Expedition zum Mars - Eine Tagestour zum Uri-Rotstock


Publiziert von dyanarka , 6. Februar 2010 um 19:29.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum: 1 September 2009
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS-
Mountainbike Schwierigkeit: WS - Gut fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 2200 m
Abstieg: 2200 m
Strecke:Mit dem Bike bis Chimiboden bei 1206m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ausgangspunkt ist das Dorf Isenthal. Parkplatz im Dorf. Von Altdorf (UR) mit dem Pkw rund 20 min Fahrt. Busanbindung des Dorfes.

Als ich vor 16 Jahren bei einem Ausflug zur Ibergeregg (Sihlsee) die ausladende Schneekrone des Rotstockmassivs in der Ferne leuchten sah, war ich mir, unverwandterweise, sofort sicher: "Das ist  der schönste Berg der Alpen!" 
Und tatsächlich, trotz vieler anderer schöner Gipfel und Massive, die ich in den folgenden Jahren rund um Rhein und Linth aufsuchte - das majestätische Rotstock-Gebiet blieb mein Favorit.
Lange Zeit vermutete ich: "Unerreichbar ohne Spezial-Ausrüstung und Führer". Der Berg kam mir so schön und gleichzeitig so unnahbar vor. Seltsamerweise war dies für mich so klar, dass ich mich um eine mögliche Besteigung viele Jahre nicht kümmerte. Der Berg blieb ein verheissen leuchtendes Fernziel, ein Monument und Sinnbild einer unterschwelligen Sehnsucht, die ich, wie wohl so mancher, irgendeinem besonderen Naturplatz angedachte.
Erst mit den Tourenberichten auf Hikr.org bemerkte ich meinen Irrtum, war erstaunt, erfreut und fing geradezu Feuer bei der Feststellung: "Was, ich könnte sogar eine leichte Tagestour dort hinauf machen?".  Die 2200 Höhenmeter und sehr vielen Kilometer Wegstrecke von Isenthal aus, kamen mir zwar fast ein bisschen zu verwegen vor für nur einen einzigen Wandertag , aber gleichzeitig ahnte ich, es an einem guten Tag von mir schaffen zu können.

Am ersten September 2009 war dann dieser Tag: Wetter bis zum frühen Nachmittag laut Vorhersage schön, ab etwa 16 Uhr hohe Gewittertendenz. Und ich fühlte mich rundum frisch für den "kleinen Gewaltmarsch". Mit dem Auto bis Isenthal Mitte, dann mit dem Bike Strasse /Waldweg 500 Höhenmeter hoch zur Talstation der Materialbahn bei Chimiboden/Stäfeli, Trinkflasche im Bach füllen und zu Fuss steil bergauf zur  Biwaldalp (1696m). Anschliessend südwärts den leicht ansteigenden langen Flankenweg hoch zum "Gletscherpark" bei der Gitschenhörelihütte (2325m).

Der Weg dorthin zog sich gewaltig. Als ich dann endlich die Felskante des Areals "Im Lauberz" unmittelbar oberhalb sah, wuchsen mir neue Kräfte. Der riesige Wasserfall zu meiner Rechten, im Schatten des Engelberger Rotstocks, tönte laut  von Wildnis und Ursprünglichkeit. Ich ahnte, dass sich auf dem oberen Plateau der Gletscherregion eine fantastische Landschaft vor mir erstrecken würde. So wurden aus dem trottenden Wandern, schnelle grosse Schritte und im Nu stand ich oberhalb der Hütte, blickte über das riesige Moränengebiet und wurde schier überwältigt vom Anblick der in der Sonne liegenden,  weit geschwungenen Wand des Blüemisalpfirns.
Aufgeregt zog ich meine Kamera hervor, knipste nach allen Seiten und wusste gar nicht mehr, wo ich nun zuerst oder überhaupt hingehen mochte. Ich sah in dieser urtümlichen Landschaft nur noch fantastische Ziele, wollte am liebsten sofort runter zum Gletscherbach und anschliessend einfach hinauf auf den so leicht zugänglich und gar nicht mehr unnahbar wirkenden Hauptfirn. Und von da aus natürlich grad weiter, weiter und noch weiter...
Die Festtstellung, dass ich schon seit einer halben Stunde über kein Wasser mehr verfügte, veranlasste mich allerdings zu einem sofortigen Aufsuchen der Gitschenhörelihütte, die, wie sich herausstellte, zwar keine offiziell bewirtschaftete Hütte ist, aber die beiden Besitzer waren grad anwesend, sonnten sich auf der Bank neben dem Eingang und verkauften mir freundlich einen halben Liter Mineralwasser.
Dies sollte wohl für die nächsten paar Kilometer reichen, dachte ich. Doch schon nach einigen hundert Metern auf dem schmalen Grat des Moränenwalls (s.Foto), der das ganze Ausmass des Firnschwundes in erschreckender Eindeutigkeit sichtbar macht, war das Wasser schon getrunken, so dass mir nur blieb, auf einen kleinen Schmelzwasserbach zu hoffen; andernfalls hätte ich wohl doch runter zum Gletscherrand klettern müssen.
Beim Wegweiser auf Punkt 2424m entschied ich mich daher für die leichtere, weil längere Aussenschleife Richtung Gitschenhöreli und Rotstocksattel. Mein Instinkt "witterte" Wasser auf diesem langen, bizarren Wegstück quer über Felsrippen, Endlosgeröll und entlang schmaler Spalten. Etwa bei Höhenmeter 2480m dann die Erlösung: ein munter strömendes Bächlein, das mir entgegenplätscherte um sich dann  einige Meter links neben mir, urplötzlich und laut gurgelnd, durch ein kanaldeckelgrosses Loch in unsichtbare Tiefen zu stürzen . Also, erfrischen, tränken, Flasche füllen und dann weiter durch diese schroffe, meteoritenähnliche Landschaft zirkeln.

Die Wegbiegung links hoch lzum Rotstocksattel liess mich dann erneut innehalten: rostrot und kupferkiesblau schimmerte ein breites Geröllfeld vor mir, zog meine geologische Neugier sofort auf sich: "Was ist denn das für ein seltsames Gestein?". Es erinnerte mich spontan an Schlacke aus einem Hochofen, fühlte sich auch tatsächlich krustig-verbrannt an, faszinierte vor allem durch dieses tiefblaue Glitzern, ganz so, als habe man Eisenerzschlacke mit Aluminiumpulver bestäubt. Etwas vergleichbares hatte ich in den Bergen bislang noch nirgendwo gefunden. Die Grösse dieses Schotterfeldes, sein Erscheinungsbild und die hohlen, gläsern wirkenden Knirschgeräusche, die es beim Durchqueren von sich gab, liessen mich zu dem Gedanken hinreissen: "Hey, so ähnlich muss es auf dem Mars sein - oxidiertes, durch UV-Strahlung und starke Temperaturschwankungen hochmodifiziertes, eisenhaltiges Gestein - also dann: Willkommen auf dem Mars bei Uri!"

Über den Rotstocksattel ging es dann mühelos weiter querfeldein über ein mit vielen grossen und kleinen Steinmännchen, sowie einigen Mini-Monolithen bestückten Areal. Bizarr. Mondmässig grau, verwittert und trocken. Von dem breiten Grat aus ergab sich ein grandioser Blick hinab auf die symetrisch gestreiften Zungen des Chlitaler Firns, durch dessen Kesselzone sich laut Karte ebenfalls ein Weg hinauf zum Rotstock schlängeln sollte, von hier aus aber nicht zu sehen war. Kaum vorstellbar, wie abenteuerlich dieser Weg durch die steile Nordwand des Rotstockmassivs verlaufen musste!!
Und weiter gings es mit zügigem Schritt Richtung Gipfel. Kurz vor Punkt 2798m dann eine weitere geologische Auffälligkeit und mein Begreifen, warum der Gipfel ROTstock heisst: Schlagartig, hinter einer deutlich sichtbaren Grenze (s.Foto) wechselt das schottrige Basisgestein von grau zu braunrot! Faszinierend! Was mir in ähnlicher Wiese schon vom Schilt im Kanton Glarus bekannt war, zeigte sich an dieser Stelle in riesigem Ausmass.Eine ganz besondere geologische Geschichte musste diesem Massiv zueigen sein (Nachforschungen führten mich später  zur Webseite http://www.top-of-uri.ch/_pages/Schlieren.htm ; hier finden sich gute Erklärungen).

Auf jeden Fall herrschte schon wieder "rostrote Marsstimmung" auf dem steilen letzten Stück hinauf zum Gipfelkreuz.
Dort angelangt breitete sich eine wunderschöne Gipfelwelt nach allen Seiten aus; der Blick schweift über den Urner See, Mythen, Glärnisch bis hinüber zur Region der "Grossen": Finsterahorn, Engelhorn, Jungfrau, Mönch und Eiger. In der Nähe lag gross und quer der gesamte Blüemisalpfirn im Blickfeld, spielerisch und sanft beschattet von den ersten vorbeiziehenden Wolkenfetzen des Tages.

Mit mir genossen noch zwei jüngere Berggänger, sowie drei ältere Frauen das mächtige  Panorama, wobei letztere sich gerade anschickten ihren Wandererfolg mit einem "guten Tropfen"  aus mitgeschleppten Weingläsern (!) zu feiern - um dann später über die steile Südroute  (!) hinunter zur Moräne zu rutschkletttern. Aber es sollte glatt gehen.
Nur schwerlich konnte ich mich nach einer knappen Stunde von dort oben "über den Dingen" losreissen und trabte dann, als immer mehr Wolkenstücke über den Gross Rimistock fledderten, zügig die gemütliche Aussenrunde zurück zur Gitschenhörelihütte. Immer wieder kleine Fotopausen wegen dem Licht- und Schattenspiel auf dem Firn. Immer wieder kurze geologische Begutachtungen. Und dann wieder eiliger Trab abwärts. Die Wolken drängten und türmten sich mittlerweile auch hinter dem Bärenstock und der nahe Titlis begann sich mit dickem Dunst einzuhüllen. Ich ahnte ungutes.... Der Weg zum Bike schien mir, kaum auf der Moräne angekommen, unendlich weit. Der Wetterwechsel wurde mittlerweile fühlbar, meine Instinkte schütteten vorsorglich eine kleine Menge Adrenalin aus und ab Punkt 2042m begann ich schliesslich  zu rennen. Der Wegcharakter eignete sich bestens für ein Downhill-Soli und noch vor dem ersten Donner, der allerdings gewaltig hallend das Ende der Sonnenstunden verkündete, erreichte ich die Biwaldalp. In genau diesem Moment, nach Blitz, Wind und Donner, der erste Wolkenbruch. Na, jetzt wars eh egal. Einmal nass, das kannte ich von mir, entspannte sich wieder alles und ich genoss den Regen, als ob ich eine von falscher Pflege vertrocknete Pflanze wäre.
Klatschnass und glücklich bis in die Fersen, platschte ich nach einer halben Stunde dem Velo entgegen, rollte, mich restlos mit dem Schlamm des Weges einsauend, dem Auto entgegen, demontierte zügig das Rad, befreite es grob vom Schlamm, wechselte die Schuhe, hielt inne -  und hatte es auf einmal gar nicht mehr eilig irgenwoanders hin zu kommen...

Im Regen stehend, grinste ich stolz vor mich hin: Echt geschafft! Viel zu viele Jahre gewartet! War doch gar nicht schwer! Statt Spezialausrüstung und Führer eine überraschend einfache Tour über nur  7 Stunden in traumhafter Landschaft. Und eine Menge geologische Besonderheiten.

Ein kleines bisschen von einem "Schade" räusperte sich dennoch im Hinterland der Gedanken: Hatte ich jetzt womöglich einen Hort der Sehnsucht entzaubert? Was man kennt und "erobert", wird doch irgendwie kleiner, eignet sich weniger zum Schwärmen und Hoffen. Jetzt wusste ich wie es da oben wirklich aussieht. Jetzt war ich da, wo ich niemals glaubte so einfach hinkommen zu können. Und? Entzaubert? Aus der Reiz?
Nein, zum Glück nicht! Aus der Ferne sieht dieses kronenförmige Massiv, das sich wie eine riesige Hand gen Himmel öffnet, seine Gipfelzacken wie Finger streckt und dem weiten Blau seine Schneeflächen darzubieten scheint, einfach so anders und immer noch so gewaltig aus - der Zauber ist nicht vergangen.
Zum Glück....













Tourengänger: dyanarka


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Kommentare (2)


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MicheleK hat gesagt: ein sehr schoener Bericht
Gesendet am 6. Februar 2010 um 23:05
leicht hinzukommen ? mag sein, es hat dennoch 19 jahre gedauert...also so einfach nicht.

ich kann den mystischen respekt nachvollziehen der sich nun aendert. der ort wird nun teil von uns.

das schoene: die welt ist voll von orten die nur warten sich entzaubern zu lassen.

es liegt an uns dies erleben zu wollen: es ist immer eine bereicherung.

hab den uri rotstock bei den vielen malen in der zentralschweiz im zuge der jahre auch als ziel irgendwo definiert.

irgendwann wir der richtige moment sein und alle schwerigkeiten werden vergehen.

noch schoene touren.
gruss
michele

rhenus hat gesagt:
Gesendet am 11. August 2021 um 21:28
Sehr schöner Erlebnisbericht deiner Tour zum Uri Rotstock! Nachdem wir gestern auch dort waren, habe ich heute mit deine Schilderungen dazu gelesen.Gruss rhenus


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