„Es ist alles so schön bunt hier“....auch das Monochrome hat seine Faszination!


Publiziert von Henrik , 8. November 2009 um 23:57.

Region: Welt » Schweiz » Luzern
Tour Datum: 8 November 2009
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 10:00
Strecke:Basel - Luzern - Flüelen - Andermatt - Brig - Basel
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV
Unterkunftmöglichkeiten:Zuhause
Kartennummer:GA / Halbtax - Speisekarte MS Schwyz

In den letzten Tagen ist der Winter über die CH hereingebrochen – vielerorts liegt schon beträchtlich viel Schnee, einige hikr.s haben ihre Unternehmungsziele wohl zurückstellen oder verschieben müssen. Wiederum andere haben für solche Tage Tafeln und Speisen im Hinterkopf behalten, vorausgesetzt das Wetter spielte einigermassen mit. Zaza schlug vor zwischen Intragna und Domodossola beides auf eine Karte zu setzen, doch wir sahen davon ab, da Regen in Aussicht gestellt wurde.
 
So fuhren Claudia und ich wieder mal Bahn bzw. Schiff, quasi eine Steigerung. Irgendwie vergass ich sie auf die Mitnahme der Sonnenbrille hinzuweisen, die sie tatsächlich gut hätte gebrauchen können, schien doch die Sonne grell zwischen den Wolken als wir uns auf dem Lake Lucerne befanden. Wir begaben uns um neun auf den ICN in die Innerschweiz, setzten uns in den ersten Wagen, um die knappen 7 Minuten vom Bahnhof bis zur Liegestelle der Schiffe auch zu schaffen. In den Nebenabteilen wurde halblaut debattiert, wir schnappten Gesprächsfetzen auf über Alt-Bundeskanzler Schmidt und seine Rüstigkeit, über Weizäcker und sein klares Denken über die grosse Welt und über Hans-Dietrich Genscher...wir fuhren gerade durch Sursee! Von hier glaubten wir Schneefelder gesehen zu haben – es waren tieffliegende Wolken. Ein Lichtsignal vor der Bahnhofseinfahrt hielt uns auf, wir blickten beide auf unsere Natels, es müsste reichen, beruhigte ich mich selbst. Als wir über den Bahnhofsplatz eilten, bemerkte Claudia, dass es hier bedeutend kühler sei als in Basel.
 
Normalerweise ist die Brücke eins das Tor zu den Schiffen nach Flüelen – da die Weinschiffe des COOP dort zur Zeit liegen, mussten ein paar Meter mehr geleistet werden. Das Motorschiff Schwyz lag an Brücke 2 – von Gedränge keine Spur. Das Schiff wirkte verlassen, lag es an der Tageszeit, am Wetter oder am Ende der Saison – uns konnte das nur lieb sein. Ich lud zum Klassenwechsel ein, meine Intention heute, Speisen auf der MS „Schwyz“, die von Luzern nach Flüelen unterwegs war: First Class.
 
Wir nahmen Steuerbord Platz, gedeckter weisser Tisch, im ersten Stock. Die meisten Tische waren leer. Englische Unterhaltung drang von Backbord zu uns, vor uns ein junges Paar, das um einen Brunch bat, was die Bedienung möglich machte, was aber nicht zum morgendlichen Standard zu gehören scheint. Wir baten noch um eine Pause. Claudia meinte, das KKL noch nie in diesem Licht gesehen zu haben: die grüne Patina auf dem Dach, das Farbenspiel zwischen Anthrazit und Rostrot – mir war das übrigens auch noch nie so aufgefallen, allerdings waren wir auch noch nie so früh in Luzern, und das notabene auf einem Schiff. Die Sonne vermochte plötzlich durch die Wolken durchzubrechen, glänzend-gleissend lag der See um uns, ein Segelboot vor dem Bug, nur erkennbar durch seinen Mast. Richtung Bürgenstock eine beinahe schwarze Wand, dahinter heller Widerschein. Wir liessen die langsam an uns vorbeigleitende Landschaft auf uns einwirken, still. Fast eine Stunde ohne ein Wort – das Faszinosum Licht/Sonne/Wolken und der beinahe spiegelglatte See reichten aus.
 
Die Rigi liess sich nicht blicken, einzig die Seilbahnmasten oberhalb Weggis. Auch auf der gegenüber liegenden Seeseite waren von Beckenried aus die Masten zu erkennen. Eine Älplerchilbi mit Schaulustigen war dort am Landungssteg im Gange.
 
Danach gaben wir die Bestellung auf: Claudia entschied sich für ein Dreierlei Raclette und ich für die Steinpilzravioli, gemischten Salat für beide. Der halbe Liter Roero Arneis passte hervorragend, ein Treffer, zumal Claudia diesen Wein von ihrer letzten Piemontreise kannte, und auch ein paar Flaschen zu Hause im Keller lagern hat! Der aufmerksame Service muss erwähnt werden – wir sind ja nicht etwa Novizen in Sachen Gastronomie! Auch wenn das Essen auf der MS Schwyz wahrscheinlich vorgekocht war, hat es geschmeckt. Während das Essen aufgetischt wurde, erreichten wir Treib, später Brunnen und vorbei am Schillerstein, der aufpoliert wirkte – neue, saubere Lettern? Gegen Süden hin ein schnelles Wolken- und Sonnenspiel. In Isleten glaubten wir uns nach Norwegen versetzt – hätten wir Fischkutter oder Trocknungsgestelle hier vorgefunden....die unmittelbar am Ufer stehenden alten Gebäude vermittelten diese Atmosphäre! In Flüelen war es einiges wärmer als in Luzern – wir spekulierten auf mindestens 10 Grad. Claudia stutzte über die Buchauswahl am Kiosk, da von den 10 dort zum Verkauf angebotenen sie sieben zu Hause habe...Martin Suter oder Alex Capus...weder Konsalik oder Danella!
 
Wir nahmen den Interregio nach Göschenen. Danach mit der MGB hinauf nach Andermatt, das hochwinterlich wirkte. Claudia in ihren Stadtstiefeln fühlte sich etwas deplaziert – der Boden auf dem Perron 2 war vereist. Es schneite.
 
Sowohl in Göschenen wie in Andermatt, die Gotthardregion ist das Eldorado der Eisenbahn-Enthusiasten, standen auch jetzt wieder die Fotografen am Schienenstrang, um ihre Preziosen aus der Nähe abzulichten: Wetter kein Thema – Eisenbahnen jederzeit! Zwei, etwas gestandene Männer deutscher Sprache, mit ihren Cams und Kameras, wärmten sich im Bahnhofbuffet auf, um dann zwei Stationen mit uns zu fahren...sie schienen etwas vom Frühwintereinbruch überrascht zu sein, sie hatten keine Handschuhe dabei.
 
Sowohl in Realp und in Oberwald – auf beiden Seiten lag der Schnee in etwa gleich hoch. Es waren bloss wenige Zentimeter, da aber noch die Wolken tief herunter reichten, es nach wie vor leise weiterschneite, hatten wir nichts dagegen im halbwegs warmen Abteil zu sitzen, hin und wieder waren wir wie Kinder, die ihre Nasen ans Fenster pressten, zu sehen gibt es auch hier immer wieder was Neues. Oberwald wirkte wie aus dem Gestern, ein altes Fahrrad lag wie gequält am Ladeband, der matte rosarote Anstrich verlieh dem Bahnhof ein provinzialisches Aussehen, die rote Höhenmesslatte, die die MGB an jedem Bahnhof stehen hat, verhiess den höchsten Punkt der Linie und auf dem passierten die aktuelle Schienenhöhe. Hier beginnt das Goms – es zeigte sich in Monochrom-Laune. 

Flach, geweitet, grau und blass, doch halt, die Lärchen, sie sind die Gradmesser, die Farbnuance, die den Fortschritt des Herbstes im Nadelgehölz anzeigen und auch für Abwechslung sorgen...sie durchbrechen das Monochrome, je tiefer wir gelangen, desto häufiger begegnen wir ihnen, manchmal sind es schon Gruppen. Aber auch die Landschaftsgärtner sind aktiv – Gülle wurde an einzelnen Stellen eingebracht, es entstanden Streifen und Muster...doch von Bunt weit entfernt. Ich mag das Monochrome, z. b. Island überrascht immer wieder für Buntheit, letztlich ist es das Monochrome, dass das Ah und Oh auslöst – Buntheit ist eine Künstlichkeit des menschlichen Geistes. Die Farbe eine Wahrnehmung unsere Sinne – das Goms wahrscheinlich real. Wir freuten uns an der Vielfältigkeit, am Detail, gaben je näher wir uns Brig näherten das Schauen aus dem Fenster zugunsten von Buch und Zeitung auf und versanken im Buchstabenmeer – das ist ausschliesslich monochrom!
 
Statt in Visp umzusteigen, taten wir das in Brig – der IC nach Romanshorn, der von hier die ganze Schweiz in wenigen Stunden durchfährt, war gut belegt. Der Bahnhof Brig hat eine neues Gesicht...bei Gedränge nützt das aber wenig! Irgendwie wird man hier nicht so „warm“ empfangen – die Atmosphäre hat etwas weniger als eine Küche...aber mehr wie ein Badezimmer!
 
Das Tageslicht verabschiedete sich zeitgleich als der Zug im neuen Tunnel verschwand...die flackernden Neonröhren der passierten Bahnhöfe zeigen immerhin an, dass man unterwegs ist...spätestens in Bern wurden wir wieder gewahr, dass wir ins Gewusel der Moderne zurückkatapultiert wurden: Enge, Hetze, mehr als Eile, Ellbogen, düstere, manchmal finstere Blicke, FastFood-Tüten und SenfCurry-Irritationen – fast könnte einen schlecht werden – eine gewisse Banalität hat uns wieder! Ein stiller Sonntag wird zwischen den Buchdeckeln verabschiedet, Müdigkeit verbreitet sich, sogar Schnarcher sind schon im Dienst, Olten, der Tunnel...In Basel liegt mehr Laub als am Morgen, es ist nass-kalt und klamm. Es regnet!
 

Tourengänger: Henrik
Communities: Touren und Tafeln


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Kommentare (5)


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Fenek hat gesagt: dein Bericht...
Gesendet am 9. November 2009 um 10:01
mit einem Glas Roten und einer Scheibe Walliserbrot in der Hand liest sich dein Bericht wie ein wohliges Bettmümpfeli. Es fehlt nur noch das Kaminfeuer.....
Einfach herrlich, unser Poet aus Basel!

Pfaelzer hat gesagt: Als wäre man mit dabei...
Gesendet am 9. November 2009 um 14:06
...so geht es mir, wenn ich diesen tollen Bericht lese.
Eine Gabe, so schreiben zu können.
Ich freue mich immer auf den nächsten Tourenbericht.

Viele Grüsse,
Wolfgang

Seeger hat gesagt: Es ist im Leben nun mal so...
Gesendet am 9. November 2009 um 15:43
...den andern geht es ebenso.
Ciao Henrik
Das Echo bestätigt den Schrägdenker. Bin echt froh, nicht allein zu applaudieren.
Splendido!
Monochrom in schillernden Farben und grotesken Figuren.
AVANTI COSI.
Cari saluti
Andreas

Nicole hat gesagt: schon Albert Einstein schrieb...
Gesendet am 10. November 2009 um 16:42
*Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.*
...und lieber Henrik du besitzt die Gabe Phantasiefarben zu erzeugen....
Danke für den farbenfrohen Bericht!
Nicole

Henrik hat gesagt: Allen Lesern sei hier mal so
Gesendet am 11. November 2009 um 19:54
gedankt - das Narrative ist eine besondere Lust, die mich eigentlich fast täglich überkommt..nicht auf Blogs, sondern falls ein Spazi oder eine Wanderung vorliegt oder für das Banale des Alltages, früher das Tagebuch, heute da und dort, im Kleinen und öffentlich.

LG

Henrik


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