch ihr Los hat total gewechselt: Sie arbeiteten 14 Stunde pro Tag, wurden ausgenützt und unterzahlt….
Allerbeste Grüsse
Ewa“
 

Die Tour wurde bereits verschiedene Male beschrieben (z.B.: ivo66 und PStraub zwei Tage zuvor ). Die etwa 1 km lange Mauer kann zu 70% normal begangen werden. Ausgeprägte Umgehungen links und rechts bei kniffligen Stellen. (T4-)

Nachtrag vom 4. Oktober 2017: ES WAREN NICHT DIE POLNISCHEN INTERNIERTEN
David Coulin
hat in einem interessanten Artikel im "Die Alpen" des SAC die fundierte Erkenntnis geäussert, dass diese Polenmauer nicht von den Internierten Polen des II. Weltkrieges erstellt wurde. Aufmerksam wurde er, als er die eingemeisselte 1948 entdeckte. Die polnischen Internierten wurden jedoch bei Kriegsende 1945 entlassen. Dazu hat das Forstamt in Gorduno einen Abrechnungsrodel von 1950. Daraus geht hervor, dass Einheimische am Mauerbau arbeiteten.
Inwieweit Polnische Internierte eine bereits bestehende Mauer flickten oder auch nach 1945 daran arbeiteten, ist offen. Ein Arbeitslager befand sich in Gorduno. Sicher ist, dass Einheimische traditionsgemäss noch heute die "Polenmauer" unterhalten und ausforsten.
 

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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Kommentare (25)


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bidi35 hat gesagt: sehr treffende Folgerungen Andreas
Gesendet am 26. Mai 2011 um 23:01
Auch im Dorf wo ich aufgewachsen bin, hatten wir polnische Internierte.
Auch sie mussten Arbeiten verrichten, die keinen Sinn machten!!

LG Heinz

Seeger hat gesagt: RE: sehr treffende Folgerungen Andreas
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:01
Ciao Heinz
Danke für Deine Antwort.
Es war schon ein Sinn dahinter: Arbeitsbeschaffung in gesicherten Verhältnissen.
Es war mein Ziel aufzurütteln und an die Internierten zu denken.
Cari saluti
Andreas

Ivo66 hat gesagt: ...Polenmauer
Gesendet am 26. Mai 2011 um 23:05
Danke Andreas, für Deine Zeilen, die etwas zum Nachdenken anregen. Bei der Begehung dieser Mauer vor Kurzem hatte ich irgendwie auch ein mulmiges Gefühl, aber nicht etwa wegen den Tiefblicken.

Tanti saluti, Ivo

Seeger hat gesagt: RE:...Polenmauer
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:03
Ciao Ivo
Deine Reaktion hat mich gefreut. Ich habe mich nämlich auf Deinem ausgezeichneten Bericht schlau gemacht.
Erst im Nachhinein habe ich bemerkt, dass ich so versessen war, dass ich das Photographieren vergessen hatte ;-)
Cari saluti
Andreas

maawaa hat gesagt: Polenmauer
Gesendet am 26. Mai 2011 um 23:32
Vielen Dank für diesen lesenswerten Bericht zu einem Thema das mir bisher völlig unbekannt war...

Viele Grüsse..
Marco

Seeger hat gesagt: RE:Polenmauer
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:04
Ciao Marco
Genau dies war mein Ziel. Diese Mauer auf eine etwas spezielle Art bekannt zu machen.
Offensichtlich ist mir dies auch gelungen :-))
Cari saluti
Andreas

trainman hat gesagt:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 03:51
Sehr interessanter Geschichtsunterricht! Ich bin auch schon mal ein Stück auf dieser Mauer marschiert und habe mich gefragt,wer sowas mitten ins Gelände stellt.
Beste Grüsse
trainman

Seeger hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:06
Ciao trainman
Interessant, dass es Allen so geht.
Ich habe versucht, meine Emotionen in Worte umzusetzen. Danke für die Antwort.
Cari saluti
Andreas

Jules hat gesagt:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 07:01
Non ho capito tutto, ma sicuro il concetto è passato! Davvero interessante. Grazie!

Seeger hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:08
Ciao Giuglio
Un testo un poccino difficile ;-)
Ma per me è anche troppo difficile di tradurre. Scusi!
Cari saluti
Andreas

laponia41 hat gesagt: Betroffenheit
Gesendet am 27. Mai 2011 um 08:20
Mein Vater bewachte während des Aktivdienstes Internierte im Wauwilermoos. Der Vater eines Schulkameraden war Pole. Dein Bericht löst in mir eine ganz persönliche Betroffenheit aus.

LG Peter

Zaza hat gesagt: RE:Betroffenheit
Gesendet am 27. Mai 2011 um 08:31
und meine Grossmutter hatte ein Techtelmechtel mit einem der polnischen Internierten in ebendiesem Lager, was wiederum ihre Eltern gar nicht toll fanden...

Gruess, zaza

Seeger hat gesagt: RE:Betroffenheit
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:23
Ciao Zaza
Jetzt begreife ich Deine Grundhaltung.
Dieses Umfeld hat sicher Deine Berufswahl beeinflusst.
Danke für den Beitrag.
Cari saluti
Andreas

Seeger hat gesagt: RE:Betroffenheit
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:10
Ciao Peter
Danke für Deinen Beitrag.
Ich schwanke zwischen Bewunderung, Anerkennung und ungutem Gefühl. Aber ich empfehle jedermann, sich die Mauer anzuschauen und seine eigenen Gedanken machen.
Cari saluti
Andreas

Seeger hat gesagt: RE:Betroffenheit
Gesendet am 27. Mai 2011 um 20:08
Ciao Peter
Was so ein "schräger" Bericht für Emotionen auslöst!
Danke für Deinen Beitrag.
Cari saluti
Andreas

PStraub hat gesagt: Ja, aber ..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 10:39
"Die Polenmauer zur Cima di Sassello wartet auf eine Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Schweizergeschichte. Schon 70 Jahre."

Kein Zweifel, während der Kriegszeit hat sich die offizielle Schweiz nicht nur ehrenvoll verhalten. Die Internierten mussten zum Teil Werke erstellen, die völlig sinnentleert sind. Aber auch andere: Strassen, Stauanlagen, Meliorationen.
Und sinnlose Aktivität dürfte auch dir mit 800 Diensttagen nicht ganz unbekannt sein ;-)
Tatsache ist, dass die internierten Polen der Schweiz für die Aufnahme dankbar waren - und bis heute sind. Ihre Alternative wäre Kriegsgefangenschaft in Nazi-Deutschland gewesen. Und da machte sich keiner Illusionen, was das für einen Polen geheissen hätte ..

Wir sind übrigens zwei Tage vor dir (nach langer Zeit wieder einmal) über diese eindrückliche Mauer aufgestiegen.

Seeger hat gesagt: RE:Ja, aber ..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:27
Ciao PStraub
Danke für Deinen Beitrag.
Habe in diesem Fall den Eintrag im Gipfelbuch gesehen. War der angeknabberte Apfel von Euch?
Cari saluti
Andreas

PStraub hat gesagt: RE:Ja, aber ..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 19:47
Hallo Andreas
Gipfelbuch ja (Foto darum in http://www.hikr.org/tour/post35987.html); Apfel nein, der ist uns auch schon aufgefallen.

Gruss Peter

Seeger hat gesagt: RE:Ja, aber ..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 20:02
Ciao PStraub
Danke für den Link :-))
Gruss
Andreas

Henrik hat gesagt: ...mein Vater war in Arisdorf
Gesendet am 27. Mai 2011 um 10:53
(Kanton BL) als Internierter untergebracht...er durfte weiter studieren in Basel...

Es bedarf einer andern Sichtweise was den Bau der Mauer in Sachen Transhumanza anbetrifft: auf dem uns allen bekannten Pizzo Bombögn verläuft auch eine Mauer (deren Ziel genau das war..) - siehe dazu auch diese Kurzbeschreibung f.hikr.org/files/488396.jpg. Weiter auch hier ein aufschlussreicher Satz im Artikel der apav...
www.apav.ch/de/Restaurierungen/bombogn.htm: zum Schuttz der Felder von den Ziegen errichtet.

Interessant finde ich, dass sowohl am Pizzo Bombögn wie am Sassello beide Mauern 1948 entstanden sind...

Ein ganz grosses Lob Seeger gehört dir aber, dass du Geschichte aufleben lässt und das bereichert uns alle auf hikr!

Herzlichen Dank

silberquäki

Seeger hat gesagt: RE:...mein Vater war in Arisdorf
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:29
Ciao Henrik
Danke für das Lob und die Links.
Die Mauer am Bombögn scheint von den gleichen Baumeistern erstellt worden zu sein.
Cari saluti
Andreas

Henrik hat gesagt: Mauer auf dem Pizzo Bombögn..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:35
wurde nicht im Auftrag der Eidgenossenschaft gebaut. sondern (wie immer das gleiche Datum zu interpretieren ist) von Einheimischen aus Cevio (siehe dazu das Faltprospekt www.pietraviva.ch/pic/2006/06/1149843153/Bomb.pdf...

Seeger hat gesagt: RE:Mauer auf dem Pizzo Bombögn..
Gesendet am 27. Mai 2011 um 14:31
Danke für die Abklärung
Salutoni
Andreas

Ewuska hat gesagt: Polacchi internati
Gesendet am 28. Mai 2011 um 16:20
Grazie Andreas per questa relazione! Hai toccato un argomento molto interessante.
Tra 19 e 20 giugno del 1940 circa 50.000 soldati da tutta europa, in ritirata dinanzi
all’avanzare delle truppe tedesche, non avendo alternative hanno scelto l’internamento oltrepassando il confine Svizzero . Tra i rifugiati c’erano 13. 000 polacchi tra quali circa 500 ufficiali.Il governo Helvetico ha dato a loro la possibilità di frequentare i corsi, le scuole e le università, ciò ha fruttato di 111 diplomi di Istituti Tecnici, 53 lauree e 10 dottorati di ricerca. Inizialmente vigeva il divieto di lavoro per gli internati ma il Piano Wahlen ha obbligato introdurgli nei lavori inerenti ai diversi settori. I polacchi hanno contribuito alla costruzione di 450 km di strade tra quali quella del Sustenpass, costruzione o ristrutturazione di 63 ponti,hanno bonificato 1000 ettari di terra, tagliato 1300 ettari di boschi, hanno lavorato nelle miniere e in agricoltura. Nel 1945 arriva una seconda ondata di rifugiati ma la loro sorte cambia decisamente: lavorano 14 ore al giorno,vengono sfruttati e sottopagati...

Tantissimi saluti
Ewa

Seeger hat gesagt: RE:Polacchi internati
Gesendet am 29. Mai 2011 um 19:22
Ciao Ewa
Grazie per le relazione.
Ho tradotto in Tedesco a agguinto al mio rapporto.
Cari saluti
Andreas


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