Polysportiv am Gletscherhorn unterwegs...


Publiziert von AlpinHero , 15. Juni 2010 um 22:09.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Avers
Tour Datum: 6 Juni 2010
Ski Schwierigkeit: ZS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Zeitbedarf: 4:45
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 1100 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Chur - Andeer - Averstal - Cresta - Juppa
Unterkunftmöglichkeiten:Mehrere Hotel's resp. Pensionen im Averstal Cröt: die Walserstuba Cresta: das Capetta unter neuer Führung Pürt: Pürterhof Cresta: das Hotel Alpina Juf: Pension Edelweiss (Gruss an's Deti) => Ein richtiges Highlight fehlt zurzeit....aber allesamt passabel
Kartennummer:LK 1276, Val Bregaglia

Einsame dafür polysportive Tour im Val Bregaglia.

Resumée: Dieser Winter war nicht gerade von Rekordschneefällen geprägt...
Fakten: Die geilsten Skitouren gibts im Frühjahr - ausser das Wetter ist derart mies wie im Mai 2010.
Fazit: Wir praktizieren allerlei Verrenkungen, nur um doch noch DIE EINE Skitour anhängen zu können.

Der Winter 2009 / 2010 war ja nun definitiv nicht von grossen Schneemengen geprägt; dafür war Baumeister Wind meist eifrig mit von der Partie - wenn es denn mal einige Flocken gegeben hat.
Als ich mich an Auffahrt Richtung Belgien davonmachte, tat ich dies mit der Befürchtung, dass meine Skitouren-Saison dieses Jahr ungewöhnlich früh zu Ende gegangen sei; hatten wir doch bereits im April Verhältnisse wie sonst gute vier Wochen später im Frühling.
Aber siehe da...........nicht immer so pessimistisch mein Guter; denn das unsäglich garstige Wetter in der Zeit meiner Abwesenheit brachte in der Höhe nochmals Schnee in Hülle und Fülle und eröffnete mir somit die Gelegenheit zu einer Juni-Skitour.

So liess ich mich an jenem Sonntag-Morgen um halb Vier Uhr von meinem sadistischen Wecker dem Reich der Träume entreissen und vom hauseigenen Blues-Mobil mitsamt allen notwendigen Apperaturen ins Averstal transportieren.
Um halb sechs hätte ein interessierter Frühaufsteher beobachten können, wie ein einsames Männchen auf dem Parkplatz in Juppa sein umfangreiches Bündel schnürt, um das benötigte Equipement unter Behülfe eines Fahrrades ins Val Bregaglia zu säumen.
Da die meisten Tourenskifahrer aber bereits auf Badeanzug oder Wanderschuhe umgesattelt haben, wurde ich einzig von einem verwirrten Hinzugekommenen angelächelt; welcher auf meine Frage ob ich demnach doch nicht der einzige Anwesende mit einem Knall sei - lächelnd seine Angelrute gezückt hat.
Ein Blitzvergleich der benötigten Materialmengen spricht übrigens eindeutig fürs Angeln..... :-)

"Jä nu"....nach Bewältigung der Schlüsselstelle (also dem Aufsteigen aufs Fahrrad mit Sack und Pack) nahm ich die mir bereits bestens bekannte Fahrstrasse ins Bergalga unter die Räder - immerhin wird einem so ziemlich rasch warm, lag doch die Temperatur frühmorgens noch bei frischen 6 Grad. Wärmer hätte es ohnehin nicht sein dürfen (Delta hatte offenbar gleichentags am Clariden mehr Pech).

Nach einer halben Stunde eher mühseligen Dahinrumpelns ist die Alp "Olta Stöfel" erreicht; hier deponiere ich den Drahtesel und in einem Anflug von "less is more" sogleich auch die dünnen Handschuhe.
Nach der Einjustierung des verlagerten Schwerpunktes gehts sodann dank leichten Turnschuhen munter dahin - bis kurz vor dem Talschluss Lawinenkegel zum erneuten Umpacken führen.

Ich schuhe also um - zwänge die Füsse nun in die Skitourenstiefel und errichte sogleich ein zweites Materialdepot; diesmal bestehend aus den leichten Tretern, der leeren Fototasche (kein Gramm mehr als notwendig - gelle) sowie den heute wohl nicht benötigten Harscheisen.
Derart beflügelt (auf dem Rucksack befinden sich nun nur noch Skier und Pickel) geht es nun am Rande der Lawinenreste weiter bergan; bis ich ca. auf 2'200 auch die Latten auf den dafür vorgesehenen Schnee befördern kann. Bis hierhin habe ich ca. 1 1/2 Stunden benötigt; durch das oftmalige Umsatteln leider etwas zu lange, wie mir scheint - ist es doch mittlerweile kurz nach 7Uhr und der Gipfelhang liegt bereits seit viertel vor sechs an der Sonne.

Über gut gesetzten und leicht angefrorenen Schnee geht es nun zügig bergan, der mittlerweile deutlich leichtere Rucksack verhilt kurzzeitig sogar zu einem beinahe wohligen Gefühl. Einzig der frische Wind von Süden her beeinträchtigt das Allgemeine Wohlempfinden etwas.
Auf ca. 2'350m - am Beginn der markanten Rampe unterhalb der Felsen welche vom Piz Predarossa herunterziehen, führt mein Aufstieg über einige rumpelige Lawinenkegel, welche meinen Vortrieb etwas einbremsen. Mir kommen zum zweiten Mal am heutigen Tag leichte Zweifel, ob es für den steilen Gipfelhang heute noch reicht.
Ab ca.2'500m nehmen die Verlockungen rasch zu - die Schneeoberfläche liegt wie ein glatter Spiegel vor mir und verheisst Abfahrtsgenuss pur - Gipfel hin oder her.
Um kurz vor neun Uhr beschliesse ich  - der Sonne im Gipfelhang zuoberst zum Trotz - meine bis dato schattige Aufstiegsroute nach rechts zu verlassen; der immer noch kühle Wind unterbindet bislang meinen Wunsch nach einer Pause und auf der Route würde es wohl noch eine knappe Stunde dauern bis ich mich an den Sonnenstrahlen gütlich tun könnte.
Die ersten wärmenden Strahlen sind bald einmal erreicht und von nun an geht es genussvoll weiter nach oben - bis mich ein herrlich hindrapierter Stein am Wegesrand zur ersehnten Pause verleitet.
Nach ausgiebiger Rast und etwas Erholung lenke ich meine Schritte weiter bergwärts; immer im Zweifel ob sich der Gipfel noch ausgeht und immer die Verhältnisse aufs neue mit mir selber erörternd.

Gegen 10.00Uhr ist dann der Grat bei ca. 2'920m - wenig oberhalb der tiefsten Einsattelung erreicht und es zeigt sich dass die bereits länger der Sonne ausgesetzten Hänge tatächlich sehr weich sind. Da ich befürchte mit den Skiern den aufgeweichten Hang noch mehr zu belasten; insbesondere bei der Abfahrt - errichte ich mein Skidepot und nehme den rassigen Schlusshang (30-35Grad) zu Fuss in Angriff.

Das alleinige Spuren von tiefem und aufgeweichtem Schnee war schon immer eine besondere Leidenschaft von mir - und ich kam in den unumschränkten Genuss davon.....
Da ich ohnehin alle paar Höhenmeter hechelnd wieder Atem schöpfen musste, hatte ich ausreichend Gelegenheit meinen Instinkt bezüglich der wohl herrschenden Risiken immer wieder zu Rate zu ziehen.
Trotz mittlerweilen doch einiger absolvierten Skitouren finde ich es manchmal immer noch sehr, sehr schwierig die aktuellen Verhältnisse exakt einzuschätzen. Man (also ich) nimmt jeweils ausgiebige Risikoüberprüfungen vor und kommt auch zu einem Ergebnis - aber inwieweit dieses tatsächlich mit der Realität übereinstimmt - ob man bereits zu weit gegangen ist oder doch zu früh umgedreht hat - sagt einem niemand (gibts dafür eigentlich noch keinen App auf dem I-Pod? - Dann hätte ich einen Grund mir so ein Teil zuzulegen....).
Aufmerksam weiter den Gipfelhang hochstapfend, horche ich mit allen Sinnen in den trügerisch friedlichen Schnee hinein; bereit beim kleinsten Anzeichen entweder den Pickel in den Untergrund zu schlagen oder mich mit ein paar behenden Schritten Richtung Gratkante allenfalls in Sicherheit zu bringen. Meine persönliche Umkehrzeit lege ich auf halb elf Uhr fest - schliesslich ist es Schweizer Schnee; der wird sich ja wohl an eine festgelegte Uhrzeit halten und stehe nach Überwindung der letzten Wechte exakt um 10.28Uhr auf dem Gipfel.

Klasse!

Obwohl ich nun bereits sehr oft auf diesem Gipfel stehen durfte, überwältig mich die unvermittelte Aussicht auf die gegenüberliegende Badile-Kette jedesmal... gefolgt von einem befreienden Rundumblick ins Oberengadin...zum Bianco-Grat...hinüber zu Piz Piot und dem weiter zurückliegenden aber dominierenden Piz Platta...hinunter ins frühlingsgrüne Avers...der Blick schweifft zum Pizzo Stella welcher noch in ein grandioses Winterkleid gehüllt ist....streift die Cima di Lägh und den Piz Gallagiun....und folgt dem tief eingeschnittenen Bergell...ein Panorama an dem ich mich wohl nie satt sehen werde.

Leider hat das Gipfelbuch den Winter nicht unbeschadet überstanden und ist komplett hinüber; die Schutzhülle war offenbar den Verhältnissen nicht gewachsen. Schade - aber so habe ich bereits wieder einen Grund hierher zurückzukehren.....
Die angesagten Gewitterwolken drücken bereits mit Vehemenz über den Passo Duan vom Bergell herüber, der Wind mahnt ebenso zum baldigen Aufbruch wie die durchweichte Gipfelflanke. Daher raffe ich mich nach den obligaten Gipfelfotos und einer kurzen Rast bald wieder auf und beginne um elf Uhr mit dem Abstieg über die scharfe Gipfelwächte - den Pickel bereit um allenfalls umgehend reagieren zu können.
Hinunter gehts wie meist etwas flotter als hinauf - und so stehe ich bereits 2-3 Minuten später wieder beim Skidepot, eine gewisse Erleichterung kann ich nicht verhelen. 

Da die Rampe erst gegen 10Uhr Sonne erhalten hat, warte ich noch eine knappe halbe Stunde zu - und gebe der Natur Gelegenheit die von mir für die Abfahrt angestrebte Schneekonsistenz zu erschaffen. Jedesmal wenn ich hier am Sattel sitze, nehme ich mir nach längerem Studium der Umgebung vor - im nächsten Winter einmal gaaaanz früh loszuziehen; dann erst das Gletscherhorn zu ersteigen um anschliessend direkt von hier aus die beiden Piot Gipfel anzupeilen. So auch heute wieder.......bin gespannt wann ich diese Tour dereinst von meiner Projekt-Liste streichen darf.

Um halb zwölf werden die Schuhe dann auf Abfahrt gestellt und die Bindungen schnappen zu. Ich visualisiere ein letztes Mal die angestrebte Line....let's go Crazy.............! :-)
Der angepeilte Firn ist Spitzenklasse und jeder zurückgelegte Meter ein Hochgenuss! So könnte es stundenlang dahingehen und ich grinse wohl bis über beide Ohren, als ich mit einem Song von Guns n' Roses auf den Lippen talwärts zische.
Um den Lawinenkegeln im unteren Teil auszuweichen, ziehe ich später deutlich nach links hinaus  - etwas zu sehr, wie ich umgehend feststelle, als ich mich mitten im faulen Schnee wiederfinde. Macht auch nix - dann ziehen wir unsere Kurven eben etwas sachter.....; so bleibt mehr Zeit die Eindrücke ringsherum in sich aufzunehmen.
Das Timing scheint wohl alles in allem doch nicht so schlecht gewesen zu sein; die Gewitterwolken haben sich deutlich aufgeplustert und nehmen bereits den eben besuchten Gipfel in Beschlag; während ich 600m weiter unten um einige Murmeltiere herumkurve.
Ab ca. 2'400m ist der Schnee bereits so gut gesetzt, dass sich bereits wieder ordentliche Schwünge ziehen lassen - nur zu rasch bin ich wieder unten auf 2'200m. Den letzten Schwung in den Schnee gesetzt und "klack", zum letzten Mal in diesem Winter gehen die Bindungen auf.....

Äusserst zufrieden und glücklich blicke ich dankbar nochmals den Berg hoch, bevor ich mich daran mache das morgendliche Packspiel nun in umgekehrten Reihenfolge in Angriff zu nehmen und talauswärts zum wohlverdienten Weisswein und hinein in den Frühling zu radeln.
Die mittlerweile zahlreichen Spaziergänger auf dem Murmeltierpfad hatten ob des wenig später gesichteten UBO (Unbekanntes-Berg-Objekt) offenbar die helle Freude - ich wurde nämlich ziemlich bestaunt und breit angegrinst....




Tourengänger: AlpinHero
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Kommentare (6)


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Seeger hat gesagt: AlpinHero...
Gesendet am 15. Juni 2010 um 22:39
..scheint der richtige Name für Dich zu sein.
Ein MUSS, Deine spannenden Berichte zu lesen. Und zwar von A-Z ;-))
Wunderschön eingefangende Momente des quasi Meditierens beim Alleingänger. Und dazu die Fotos.
Absolute Spitzenleistung um und um.
Cari saluti
Andreas

AlpinHero hat gesagt: RE:AlpinHero...
Gesendet am 19. Juni 2010 um 12:08
Hi Andreas

Vielen Dank für das Lob......; als Spitzenleistung würde ich meinen Ausflug ja nun nicht grad betiteln.....schon eher den Versuch, das Erlebnis in eine lesbare Form umzumünzen....
Du treibst Dich dafür offenbar öfter im Tessin herum...? War schon länger nicht mehr unten - teile allerdings Dein Faible für vergessene Pfade in den Bergen...
Gruss aus dem Rheintal hoch ins Appenzellerland

Wichtel hat gesagt: AlpinHero...
Gesendet am 18. Juni 2010 um 09:32
...ist der richtige Name für Dich!!!
Und...das nächste Mal komm ich (eventuell :) ) wieder mit, schon alleine desswegen damit Du den Weisswein nicht alleine trinken kannst!!!
Love
Dini Frau

AlpinHero hat gesagt: RE:AlpinHero...
Gesendet am 19. Juni 2010 um 12:11
Hoi Du Wichtel......

Chumm Du nu wieder mol mit.......über dä mit em Wisswy rede mer denn no...... *lach*

Nicole hat gesagt: Das ist doch mal...
Gesendet am 18. Juni 2010 um 15:54
eine schöne Liebeserklärung und ein herrlicher Bericht!

hG
Nicole

AlpinHero hat gesagt: RE:Das ist doch mal...
Gesendet am 19. Juni 2010 um 12:12
Hi Nicole

Danke für's Lob - freut mich wenn Dir meine literarischen Steifzüge beim Durchstöbern Freude bereiten....
lg Reinhard


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