Val Sementina/Val Progero: Dann halt auf die Cima di Morisciolo!


Publiziert von Seeger , 4. April 2011 um 20:33.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum: 1 April 2011
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Gruppo Cima dell'Uomo   CH-TI 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 5519 m
Abstieg: 1763 m
Strecke:9.89km: Capanna Alpe Mognone 1460m – Alpe di Morisciolo 1718m – Cima di Morisciolo Pt. 1906– Capanna Alpe Orino 1395m – Monti del Laghetto 1108m – Caslitt 840m – Gudo 220m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Aufstieg von Sementina Posta (Bus ab Bellinzona) 2 ½ Std. T2, wrw-markiert
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bushaltestelle Gudo chiesa, Richtung Locarno oder Bellinzona
Unterkunftmöglichkeiten:Capanna Alpe Mognone, komfortabel und wintertauglich, Getränke im Verkauf, keine Essensvorräte, WC mit Spülung. Traumhafte Lage auf einem Balkon über der Magadino-Ebene mit Blick auf den Lago Maggiore und Luganersee.
Kartennummer:1313 Bellinzona

Allein übernachtet in der Capanna Alpe Mognone 1460m, habe ich mir heute eine heikle Aufgabe gestellt, nachdem mir gestern beim zweiten Anlauf der Alte Weg von Ör Piatto nach Monte di Dentro  gelungen ist: Über Calarescia zum Rio Sementina hinunter. Auch ein uralter Alpweg. Voller Energie stapfe ich „sonnenhalb“ auf einem kleinen Trampelweg zur Alpe di Morisciolo 1718m. Der offizielle Weg (wrw-markiert) liegt im oberen Teil „schattenhalb“ unter knietiefem Sulzschnee. Die Älpler von anno dazumal kannten dieses Phänomen und legten einen frühlingstauglichen Weg. So stehen zwei Wege zur Auswahl. Mit Schnee und ohne Schnee.
Jetzt bin ich mal gespannt, ob ich nach Calarescio hinunter steigen kann. Ich tigere auf der Anhöhe der Alp ganz nach hinten, dann wieder nach vorne und äuge ins Val Sementina (nach rechts) hinunter. Hier müsste mein Weg beginnen. Grosse Schneewechten neigen sich bedrohlich auf meine vorgesehene Einstiegsstelle. Und dort durch das Tälchen, welches 20m weiter unten ein Einstieg bedeuten könnte? Schnee…Schnee…Schnee. Also, ohne gross Tränen zu verlieren, kremple ich mein Programm um. Und weil ich nicht so ganz eine faule Runde drehen will, entschliesse ich mich kurzerhand für die Cima di Morisciolo Pt. 1906, 200 hm über mir und auf der Sonnenseite. Das heisst, dass ich auf apern Abschnitten hinauf hüpfe bis es nicht mehr weitergeht. Der weitere Grat bleibt mir verwehrt. Dieser Aufstieg belohnt mich mit einem wunderschönen Ausblick. Jede Himmelsrichtung bietet etwas Aussergewöhnliches. Sei es der See, die nahe Kette der Cima d’Erbea, Gaggio, Cima dell Uomo, Madone und Pizzo Vogorno oder der Blick ins Val Marobbia, Traversa und Mesocco.
Eines habe ich mir jedoch nicht überlegt. Diese Magadino-Ebene, welche so schön anzuschauen ist, liegt auf rund 230m ü.M. Und ich bin auf 1900. Nach Adam Riese 1700 Höhenmeter Differenz. Schnell gesagt, aber DIE MUSS ICH HINUNTER! Wie soll ich dies anstellen? Ein Blick auf die Karte Bellinzona 1313 und ich fasse den Entscheid: Hinunter über das Val Progero. Also zurück auf die Alpe Morisciolo, dann dem wrw-markierten Wanderweg leicht rechts haltend in den Wald hinein zur Capanna Alpe Orino 1395m. Ich entdecke dort eine eingerammte Türe, verschliesse sie provisorisch. Vandalismus. Was ich erst später in Erfahrung bringen werde ist, dass auch Fenster eingeschlagen und im Innern der im Winter verschlossenen Hütte das Inventar demoliert wurde. Mittagessen Menü 1 mit Apfel und Schokolade zum Dessert auf dem Bänklein vor der armen Hütte an der wärmenden Sonne.
Wieder ein Stück Schneestapferei, dann im Wald hinunter nach Monti del  Laghetto 1108m. In Ausnützung der Thermik schweben Gleitschirme über mir. Dann sogar ein Segelflieger. Lärm einer Motorsäge. Der Tessiner unterbricht seine Arbeit und lädt mich zu einem Kaffee Grappa ein. Daraus werden drei und eine Plauderstunde. Ich melde ihm meine Beobachtungen in der Capanna Alpe Orina und er bittet mich, dies dem Hüttenchef, Herrn Antonini, mitzuteilen. Grazie mille per l’ospitalità!
Gleich nach der letzten Hütte von Monti del Laghetto führt ein nicht offizieller, aber dennoch wrw-markierter Weg ins tief eingeschnittene Val Progero hinunter nach Caslitt 840m. Abenteuerlicher Weg, jedoch picco bello herausgeputzt. Reiche Flora. Caslitt ist sehr gepflegt. Sogar ein Kalender ist an der Eingangstüre angebracht, aufgeschlagen ist April 2011! Welch ein Unterschied zu Ör Piatto, wo die Zeit 1966 stehen geblieben ist.
Nun immer wilder zum Fluss hinunter und diesem auf der rechten Seite entlang. Das Rauschen widerhallt in den steilen Felswänden. Und da – das darf nicht wahr sein – ein Steg. Das heisst zwei. Der linke ist der alte mit einseitigem Holzgeländer, der rechts mit einem Drahtseilgeländer. Was für die Einen die Slackline, ist für den Progerawanderer das Balancieren über die Stege. Als Alternative böte sich das Heruntersteigen zum Fluss an. Heute kein Problem, da wenig Wasser. Aber das Kind im Manne übernimmt gleich die Kontrolle über mich. Konzentration – 15 Schritte – Aufatmen. Auf der linken Flanke geht’s nun weiter bis zum nächsten Steg. Noch viel schlimmer. Zwei aufgesägte Baumhälften liegen in 120°-Winkel über einen Steinklotz gekreuzt. Oberfläche rutschfest eingesägt. Nochmals Konzentration – 10 Schritte – Konzentration – 15 Schritte – Aufatmen. Geschafft. Schon bald beginnen die Rebenhänge und blühende Obstbäume und meine Knie schlottern. Zu wenig Kalorien. Meine Reserve-Schokolade löst sich in Einzelteile auf und verschwindet im gierigen Schlund. Das Schlottern hört auf.
Landung in Gudo 220m. Die Bushaltestelle schnellen Schrittes erreicht. Ich könnte ja den Bus verpassen. Super. In 8 Minuten fährt er. Oder sollte fahren.
Eine halbe Stunde später rauscht er an.
Scusi, der Verkehr. Mir ist alles klar. Freitag-Abend-Verkehr.
Der Alltag hat mich wieder fest in seinem Griff. 

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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