Tristelhorn (3114m) - sott mögli sii...


Publiziert von mde , 15. Februar 2011 um 07:56.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Surselva
Tour Datum:12 Februar 2011
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Ski Schwierigkeit: AS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   CH-SG 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 1700 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Flims - Fidaz - Bargis mit dem Langlauf-Shuttlebus, ab P.1240 besteht Fahrverbot für den Privatverkehr, ebenda gibt es einen kostenpflichtigen Parkplatz.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Die Strasse zum Gigerwaldsee ist unmittelbar hinter Vättis bis gegen Ende Mai mit einer Barriere gesperrt, auch wenn sie bis zum See aper ist.

Weder in der Literatur noch im Internet finden sich Hinweise darauf, dass das Tristelhorn im Winter als Skitour begangen wird. Und dies obwohl mir das Kartenstudium eine steile, interessante und exotische Spezial-Skitour weismachen will. Aber ob es wirklich geht? Trotz einiger Fotos auf hikr.org, die einen gut machbaren Südaufstieg (1) und eine wilde Nordabfahrt (2,3,4) zeigen, bleibt das vorerst im Ungewissen. Umso grösser ist der Reiz, es auszuprobieren.

Im extrem schneearmen Februar 2011 stehen die Vorzeichen günstig: die Lawinengefahr wird schon seit Tagen mit Stufe "gering" gemeldet und nachdem zwei Kollegen von der Tour überzeugt wird, geht es los. Die Sache entpuppt sich als logistisch leicht anspruchsvoll. Mit öV nach Flims, dann mit dem Langlauf-Shuttle zur Hochebene von Bargis, wo wir um Punkt 10.00 Uhr starten. Früher los geht's nur mit Übernachtung ebenda, am Tag unserer Begehung war ein zeitiger Aufbruch aber nicht zwingend.

Bei P.1534 überqueren wir die Brücke und folgen dem Forstweg ins Val Lavadignas. Wenn man einige Male über aperen Waldboden tritt, lässt sich gerade noch alles mit den Ski begehen. Ab der Waldgrenze auf 1700m ist die Schneedecke dann geschlossen. Kompakter, tragender Frühlingsschnee, noch ungespurt, so macht's Freude. Im Aufstiegssinn alles rechts (östlich) vom Bach geht's hinauf, ab P.2003 dem Sommerweg entlang, nach Mirutta, P.2334, wo wir nach knapp 90 Minuten Aufstieg eine ausgiebige Pause bei sommerlichen Temperaturen machen.

Der Weiteraufstieg durch das liebliche, sonnige Hochtal in die Lücke rechts des Klein Glaserhorns (P.3074) ist dann offensichtlich und gegeben. Der Hang wird immer steiler und hat zuoberst gut 35 Grad Neigung, da breit und offen, ist der Aufstieg aber einfach (ca. ZS). Als ich um 13.00 Uhr die Lücke (ca. 3040m) betrete, ist der Sulz im Südhang "al dente" und eine Abfahrt zurück nach Süden würde locken. Ich warte jedoch die baldige Ankunft meiner Begleiter ab: während sie gleich aufs grosse Plateau abfahren, statte ich noch dem Klein Glaserhorn (P.3074) einen Besuch ab - erst noch über die Nordflanke mit Ski, die letzten Meter dann problemlos zu Fuss.

Dann mache ich mich auch auf den Weiterweg zum Tristelhorn. Dessen NE-Flanke ist gehörig steil (40-45 Grad, ca. S+), lässt sich aber mit den Ski begehen. Harscheisen wären aber dienlich gewesen, wenn man sie rechtzeitig montiert hätte und dies nicht in der Eile, seine Kollegen wieder einzuholen, unterlassen hätte. Etwa 50hm unter dem Gipfel wechselt man auf einer Art Schulter in die SE-Flanke und kommt so mit Ski an den Füssen bis vor den Gipfelturm. Dort wartet noch ein Boulderproblem (ca. UIAA III): erst will der überhängende Einstieg hoch antretend überwunden werden, danach geht's etwas plattig weiter. Der Gipfelblock ist aber nur etwa 5m hoch und die Kletterstelle ist nicht überaus exponiert.

Um 14.00 Uhr sind wir alle oben, allzu geräumig ist der Gipfel zwar nicht, doch zu dritt haben wir Platz und geniessen das Ambiente fast eine Stunde lang. Gut im Steinmann versteckt hat es auch ein Gipfelbuch. Seit 1987 sind erst zwei, drei Dutzend Seiten voll. Wie sich zeigt, gibt es von Süden pro Winter jeweils 1-2 Besuche mit Ski. Von Norden ist in all den Jahren nur eine einzige Begehung mit Ski eingetragen. Das Abklettern des Gipfelturms mit den Skischuhen ist dann ein kleiner Challenge, um 15.00 Uhr starten wir dann mit der Abfahrt.

Die NE-Flanke am Tristelhorn ist gerade richtig zum Aufwärmen, auf dem Plateau unterhalb folgt dann nochmals ein kurzes Flachstück bis zur Kante des grossen Nordkessels zwischen Stock und Glaseregg. Über gut 800hm geht es hier ziemlich "s Loch ab", die Durchschnittsneigung beträgt ca. 42 Grad. Zum Vergleich: das ist eher mehr als in der gleich hohen Hausstock NE-Flanke, wo es von der Einfahrt am Nordgrat bis zur Ausfahrt bei der Hausstockegg im Schnitt "nur" ca. 40 Grad sind.

Im erwähnten Nordkessel liegt nicht allzu viel Schnee, viele Felsrippen sind sichtbar, aber eine durchgehende Befahrung ist problemlos und ohne Einschränkungen möglich. Der Schnee ist hart, aber ziemlich glatt und schön griffig. Ideale Bedingungen für eine solche Steilabfahrt - halt kein Pulver, aber da in dieser Flanke jeder Schneerutsch das Ende bedeuten könnte, ist uns das auch lieber so! Auf jeden Fall macht's viel Spass, durch die Wand zu cruisen. Eine gesunde Portion Vorsicht und ab und an eine Ruhepause, um die Oberschenkel wieder zu Kräften kommen zu lassen, ist aber durchaus nötig: ob man einen Sturz im 45-Grad-Gelände auf Hartschnee noch abbremsen könnte, ist höchst zweifelhaft, und wir wollen es keinesfalls draufankommen lassen.

Die Routenfindung ist nicht allzu schwierig, dennoch ist die Wand etwas unübersichtlich und es gibt durchaus Sackgassen. Etwas Grips und Vorausschauen sind also notwendig. Hier und da, vor allem an den Engstellen bzw. Steilstufen der Couloirs tritt auch Wassereis zu Tage. Um nicht mit Steigeisen und Pickeln zu Fuss absteigen zu müssen, fahren wir auf ca. 2450m eine ordentlich steile Rechtstraverse (50 Grad), exponiert über den Felsen. Als diese geschafft ist (puh!), ist die Ausfahrt frei, auch wenn es noch weitere 350hm so um 40 Grad steil runtergeht.

Stolz und Freude kommt im Kesselgrund bereits auf, wir folgen nun der Rinne und queren dann oberhalb des Helltobels zum P.1888 und weiter zum Schräawisli. Hier liegt nun aufgebauter Pulver, und es gibt noch einige schöne Schwünge. Vom Schräawisli geht's nach Tüfwald, und dem Sommerweg entlang, rechts der Tamina nach St. Martin am Ende des Gigerwald-Sees. Hier ist im Wald kurz etwas Portage nötig, das meiste kann aber gefahren werden.

Nun folgen die flachen, aber nie langweiligen 3.5km dem See entlang. Während sich meine Begleiter fürs Stöckeln entscheiden, montiere ich mit meinem schlecht gleitenden "Altholz" die Felle, brauche aber fast 10 Minuten länger für die Seepassage. Durch die Tunnels müssen die Skis getragen werden, immerhin hat es Licht. Doch einer der Tunnels ist auf 100m Länge wie eine Eisbahn vereist, gehen wie auf rohen Eiern ist angesagt!

An dieser Stelle eine Warnung zur Passage am Gigerwaldsee: die Strasse ist dem Eis- und Steinschlag, sowie auch Lawinen ausgesetzt. Bei viel Schnee, gegen den Frühling hin, bzw. immer dann wenn bereits grosse Lawinen abgegangen sind, können die Tunneleingänge verschüttet sein. Dann kommt man nicht durch, die Tunnels können nicht umgangen werden! Ich hatte von dieser Problematik im Vorfeld gehört, dachte mir aber, da sei wohl ziemlich Folklore dabei, und man werde sich seinen Weg mit alpinen Kenntnissen immer bahnen können.

Doch, nachdem ich mir nun mein eigenes Urteil bilden kann: es ist keine Folklore! Im Wirtshaus in Vättis staunten die Leute sogar aktuell, als wir erzählten, woher wir kämen. Die Passage des Gigerwaldsees sei im Winter fast nie möglich. In dem Sinne hatten wir Glück, zu einer solch schneearmen Zeit unterwegs zu sein. Wer also die Tour wiederholen will, der erkundige sich im Vornhinein genau über die Verhältnisse am Gigerwaldsee (ich weiss leider auch nicht wo, es dürfte schwierig bis unmöglich sein, verlässliche Infos zu erhalten). Im ungünstigsten Fall wartet ab St.Martin ein Wiederaufstieg zum Heidelpass mit Abfahrt nach Weisstannen (1000hm, Achtung Wildschutzgebiet, die Begehung ist verboten, aber im Notfall...), zur Trinser Furgga (1200hm) oder gar zum Sardonapass (1500hm).

Vom Ende der Staumauer folgen wir dann dem weiss-rot-weiss markierten alten Walserweg rechts der Tamina. Erst noch kurz fahrbar, dann nochmals 500m Portage durch den steilen Wald hinunter, ab Luterenzug bis Isig Brugg (P.1060) dann wieder auf den Ski. Die Strasse nach Vättis hinunter ist dann geräumt, jedoch am Rand teilweise fahrbar. Leider verpassen wir den Postautokurs um 17.44 im (hohen) einstelligen Minutenbereich, also gibt's einen Besuch im Restaurant Calanda. Für die gesamte Abfahrt haben wir fast 3 Stunden gebraucht, viel schneller geht's kaum, man berücksichtige dies bei der Tourenplanung!

Fazit:

Eine geniale Tour! Sanfter, lieblicher, sonniger und einfacher als erwartet im Aufstieg, wilder, eindrücklicher und schwieriger wie erwartet in der Abfahrt. Der von uns gefahrenen Linie gebe ich ein AS, wenn man die beschriebene Querung auf 2450m vermeiden kann, so reicht SS+. Der Nordkessel und der Weiterweg dem Gigerwaldsee entlang ist wohl nur sehr selten machbar - von daher bin ich glücklich, dass wir diese, sich bietende Gelegenheit packen konnten!

Material:

Wir führten Steigeisen und Pickel mit, setzten sie jedoch nie ein. Zum Klein Glaserhorn dürfte man immer ohne diese alpinen Hilfsmittel gelangen, zum Tristelhorn mögen sie bei ungünstigen Verhältnissen hilfreich sein, meist wird es gut ohne gehen. Für die Steilabfahrt gehört das Material meines Erachtens aber zwingend in den Rucksack. Wenn sich eine Blankeisstufe in den Weg stellt, oder eine Querung zu Fuss bewältigt werden muss, so ist man ohne bald einmal aufgeschmissen.

Tourengänger: mde


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Kommentare (5)


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Sputnik Pro hat gesagt: Der Hammer!
Gesendet am 15. Februar 2011 um 10:25
Gratuliere Euch zu dieser Extremtour! Der Bericht liest sich richtig abenteuerlich und die Fotos unterstreichen die Steilheit vom Gelände.

Weiter so! Gruss und unfallfreie Steilabfarhrten :-)

Sputnik

Alpin_Rise hat gesagt: Congrats!
Gesendet am 15. Februar 2011 um 11:31
Macht Differenz Null im alpinen Differenzler: Tristelhorn Überschreitung angesagt - gemacht!
Ziemlich wild die Sache und wies aussieht, wären die Verhältnisse für mein Projekt durchaus passend gewesen?
G, Rise

mde hat gesagt: RE:Congrats!
Gesendet am 15. Februar 2011 um 11:53
Im alpinen Differenzler zwar Differenz 0, im Zeitmanagement aber Differenz +2. Nämlich 2 Stunden später den Bus in Vättis genommen als ursprünglich gedacht. Die erste davon auf dem Gipfel genossen, die zweite zum grössten Teil mit Warten auf den Bus in der Beiz, nachdem es von St.Martin nach Vättis doch etwas länger brauchte als gedacht.

Für Dein Projekt wär's tatsächlich gut gewesen, schöner Sulz, die Flanke in gutem Zustand, oben wohl ca. 35-40 Grad, die Ausfahrt ist aber schon auch gute 45 Grad. Zeitlich hätte es am letzten Weekend auch mit dem ersten öV-Kurs wohl noch gut für die Abfahrt gereicht, später im Jahr muss man dann wohl übernachten, oder per Auto bis zum P.1240 anreisen.

Gruss, Marcel

lorenzo hat gesagt: Ein Meisterstück!
Gesendet am 16. Februar 2011 um 20:57
Bestnote für Idee, Planung, Konzept, Durchführung und Dokumentation!

Herzlichen Glückwunsch!

lorenzo

matt hat gesagt: ungläubiges staunen
Gesendet am 23. März 2011 um 21:41
Wow!! Was für eine verwegene Tour. Der Südaufstieg sieht wirklich gut aus und ich würde auch definitiv wieder auf dieser Seite zurückkehren... ;-).

Ich bin wirklich hin und hergerissen zwischen Lob und Tadel... aber da alles gut gegangen ist, überwiegt das Lob.


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