Eine kleine „Nacht“-Musik oder etwas Breughel am Bahnhof Laufen....


Publiziert von Henrik , 6. November 2009 um 12:21.

Region: Welt » Schweiz » Basel Land
Tour Datum: 5 November 2009
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BL 
Kartennummer:GA 1. Klasse

Der Weg an meinen Arbeitsplatz!
 
Um wach zu werden, lasse ich mich durch zwei Klingelformen wecken: durchs Handy, das trotz Empfehlungen in der Nähe meiner Schlafstatt liegt, und durch einen alten 5-Franken-Wecker der Migros! Nach dem morgendlichen Gang ins Badezimmer verzaubern mich (unterschiedlich wahrgenommen) Klänge klassischer Musik auf DRS II, darauf ich nicht verzichten möchte. Um halb sechs die ersten Nachrichten. Zwischenzeitlich habe ich mich angekleidet, den Rucksack mit dem Znüni bestückt, ein oder zwei Bananen stehend eingenommen und eine Tasse Grüntee getrunken. Meist gehe ich noch einen Blick auf der Terrasse erheischen, um einzuschätzen, ob ein Schirm mitgenommen werden muss oder eine zusätzliche Jacke mitkommt. Zur Zeit reicht die Fleece-Jacke vollends. Die vom Vortag leergetrunkenen PET-Flaschen nehme ich noch mit, um sie am Bahnhof zu entsorgen – nicht flachgedrückt, der Unansehnlichkeit wegen...
 
Um 5 Uhr 52 fährt der erste Tramzug der Linie 3 am Denkmal vorbei Richtung Burgfeldergrenze – dieses Tram nehme ich bloss für eine Station, zum Aeschenplatz. Ist dieser Tramzug zeitig und korrekt angekommen, reicht es für den 10er oder 11er – wenn nicht, reichen 5 Minuten bis zum Centralbahnplatz zu Fuss und drei weitere Minuten zum Perron 16. Dort steht die S 3 Olten – Laufen, Abfahrt um 06.06, mit Halt an allen Stationen. Was für eine Ruhe im kleinen 1.-Klasse-Abteil....keine verrauchten Kleider, kein dröhnender MP3-Player und kein Gratiszeitungsrascheln! Ich setze mich in Fahrtrichtung, keine Platzenge, die Sitze könnten etwas weicher sein - ich könnte stattdessen auch den ICN nehmen – und krame mein zweites Frühstück hervor: Äpfelschnitze und manchmal einen Hüttenkäse, mit einem Plastiklöffeli gelöffelt! Hatte ich zu Beginn meines Pendlerdaseins noch Lust auf eine Zeitung, unterlasse ich solches Vorhaben jetzt – ich sitze und lausche den Fahrgeräuschen: Klonk, Zisch. Bis Laufen sitzen nur drei Männer in diesem Abteil – vielleicht ist das im Sommer anders. Der oft sehr klare Morgen bricht an – und entzückt mich...die Blicke der andern entstiegenen Fahrgäste ist bodenwärts gerichtet.
 
Ich verweile eine ganz kurze Sequenz auf dem Hochperron 2, lasse die andern Fahrgäste wegeilen – denn viele stecken ihre Zigaretten an oder muffeln vor sich hin. In der ersten Woche kannte ich diese morgendlichen Szenarien noch nicht und bekam kalten, mundgeruchsgeschwängerten Zigarettenrauch förmlich und sehr unhöflich ins Gesicht geblasen. Die Menschen und Zeitgenossen, denen ich hier frühmorgens begegne sind eher dunkel angezogen, es fehlt sichtbar Farbe. Die Rucksäcke sind abgewetzt, die Kleider wirken etwas vernachlässigt, die Schuhe strapaziert, gebraucht. Junge Männer, an Hand ihrer Hosen unverkennbar als Handwerker eingeschätzt, halten die Energy-Drink-Dosen in der einen Hand und ziehen mit der andern ihre Mützen zurecht – in den Seitentaschen sind dicke Bleistifte und Holzmassstäbe auszumachen. Die wenigen, meist jüngeren Frauen in diesem Pulk mit ihren billig wirkenden Modetaschen und etwas zu schnell aufgetragener Schminke kontrastieren mit einem Teil Menschen, die Richtung Basel auf den ICN warten. An ihnen muss man vorbei – die Gleisunterführung ist mit dem Gleis 1 verbunden – hier hält auch die S 3 zurück nach Olten. Verschiedene Wege führen auch hier zum Ziel: nach der Ruhe im Zug habe ich meinen Weg ins Kantonsspital Laufen gefunden: rauchfrei, still, und erst noch eine Stimmung wie aus einem Gemälde von Turner. Es ist der Grabenweg, und dürfte historisch begründet wahrscheinlich Teil eines Mauerwerks gewesen sein. Hier sind manchmal Blicke auf die Birs möglich, je nach Witterung steigt Flussnebel auf, oder wie jetzt schon Tau und die ersten Zeichen des Winters. Der Grabenweg ist eigentlich eine Gasse am Fluss entlang – und absolut ruhig, was für ein Genuss. Es liegen Wohnhäuser an ihm, aber auch Ateliers und sogar ein alter Traktor steht auf einem PP. Am Ende des Grabenwegs kommen die beiden grossen öffentlichen PP des Städtchens Laufen, die am Morgen noch wirklich Plätze sind – frei von Blech. Umrundet von wuchtigen Platanen, deren grosse Blätter zur Zeit gewünschtes Rascheln beim Gang darüber hervorbringen. Danach ist die verkehrsreiche Baselstrasse zu queren – ein wenig Hockenheim oder Silverstone! Das KS Laufen liegt an der Lochbruggstrasse, dahinter steigt der Räbe an, das Spital ist durch eine Felsstufe des Brumberg regelrecht geschützt. Die ausgesprochen landschaftlich hervorragende Lage lässt den Blick schweifen hin zu den Jurahöhen, insbesondere der Hohen Winde und zum Trogberg, der Stürmenchopf und das Fringeli. Davor das weitläufige Thierstein.
 
Das kleine Haus, das seit letztem Jahr eine notwendige Allianz mit dem grossen Bruder auf dem Bruderholz eingegangen ist, wird von der Bevölkerung sichtbar geschätzt und sehr gelobt. Die Anbindung an den ÖV allerdings ist äusserst mangelhaft – da ist immer noch das Auto das Mass aller Dinge! Das KS Laufen ist baulich stetig gewachsen, architektonisch keine Perle – aber diese habe ich jetzt schon im Team und Mitarbeiterkreis gefunden. Ungewohnt ist das Arbeiten als Generalist: Pflege, Hausdienst, Reinigungsdienst, Postmann, Transporteur – Tätigkeiten, die ich teilweise schon seit Jahrzehnten nicht mehr habe machen müssen, sind jetzt unausweichlich Teil des Alltages – auf grossen Stationen stehen dafür andere Berufsgruppen zur Verfügung. Es beginnt zu gefallen und ich komme langsam an.
 
 
 

Tourengänger: Henrik


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Kommentare (2)


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ossi hat gesagt: Sehr kreative...
Gesendet am 6. November 2009 um 21:07
Idee, den Arbeitsweg als Tour zu bringen. Wäre also eine eigene Tourencommunity wert.

Gruss
ossi

Nicole hat gesagt: Farbe....
Gesendet am 7. November 2009 um 17:27
...schade mögen die meisten Menschen "keine Farben"...da wäre meine Vorliebe für Rot mal wieder gefragt :-)
Wie wäre eine Karriere als Romanschreiber?
LG Nicole


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