Muztagata 7546m Solo - Skitour


Publiziert von Bergneger , 1. Februar 2011 um 21:25.

Region: Welt » China » Pamir
Tour Datum:29 Juli 2007
Ski Schwierigkeit: L
Wegpunkte:
Geo-Tags: RC 
Zeitbedarf: 33 Tage
Aufstieg: 4000 m
Abstieg: 4000 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Karakorum Highway
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Karakorum Highway
Unterkunftmöglichkeiten:Jurten, Zelte


Nachdem ich schon paar exotischen Berge bestiegen habe, wollte ich einen noch höheren und herausragenden Berg besteigen und zwar mit Tourenski und solo.

Ich benötigte 3 Hochlager (Camp: C1, C2, C3) während des Aufstieges. Der Höhenunterschied zwischen den Camps betrug etwa 700m. Ausgangspunkt war das komfortable  Basecamp (B.C.) auf 4400m Höhe und einfach per pedes erreichbar.

Mit solo meine ich, daß mir für den Gepäckstransport uigurische Kamele bis 4400m, Esel bis 5300m und Hochträger bis 6800m zur Verfügung standen. Im Basecamp wurde ich von einem chinesischen Koch und einem Dolmetscher betreut.

Wir waren eine Gruppe von 5 Bergsteigern, wobei zwei der Bergkameraden und ich unabhängig voneinander den Gipfel erreichten. Unser Ziel war es, solo den Gipfel zu erreichen. Es gab keine gegenseitigen Verpflichtungen oder Verantwortungen. Es gab die Vereinbarung bei einem Notfall keine Kameradensuche oder Kameradenbergung zu leisten. Eine Bergrettung gibt es am Muztagata nicht und Helis wie in Zermatt auch nicht!

Der Muztagata ist  zwar ein technisch leichter Berg, aber ziemlich hoch und deswegen nicht zu unterschätzen und für viele  Bergsteiger eine Todesfalle!

Voraussetzung für den Muztagata solo ist eine durchschnittlich gute Ausdauer, eine überdurchschnittliche mentale Stärke, Robustheit, Höhenerfahrung und Höhentoleranz ohne künstlichen Sauerstoff! 

Mit durchschnittlich guter Ausdauer meine ich, daß ein Halbmarathon oder eine 10-stündige Bergtour wie der Weg zum Briefkasten sein sollte.

Mit überdurchschnittlicher mentaler Stärke und Robustheit  meine ich, daß ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, daß es mehrere Tote am Muztagata paar Tage vor meinem Aufstieg gegeben hat  und nur ein einziger Bergsteiger in den letzten Wochen den Gipfel erreicht hat und daß ich minus 20°C im Zelt in 6800m nicht als unangenehm empfunden habe. Auch das Bewusstsein, daß ich am Berg  ganz auf mich gestellt bin und mir in einer Notsituation kein Bergretter oder Bergkamerad helfen wird.

Die Todesursachen der Muztagata Bergsteiger waren Herzversagen, Höhenkrankheit, im Zelt erfroren und verdurstet, im whiteout verirrt und am Berg verschollen. Eine Österreicherin hat schwer höhenkrank überlebt und ist hinunter ins B.C. von 4 Kraftlackeln mit größter Mühe geschleppt worden.

Mit Höhenerfahrung und Höhentoleranz meine ich, daß ich im Hochlager C3 (6800m) zwei mal wie ein uigurisches Murmeltier bis spät in den Vormittag gepennt habe. Einmal vor dem Aufstieg zum Gipfel (7546m) und das zweite mal nach der Gipfelbesteigung und der  Skiabfahrt wieder bis zum Hochlager C3 (6800m). Dort hat mir ein Kärntner Bergsteiger großzügigerweise sein Zelt überlassen, da er aufgrund seiner Akklimatisationsstrategie nach unten abgefahren ist. Sonst hätten wir zu dritt in einem Zweimannzelt pennen müssen, was sicher nicht lustig gewesen wäre.

Ganz wichtig ist die Strategie für den Gipfelsieg: Ausreichende Akklimatisation, keine übertriebene Hast oder Hektik und das Warten auf eine gute Wetterprognose (von Charly Gabl).

Zwei gute und  bewährte Daunenschlafsäcke (für minus 20°C)  sind günstig, weil man vom B.C. über 3 Camps zum Gipfel geht und einen davon unten und den anderen oben benutzen kann.

Ein Eispickel ist nützlich, um einen Platz fürs Zelt auszuhacken, aber nicht notwendig. Klettergurt, Steigeisen, Seil und Lawinensuchgerät kann man getrost zu Hause lassen. Es gibt keine Lawinengefahr und auch keine gefährliche Spalten. Wenn man solo über den Gletscher geht, nützen solche Dinge ohnehin nichts und sind nur Ballast.

Empfehlenswert ist ein GPS, falls man ins whiteout kommt oder in einen unerwarteten Wetterumschwung, um sich nicht zu verirren. Ich hatte jedenfalls kein GPS  mit und brauchte es auch glücklicherweise nicht! Alternativ zum GPS kann ein Kompass auch den Zweck erfüllen.

Sehr praktisch ist auch eine Mülltüte, die du voll mit Schnee schaufelst und dann ins Zelt schaffst. Damit kannst du dir dann 2 bis 3 Liter kochendes Wasser zubereiten!

Für "Frostbeulen" ist in der Nacht eine Urinflasche empfehlenswert! In der Nacht verspürst du mehrmals wegen der Dehydrierung in dieser Höhe ein Bedürfnis. Ich persönlich finde, es hat Charme in der Nacht mehrmals aus dem warmen Schlafsack zu kriechen und bei minus 20°C vors Zelt zu treten. Du wirst mit einem traumhaften, atemberaubenden, unglaublich hellen Sternenhimmel belohnt. Deine Sinne werden erfrischt und du hast danach einen wunderbaren Tiefschlaf.

Ganz angenehm ist es, wenn du einen mp3 Player und ein interessantes Buch dabei hast, weil pro Liter Schneeschmelzen eine 3/4 Stunde vergeht und du brauchst mehrere Liter. Aber nur keine Panik, Zeit ist genug vorhanden. Ich hatte die "Nachrichten aus einem unbekannten Universum" von Frank Schätzing und die Sonaten und Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven im mp3 Player dabei.

Als Akklimatisationstouren habe ich vor meinem hochgesteckten Ziel vom "Kongur Camp" auf 4000m mehrere weglose und unmarkierte Hochgebirgswanderungen bis 5300m am Fuß des Kongur und des Muztagata unternommen. 

Mein 50kg schweres Expeditionsgepäck plus Küche und Lebensmittel wurde von Kamelen vom Karakorum Highway (3750m) bis  zum Basecamp B.C. auf  4400m getragen. Bis zum Gletscher (5300m) kamen Esel und Mulis zum Einsatz, welche Zelte, Ski, Gaskartuschen, Proviant, persönliches Gepäck zum Hochlager C1 (5300m)   hinauf trugen.

Danach schleppten meine beiden uigurischen  Hochträger das Equipement bis ins Hochlager C3 (6800m) - eine echte Ochsentour!  Aber meine beiden uigurischen Kraftlackeln haben es super geschafft und sind von mir auch entsprechend entlohnt worden (zusätzlich mit einer Stange Zigaretten und paar Bierchen!)

Vom Hochlager C1 (5300m) geht man dann mit Tourenski oder mit Schneeschuhen und meistens diretissima ohne Spitzkehren (25°) über die Hochlager C2  (6050m) und C3 (6800m), wo jeweils mindestens eine Nächtigung ratsam ist. Die letzten 200 Höhenmeter sind dann relativ flach (10°) und bis zum Gipfel (7546m) mit Tourenski begehbar. Die meisten Bergsteiger (Hongkong-Chinesen, Koreaner, Perser usw.) sind übrigens mit Schneeschuhen unterwegs.

Beim Aufstieg mußte ich wegen dieser Höhe, wo der Sauerstoff Partialdruck kaum mehr als 40% gegenüber Meeresniveau ausmacht, pro Schritt 3 bis 5 mal Luft holen. Bei der Skiabfahrt vom Gipfel  in einem Traumpulverschnee schaffte ich jeweils nur einen einzigen Schwung auf einmal, weil mir nach jedem Schwung die Puste ausging. Deswegen dauerte meine Skiabfahrt 700 Höhenmeter bergab bis zum Hochlager C3 eine gute Stunde. Für den Aufstieg von 6800m auf 7546m brauchte ich dagegen gute 6 Stunden !

Der Gipfel des Muztagata  ist  fast nicht zu übersehen! Ich wurde nämlich von einer oberösterreichischen Bergsteigerin (Angelika aus Seewalchen)  gefragt, wo denn eigentlich der Gipfel sei. Da ich auch noch nie vorher am Gipfel war und keine Karte oder GPS hatte, antwortete ich kryptisch und  zenbuddhistisch:  "Der Gipfel ist überall, du kannst ihn dir selbst aussuchen". Ich ging dann noch eine gute  Stunde bis zum Gipfel.

Statt eines Gipfelkreuzes gibt es Stoanmandln und jede Menge bunter Fahnen. Ich war offensichtlich on the top und very  happy, daß ich ganz oben war, es war schließlich schon nach 18 Uhr und ich hatte noch die Skiabfahrt zum Hochlager C3 zu bewältigen.

Vom Gipfel hat man ein traumhaftes Panorama und sieht bis weit in die Taklamakan Wüste und nach Tadschikistan hinein. Von unten leuchtet einem der Karakulsee entgegen. Der Kongur mit 7649m erscheint niedriger wegen der Erdkrümmung und der perspektivischen Verzerrung, obwohl er 100m höher als der Muztagata  ist. Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt vielleicht so ähnlich wie der afghanische Kosmonaut in seiner Sojus Raumkapsel. Die benachbarten 6000er erscheinen dir wie Berge in einer Modelleisenbahnlandschaft.

Die ganze Expedition mit der An-/Abreise über Kirgistan hat 33 Tage gedauert. 19 Tage davon waren wir am Berg, kürzer als gedacht, da wir ein ausgesprochenes Wetterglück hatten, nämlich 5 Tage Schönwetter während der Gipfelbesteigung. 

Daher konnten wir noch eine Wüstenexpedition in die Taklamakanwüste unternehmen, bevor es wieder Richtung Heimat über Kirgistan ging. Eine Teilstrecke in der Taklamakanwüste kannte ich bereits, da ich  2004 mit dem MTB von Kashgar zum Saga Dawa Fest und zur Kora beim heiligen Kailash Berg geradelt bin.



Epilog und  Trivia:

Durst und Hunger sind schlimmer als Heimweh, sagt ein altes germanisches Sprichwort !

Durst kam aber bei mir nie auf, weil es im B.C. auf 4400m Bier in Hülle und Fülle gab. Die 660ml bottle kostete 80ct und das chinesische Bier schmeckt und tut verdammt gut. Das haben die Chinesen den deutschen Braumeistern zu verdanken, die das Bier vor über 100 Jahren während der Kolonialzeit in China einführten.

Hunger oder einen Gusto auf ein Blunzengröstl oder einen Schweinsbraten mit Sauerkraut und Knödeln hatte ich auch nie, weil mein chinesischer Koch jeden Tag im B.C.  leckere mehrgängige internationale Menus auf den Tisch zauberte .

Heimweh kam auch nicht auf, denn es war super einen Monat lang kein iPod, iPad, iPhone, iMac, facebook, emails, youTube zu sehen!  Außerdem sind die Berge meine Heimat ...

Einziges Manko: es gibt keinen untersteirischen Welschriesling, Sämling88, Muskateller, Weißburgunder oder Chardonay in Westchina. Das konnte ich aber gut verkraften, ohne Entzugserscheinungen ;-) 

Tourengänger: Bergneger


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Kommentare (6)


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Bolivar hat gesagt:
Gesendet am 2. Februar 2011 um 09:54
Herzliche Gratulation zu diesem Gipfel, somit hast Du wahrscheinlich den höchst eingetragenen Wegpunkt auf hikr.org. Danke auch für die spannenden Eindrücke vom Expeditionsbergsteigen.
Gruess
Bolivar

MaeNi hat gesagt:
Gesendet am 2. Februar 2011 um 11:29
Toller Bericht, tolle Bilder - Gratulation dazu!

Herzliche Grüsse
M&N

alpstein hat gesagt:
Gesendet am 3. Februar 2011 um 18:48
Ebenfalls herzliche Gratulation.

Informativer und humorvoll abgefasster Bericht und tolle Fotos.

Grüße
Hanspeter

Condoriri hat gesagt:
Gesendet am 3. Februar 2011 um 19:19
Herzlichen Glückwunsch zu deinem Gipfel und der besonderen Reise!!! Respekt und Hochachtung, sowas alleine anzugehen...
Viele Grüsse
Jens

gehlebt hat gesagt:
Gesendet am 18. September 2012 um 19:30
toller Bericht und super Fotos, echt intressant. Danke dafür,
Grüße
Martin

MicheleK hat gesagt:
Gesendet am 25. Mai 2014 um 14:16
Super Bericht, informativ und humorvoll! Gratuliere zum hohen Berg!
Gruss,
Michele


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