Pötte statt Klassik.....Mit der Hurtigrute von Tromsø nach Bodø


Publiziert von Henrik , 28. August 2010 um 08:59.

Region: Welt » Norwegen
Tour Datum: 3 Februar 2009
Wegpunkte:
Geo-Tags: N 
Strecke:Mit dem Schiff von Tromsö nach Bodö
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV
Unterkunftmöglichkeiten:Die Hurtigruta bietet unzählige Varianten an zu reisen, essen und schlafen - bezahlbar!


Auf dem Rückweg bot sich die Gelegenheit, das Reisen des Heute mit dem des Gestern (historisch betrachtet) näher zu betrachten und zu beobachten. Dabei kommt mir Louis Vuitton in den Sinn – zwar sind seine Gepäckstücke schier unbezahlbar, doch er wusste um das Wesentliche und das mit Stil!
 

Dieser Rummel auf diesen Kästen von Schiffen – was für eine Unterschied zur „alten Dame" der Hurtigrute, der „NORDSTJERNEN"! Im Panorama-Abteil des Giga-Schiffes „POLARLYS" hocken die Passagiere wie im Hühnerstall in ihren Ledersofas, in Pantoffeln, das Glas (Fernglas) auf den runden Couchtischen, meist noch ein Buch (in der Hand haltend) und schauen wie Wendehälse um sich, um ja nichts zu verpassen. Unentwegtere tummeln sich auf dem Offen-Deck, das im Verhältnis zum Panorama-Deck spärlich ausfällt und dann noch überdeckt ist wie in einem Wintergarten....Jugendliche, die sich hier versuchen der Länge nach hinzuflezen, bekommen per Lautsprecher einen Hinweis, sie befänden sich auf einem Touristen-Schiff.....Abfall wie anderswo auch – alles wird liegengelassen, auch von ältern Semestern: es tut weh, das mit ansehen zu müssen. Kolonnen von Crew-Personal stehen sozusagen nach Verschwinden der Gäste im Hintergrund parat, Ordnung zu schaffen – es gilt den guten Eindruck zu erhalten, und den braucht auch die Hurtigrute, denn unlängst wurden acht Direktoren entlassen, aber die Löhne für zwei Jahre weiterbezahlt – und wie den aktuellen Nachrichten zu entnehmen ist, hat die SAS nun auch ihr Grounding, und soll in deutsche Hände (Lufthansa – Swiss)! Vor zehn Tagen standen auch die Winterfahrten der Hurtigrute auf dem Spiel: Oslo empfahl die Winterdestinationen im hohen Norden zu überdenken, da das Defizit täglich wächst und die Schiffe nicht ausgelastet sind – die „NORDLYS" wurde unlängst verkauft! Die Hurtigrute ist nicht gesichert – das Defizit beträgt beinahe eine Milliarde norwegische Kronen....das der SAS 5,8!


Damit keine Passagiere verloren gehen, haben, auch als Folge von 9/11 die Kreuzfahrt-Schiffe Bordkontrollen eingeführt mit EAN-Codes: Debarktion und Embarkation funktionieren wie im Flughafen – und seit ein paar Jahren wird empfohlen, nach der Rückkehr aufs Schiff die Hände zu desinfizieren – Noro-Virus-Prophylaxe – um diese Händedesinfektion wird auch gebeten, bevor man den Speisesaal betritt, freiwillig!
 

Die Birkenstock-Allianz ist gut vertreten, natürlich finden sich auch andere Leicht-Schuhe in Gebrauch – so kann man dann sozusagen gesund „befusst" locker durch die langen Gänge huschen oder sich leise in die Plüsch-Couchsessel fallen lassen; viertelstündlich wartet die Reiseleiterin mit Lautsprecherdurchsagen auf, um Infos, die natürlich auf in geschriebener Form vorliegen, den meist in Horden auftretenden Pauschal-Passagieren näher zu bringen, mit Seitenangabe des Folders, der überall aufliegt....und was in die Bäuche hier verschwindet, ist eine Betrachtung wert: in erster Linie zu fett, zu viel und zu oft und viel zu teuer!
 

Der Gwunder stupfte mich, ich wollte unbedingt Äpfel und Clementinen statt des triefenden Fetts – aus der Küche, implizit bezahlt, denn sogar das Trinkwasser aus dem Wasserhahn wird im Speisesaal vergoldet (in Glasflasche mit Bügelverschluss – 19 NOK). Clementinen fand die Dame hinter dem Tresen nicht, aber zwei Golden Delicious, die sie mir sogar noch wusch!
 

Am 4. Februar nach 16.30 (schon beinahe Nacht) wartete die POLARLYS mit einer speziellen Einlage auf – der im Winter offiziell nicht zugängliche Troll-Fjord (2.5 km lang, 100 Meter breit und 60 Meter tief, umgeben von zackigen Bergspitzen, die sich bis zu 1000 Meter in die Höhe schwingen) am Süd-Ende der auch schmalen Passage, dem Raftsund, wurde am Fjord-Mund angefahren und mit den Scheinwerfern des Schiffs angestrahlt – im Panorama-Deck surrten die Camcords obwohl das Licht bei weitem nicht ausreichte irgendetwas sichtbares auf den Monitor zu bringen, aber die Passagiere waren begeistert ob dem Manöver – ich verzog mich in den hintern Teil des Panorama-Decks!
 

Was würden denn die vielen Menschen heute tun ohne Handy, ohne Palmtops und ohne weitere digitale Unterhaltung – sie sitzen allerorten und spielen, sprechen wie versunken vor sich hin und dauernd erhascht man Bruchstücke von Geschäftsberichten, Excel-Tabellen, Einkaufslisten und auf Reisen natürlich ständig zu vervollständigende Reisebericht. Sei es auf dem Panorama-Deck, wo zu den Klängen Vangelis (Antarctica) leise durch die Gewässer gefahren wird, oder in der Cafeteria gleich vier Fernsehschirme mit vier unterschiedlichen Programmen um die Gunst der hungrigen Passagiere buhlen .....entziehen ist die einzigste Konsequenz – bis man einen Stock tiefer oder höher auf denselben Schwachsinn stößt! Ich wünschte mir Ruhezonen à la SBB oder DB.....
 

Die Passagiere sind untergebracht im System „Rollender Doppeldecker" – das waren die Roadtrains, die vor 30 und mehr Jahren aus Deutschland in die Sahara vorstießen und in denen zum Schlafen lediglich ein gruft-ähnlicher Schlafplatz zur Verfügung gestellt wurde. Das Drehen während des Schlafes ist bei solchen Verhältnissen beinahe unmöglich, sich aufrichten ausgeschlossen – in diesen „Särgen" wird man wohl eher schlecht als recht geschlafen haben – ich hätte Platzangst und so kam mir die Koje auch in der Polarlys vor! Die Qualität der vorgefundenen Matratze bewog mich beinahe, diese auf den Boden zu legen, aber der Platz war so beschränkt, dass ich das dann unterließ. Die sonstige Ausstattung ist eine Zumutung – was für nobles, wenn auch enges Leben auf der „Nordstjernen". Mit Messingglitter schafft man offensichtlich weltweit den Schwachsinn, dass Menschen glauben, sie seien gehoben unterwegs, ein bisschen GALA muss ja schliesslich jeden Tag sein. Und Klischees sind immer eine Notiz wert.
 

In Tromsø stieg eine Familie arabischer Sprache zu – die eine Dame fragte an der Reception in gutem Englisch: „Is there any entertainment during the night going on?", worauf die Hostess entgegnete, dass winters solches nicht angeboten würde. Später fand ich diese Dame dann schnarchend auf einem Liegestuhl vor...


Tourengänger: Henrik


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Kommentare (2)


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alpstein hat gesagt: Klasse!
Gesendet am 28. August 2010 um 09:27
Ein heiterer Bericht, der zum Schmunzeln einlädt.

Beste Grüße
Hanspeter

Sputnik Pro hat gesagt: Im Februar übern Polarkreis
Gesendet am 28. August 2010 um 10:20
Lustiger und aussergewöhnlicher Bericht. Weiter so Hendrik!

Gruss, Andi


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