Biwaknacht auf dem Gipfel des Widderfeld


Publiziert von surfy , 6. Februar 2010 um 14:55.

Region: Welt » Schweiz » Luzern
Tour Datum:28 November 2009
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Pilatusgebiet   CH-LU   CH-OW 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Schybach - Märenschlag - Feld - Widderfeld und zurück
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Alpnach - Lütoldsmatt - Schybach
Zufahrt zum Ankunftspunkt:gleich wie Zufahrt zu Ausgangspunkt
Unterkunftmöglichkeiten:Biwak
Kartennummer:245T

Ende November, erster Schnee auf den Gipfeln und in den Hängen meiner geliebten Pilatuskette, bestes Wetter prognostiziert: Die richtigen Bedingungen, einen lange gehegten Traum zu realisieren: ein Winterbiwak auf dem Gipfel des Widderfeld.

Samstag, 28. November 2009: Der Plan steht schon lange, heute wird er realisiert: Ich werde auf dem Gipfel des Widderfeld übernachten. Dort oben kann's ganz schön blasen und entsprechend schwierig sein, ein Zelt aufzustellen, auch nur schon ein Biwakzelt. Aber wer abenteuern will, muss zwischenzeitlich leiden, - dies eine Überlegung, mehr noch: eine Überzeugung.

Ich lasse mir Zeit und steige erst gegen 14.00Uhr von Schybach aus auf. Schwer beladen, schliesslich muss neben dem Biwakzelt und der ganzen Schlafstuff auch genügend Proviant fürs leibliche Wohl mit... Und so wird geschleppt und geschwitzt. Über Märenschlag geht's steil hinauf zur Alp Feld.

Glühend geht die Sonne hinter den Schratten unter und taucht die vertrauten heimatlichen Berggefilde in ein Licht absoluter Schönheit. Nichts kann Momente wie diesen übertreffen. Es sind genau diese Momente, für die ich lebe. Diese Augenblicke in den Bergen, an den Fels geschmiegt, im Schoss des Berges, behütet, beschützt und dennoch den Kräften und Natureindrücken ausgeliefert. Ich wohne dem einzigartigen Schauspiel der dahinscheidenden Sonne bei und steige dann die letzten 200 - 300 Höhenmeter auf dem Westgrat des Widderfeldes im Mondlicht auf. Es ist so hell, dass ich meine Stirnlampe nicht einzuschalten brauche.
Auf dem nach Westen zugeneigten und abfallenden Gipfelfeld braust mir bereits ein ungestümer  Südwind - vermutlich Föhn - entgegen. Und obschon der Föhn ja als milder Wind gilt, habe ich wieder mal gegen die Kälte in meinen Fingern zu kämpfen. Immer diese Hände! Sie werden mir eines Tages noch Verhängnis sein, befürchte ich. Ich verfluche sie jedenfalls und auch ein klein wenig mich: Schon nicht ganz konform, Ende November alleine auf den Gipfel des Widderfeldes aufzusteigen, auf annähernd 2100m. ü. M. und hier oben eine Biwaknacht verbringen zu wollen. Aus dem Aatal funkeln mir die Lichter Sarnens entgegen, blicke ich nach Norden weitet sich das Land, Tausende von Lichtern des Mittellandes erstrahlen und ich meine, gar das Blinklicht der Chasseral-Antenne erkennen zu können. Ein unbeschreibliches Lichtermeer. Ich vergesse meine klammen Finger und bin einfach wieder mal nur noch unsäglich dankbar. Dankbar für diesen einen Moment. Nach einem Sommer mit genialen Bergtouren im Montblanc-Gebiet und in Kalifornien (Mount Whitney, Half Dome, El Capitan - Berichte folgen) bin ich zurückgekehrt in meinen doch so unalltäglichen Alltag, beschenkt, immer wieder zutiefst berührt, von den Naturschönheiten meiner Heimat, meiner Schweiz, - meiner Alpen.

Es ist hart, das Biwakzelt aufzustellen. Noch härter, sich in diesem nächtlich-winterlich kalten Wind, wenngleich Föhn, trocken anzuziehen, sich ins Biwakzelt zu zwängen. Es kostet mich Anstrengung, die Flasche Wein zu öffnen, den Gaskocher in Gang zu setzen, mir eine Gerstensuppe zu brauen, Ordnung in meine tausend Sachen zu bringen. Jede Kleinigkeit braucht ihre Zeit. Die Berge lehren mich Langsamkeit, Geduld. Nach einem Glas Merlot und Gerstensuppe mit Brot fühle ich mich wohlig warm, doch - dies wird mir schnell klar - ich werde auch alles tun müssen, dass dies die Nacht über so bleibt. Meine Ersatzsocken sind aus bis heute unerklärlichen, mysthischen Gründen feucht, so würden sie mir keine Wärme spenden, Einfallsreichtum ist also gefragt: Meine Mammut Gore-Tex XCR-Handschuhe mussten schon öfters dran glauben und kennen meine Füsse entsprechend bereits bestens. Unbeschreiblich, wenn eisige Füsse sich wieder wärmen: Du fühlst: Nun kommt die Wärme zurück, du bist in Sicherheit, ein gutes Gefühl. Die Härte der Berge lehrt einem auch, mit kleinen Dingen zufrieden zu sein, mehr noch, sich ob kleiner Dinge zu freuen: Mit unbändiger Freude erfüllen mich entsprechend meine langsam von dieser wohlig-samtenen Wärme durchflossenen Füsse und ich bin überzeugt, dasselbe Feeling auch für meine Hände noch hinzubringen.
Das Thema ist vorgegeben: die Wärme bzw. die Kälte. Den Rest der Nacht horche ich dem Wind. Unaufhörlich zerrt er an meinem Biwakzelt, ein ewiges Lied. Ich stelle mir vor, was wäre, wenn mich eine Böe erfasste, verwerfe den Gedanken, schliesslich beschränkt sich meine Liegefläche auf ein einigermassen komfortabel beliegbares Stück Bergboden, einen halben Meter neben der Widderfeld-Gipfelstange, wohl eine Fläche von maximal 1.5m2, aber immerhin. Wirklich vollkommen auf dem Gipfel, schon ein Highlight, dafür nehme ich das Windgezupfe in Kauf, wenngleich das Gipfelfeld auf der einen Seite meiner bescheidenen Bezeltung ziemlich steil nach Westen abfällt, doch daran mag ich nun nicht denken. Lieber würde ich schlafen, doch dies ist wohl hier oben unter den gegebenen Umständen eher nicht möglich. Mir wird jedenfalls klar, welche biwaktechnischen Neuanschaffungen noch nötig sind, um ein solches im Wiederholungsfall noch einiges komfortabler durchzustehen. Am ärgsten ist die Sache mit meiner Thermarest-Matte: Diese ist nämlich ein Sommermodell, dies erfahre ich nun durch den Eigentest. Ich verfluche mich erneut, schliesslich hätte es in den Staaten diese Mättelchen zu einem Bruchteil unserer Preise zu erstehen gegeben. Im Yosemite sah ich sie,  in Lone-Pine, diesem unvergesslichen Wild-West-Städtchen am Fusse des Mount Whitney und schliesslich gar in San Francisco. Egal, ich verzichtete und deshalb friere ich nun. Die Kälte frisst sich durch den Zeltboden, durch die Matte, direkt in meine Knochen. Ich wäge ab, wie viele und welche meiner Kleider ich ausziehen und als Bodenisolation benutzen und welche ich im Zuge der besten Wärmebilanz anbehalten soll. Und so lege ich mir einen Kleider-Mäander über der Thermarest-Matte zurecht, bestrebt, ihm mit der Linie meines Körpers, meinen Knochen und Gliedern zu folgen, - deckungsgleich müssen wir daliegen, sonst wird nichts mit Isolation. Schlussendlich rettet mich der Compendio Geografieband "endogene und exogene Dynamik" vor den schlimmsten Folgeerscheinungen meiner unüberlegt zusammengestellten Biwakstuff und bestätigt meine Liebe zur Wissenschaft der Geografie, v. a. zur Orogonese der Alpen. Die Nacht ist lang: Um fünf ging die Sonne unter, je nach Wetter wird es morgen Sonntag bestimmt acht, neun Uhr, bis es wirklich hell ist... Und die Wetterprognosen auf morgen sind nicht rosig: Der Föhn wird zusammenbrechen, eine neue Kaltfront über die Berge ziehen, es wird schneien, - vielleicht werde ich eingeschneit, denke ich und stelle mir dieses Bild vor, nur, um es dann wieder zu verwerfen. Nein, ich will nicht eingeschneit werden. Sicherlich nicht mit dieser Biwakstuff.
Die Stunden wollen und wollen nicht vergehen, die Bodenkälte und der Wind, sie sind meine einzigen Begleiter. Was man in diesen Stunden tut, was ich tue? Nachdenken. Übers Leben, Menschen, Begegnungen, Projekte in den Bergen dieser Erde oder auch mit dem Fahrrad, Bilder generieren, andere Länder, Reisen... Dankbarkeit ist auch jetzt dominant, wenngleich ihr die Hoffnung beiwohnt: die Hoffnung, alles heil zu überstehen, wieder vom Berg zu kommen und immer und immer wieder solches und ähnliches zu tun.

Am nächsten Morgen, Sonntag, 29. November 2009, ist der Himmel bedeckt, schon frühmorgens. Kein Sonnenaufgang, denke ich, weshalb also noch lange hier oben in der Kälte ausharren? Inzwischen wohnt die Kälte in mir, in meinen Gliedern hat sie sich eingenistet, sie ist nicht mehr rauszujagen, ich kann anziehen, was ich will. Ein bleierner Himmel, eine kleine Hoffnung, zwischendurch reisst die Wolkendecke auf, ein unbeschreibliches Licht durchdringt diese Momente, golden, alles umhüllend, umarmend. Mein Blick geht in die Berge, - schwer und grau harren sie dem Tag, dem Wetter, seinen Launen, dem unmittelbar hereinbrechenden Winter. Es handelt sich um Stunden. Es wird schneien und mit diesem Schneefall wird der Winter Einzug halten. Mein Blick schweift übers Mittelland: grau-blau, der Himmel und weit. Kein Vergleich mit dem Vortag. Ich räume mein Biwakzelt zusammen. Die Thermarest-Matte lasse ich drin. Schliesslich wurstle ich das Ganze auf meinen Rucksack, zupfe und zurre die Bänder und Schleifen zurecht, befestige alles und runter gehts. Müdigkeit erfüllt mich, die ruhelose Nacht fordert ihren Tribut. Nach ca. zwei Stunden bin ich dann jedoch dennoch unten beim Auto beim Schybach. Dort finde ich Bombo's Notiz unter der Windschutzscheibe und freue mich. Nach Hause fahren, ausräumen, Fotos verarbeiten, etwas schlafen, frühstücken.
Und von den nächsten Projekten träumen: Winterbiwaks, Schneeschuh- und Skitouren, Hochtouren, Klettern, - alles, was das Berglerherz begehrt. Ich werde wiederkommen, noch diesen Winter. Darauf ist Verlass.

Tourengänger: surfy


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Kommentare (5)


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Lechtaler hat gesagt: wer es will- schafft es auch -:))
Gesendet am 11. Februar 2010 um 21:27
spannend zu lesen .....
und du bist sicherlich nicht alleine- die sowas in ihrem kopf rummtragen...
2010 - werde ich 2 gipfel im visier haben
den Säuling - und die Knittelkarspitze
rein aus Fototechnischen motiven -:))
den die nacht - bietet viel mehr- als nur finsterniss !
wünsche jedenfalls weiterhin viel spass- und schöne nächte...

lg - charly

noe hat gesagt: Ruhe/Sturm
Gesendet am 1. März 2010 um 20:06
Gefühle.Leben.Spüren.Goldmund.

kopfsalat hat gesagt: erinnert mich ein wenig
Gesendet am 1. März 2010 um 21:37
an die übernachtungen während der überlebenswoche. war auch im november, zwar nur auf dem jura, hatte aber auch schon schnee und aus "unerklärlichen" gründen waren unsere schlafsäcke, liegematten und zelte nie dann dort, wo wir waren. lange ist's her ... und ich vermisse es überhaupt nicht. ;-)

Felix hat gesagt: sprachlich ebenso eindrücklich ...
Gesendet am 3. Juni 2010 um 17:00
wie das von dir erlebte "Abenteuer" Nachtbiwak Widderfeld"!

Sabine, grenzenlos scheint dein Wille zu sein, dich der Natur auszusetzen: Hochachtung!

glg Felix

SYITH hat gesagt: Nicht nur stark
Gesendet am 23. Juli 2013 um 23:56
sondern dazu noch schön geschrieben. Hab die Story mit Spannung und Sehnsucht gelesen und bin doch glatt ins Träumen gekommen. Dass du das gerade an meinem Geburi gemacht hast, hat die Geschichte natürlich gleich noch mal aufgepeppt (aber das nur persönlich und am Rande bemerkt). Hab vor über's WE da oben im Zeltchen zu übernachten. Mal sehen, was daraus wird.
Okay meine Hochachtung zollend bedanke ich mich noch Mal's für die schöne und spannende Geschichte und freue mich noch mehr von Dir zu lesen.
LG
SYITH


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