Rund um die Aareschlucht - Teil 2 (Trockene Lamm)


Publiziert von marvel , 16. Dezember 2009 um 01:01.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum:16 August 2008
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 1:00
Aufstieg: 100 m
Abstieg: 100 m
Strecke:Innertkirchen - Meiringen
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Innertkirchen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Meiringen
Kartennummer:1210

So kam es, dass man baute
den Kirchetausgangsweg
und hoch im Aarschluchtfelsen
zur trock'nen Lamm den Steg.

Aus: Caspar Moor, Ballade von der Aareschlucht, 1920

Der Bau des Stegs durch die Aareschlucht war Ende des 19. Jahrhunderts ein lokales Erfolgsprojekt. Die vermögenden Bürger von Willigen und den umliegenden Bäuerten (darunter übrigens auch der legendäre Bergführer Melchior Anderegg) hatten im richtigen Moment mit Teilen ihres Vermögens die Aareschlucht-Gesellschaft gegründet, die den Steg als Touristen-Attraktion baute und seither mit den Eintrittsgeldern Jahr für Jahr Gewinn erwirtschaftete. Die Eröffnung der Brünigbahn (1888) und der Grimsel-Strasse (1895) brachten genau den Touristenstrom ins Haslital, den das Projekt benötigte, um schnell rentabel zu werden.

In den folgenden Jahren entstanden in der Umgebung zahlreiche andere Tourismus-Projekte, von denen sich manche bewährten während andere wieder eingestellt wurden. Im Nachbardorf Meiringen wollte man den Erfolg des "Williger" Aareschluchtprojekts emulieren, indem die auf Meiringer Boden gelegene Nordseite der Schlucht begehbar gemacht werden sollte. Hauptattraktion sollte dabei die "Trockene Lamm" werden, eine trockene Seitenschlucht, die ringförmig zwei auf ca. halber Höhe der nördlichen Felswände der Hauptschlucht gelegene Einschnitte miteinander verbindet.

Die sich anbahnende Konkurrenz passte den Aktionären der Aareschlucht-Gesellschaft natürlich gar nicht, und so lagen die Williger und Meiringer schon miteinander im Streit über die Trockene Lamm, bevor überhaupt der erste Spatenstich getan war. Schliesslich einigte man sich auf einen aufwändigen Kompromiss: Die Erschliessung der Trockenen Lamm wurde durch die Aareschlucht-Gesellschaft selbst bewerkstelligt. Da für dieses Vorhaben zusätzliches Kapital benötigt wurde, wurden zusätzliche Aktien zur Zeichnung freigegeben, wodurch sich unter anderem die Interessenten aus Meiringen in die Gesellschaft einkaufen konnten.

Die Kernidee war jedoch, dass es nur eine und nicht zwei Aareschlucht-Attraktionen geben solle, und so musste vom Aareschlucht-Steg aus eine technisch sehr aufwändige Brückenkonstruktion hinüber in die deutlich höher gelegene Trockene Lamm gebaut werden. In der Folge wurde dann am höchsten (seichtesten) Punkt der Trockenen Lamm ein dritter Aareschlucht-Eingang eröffnet, der über einen neu gebauten Weg von Meiringen aus erreichbar war.

1898 war es dann soweit: die Trockene Lamm wurde als neuer Teil des Aareschlucht-Stegs eröffnet. Über vier Jahrzente war sie integraler Bestandteil eines Aareschlucht-Besuchs. Schnell wurden aber auch die Nachteile dieses Kunstgriffs klar. Die Brücke war reparaturanfällig und damit teuer zu unterhalten - gelegentlich galt sie gar als Sicherheitsrisiko. Vor allem aber war praktisch mit der Eröffnung ihr ursprünglicher Zweck verlorengegangen, da die Gefahr einer Konkurrenzattraktion nun gebannt war. Als im zweiten Weltkrieg die Besucherzahlen einbrachen, war die Trockene Lamm der erste Teil der Aareschlucht, der geschlossen und nicht weiter unterhalten wurde. Auch nach dem Krieg wurde sie nicht wiedereröffnet. 1960 entschloss man sich schliesslich für den Abbruch der Brücke. Den Steg durch die Lamm selbst liess man verfallen.

Heute ist die Trockene Lamm nur noch für trittsichere und schwindelfreie Alpinwanderer mit Orientierungssinn erreichbar. Der ehemalige Weg von Meiringen bis zum damaligen dritten Schluchteingang ist auf seiner ganzen Länge begehbar, wenn auch vielerorts recht stark überwachsen. Man geht dabei zunächst auf Forststrassen bis zu den Weiden vom Wylerli. An deren hinterem linken Eck betritt der ehemalige Weg, der bis dorthin in den Weiden praktisch nicht mehr erkennbar ist, den Wald. Er überquert zunächst den Schreybach, der sich wenige Meter tiefer in einem (von hier aus nicht sichtbaren) schönen Wasserfall in die Aareschlucht stürzt.

Den Verlauf des alten Wegs durch das steile Wald- und Schrofengelände oberhalb der Schluchtfelsen kann man grossenteils noch erahnen. Stellenweise undeutliche Pfadspuren folgen ihm ungefähr. Trotzdem hat man stellenweise schlicht das Gefühl mitten im Steilgras zu stehen, mit 50 Meter hohen Abstürzen irgendwo unter einem. An einer Stelle ist noch ein altes Drahtseil installiert. Sogar eine längst verfallene Brücke muss umgangen werden.

Der ausgesetzteste Teil ist jedoch die Querung der Schluchtfelsen kurz vor Erreichen der trockenen Lamm. Der Weg ist hier aus dem Fels gesprengt, früher muss es wohl ein stabiles Geländer gegeben haben. Von hier aus bietet sich einer der wenigen wirklich guten Tiefblicke in die Aareschlucht, einschliesslich des Stegs und des Schreybachfalls.

Eine kleine gemauerte Rampe hinauf gelangt man schliesslich zur Trockenen Lamm selbst. Ca. 50m links von deren Einmündung in die Aareschlucht befindet sich die Stelle, an der die Felsen der Lamm am wenigsten hoch sind - ungefähr fünf Meter. Dort befindet sich eine nicht allzuviel Vertrauen erweckende Metallleiter, die in die Lamm hinab führt.

Von hier aus kann man nun links den unteren und rechts den oberen Teil der Lamm erforschen. Der untere Teil ist tief in den Kirchet-Fels eingeschnitten und hat beeindruckende Gletschermühlen zu bieten. Auch hier findet man zumindest im oberen Teil noch ein paar Pfadspuren, je tiefer man kommt desto steiler und steiniger wird es. Stellenweise müssen auch die Hände zur Hilfe genommen werden. Wenn es in den Tagen zuvor geregnet haben sollte, wird man schnell merken, dass die Trockene Lamm in Wahrheit alles andere als trocken ist. Durch den unteren Teil läuft dann ein Bach, und man steht immer wieder im Wasser. Hier und da zeugen verstreute Holz- und Metallteile vom einstigen Steg.

Am untersten Ende findet sich eine steilere Stufe in einen letzten Kessel vor dem Abbruch in die Aareschlucht. Über diese Stufe windet sich bis heute der verfallene Metallrahmen der Treppe, die einst hier hoch führte. Auch hier könnte man wohl noch herunterklettern, vorzugsweise mit Seil zum Wiederaufstieg; ich habe mir dies aber gespart, vor allem da Verletzungsgefahr an der Metallkonstruktion besteht.

Der obere Teil der Lamm (von der Leiter aus rechts) führt ebenfalls bis zu einem Kessel, der höchstens mit Wiederaufstiegsseil begehbar wäre. Über diesem thront eine alte Metallkonstruktion, die einmal als Plattform für den Blick in den Kessel diente. (Dies ist wohl der "ausgewaschene Kessel", der in der Tatzelwurm-Parodie "Schreckliches Vorkommnis" im Oberhasler 1935 beschrieben wurde.)

Soweit die Aareschlucht-Experience der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Notiz: Da ich keine Informationen hatte, habe ich diese Tour von Innertkirchen aus gemacht und bin dann nach Meiringen abgestiegen. Da der Weg von Meiringen her aber wesentlich lohnender ist (wenn auch ausgesetzter), habe ich meinen Abstieg im umgekehrten Sinne als Aufstieg beschrieben. Von Innertkirchen folgt man der Fahrstrasse auf den nördlichen Teil des Kirchet hinauf, bis kurz vor den zwei Serpentinen links eine Forststrasse abzweigt. Dieser folgt man bis zu ihrem Ende und steigt dann unwegsam die auch auf der Karte sichtbare Rinne in Richtung Trockene Lamm hinab, bis diese allmählich steiler wird (sie bricht weiter unten in überhängenden Felsen in die Lamm ab). Dann auf einem breiten Band entlang oberhalb der Felsen bis zur Leiter.

Notiz: Es ist mit nicht gelungen, die genauen Grenzen des Grundbesitzes der Aareschlucht AG in Erfahrung zu bringen. Falls diese Routenbeschreibung ungewollt über Privatgrundbesitz führen sollte, dessen Begehung unerwünscht ist, bitte ich um eine entsprechende Benachrichtigung.

Tourengänger: marvel


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Kommentare (1)


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Alpin_Rise hat gesagt: H-Aar-scharf beschrieben
Gesendet am 16. Dezember 2009 um 09:37
Hochinteressante Mischung zwischen historischen Fakten und Tourenbericht!
Das muss ich bei Gelegenheit mal anschauen gehen.
Danke und G, Rise


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