Rheinwaldhorn (3402m) von Norden (Zervreila / Länta)


Publiziert von gero , 12. August 2009 um 17:47.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Hinterrhein
Tour Datum:11 August 2009
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   CH-TI   Gruppo Rheinwaldhorn   Gruppo Pizzo di Cassimoi 
Zeitbedarf: 16:30
Aufstieg: 1755 m
Abstieg: 1755 m
Strecke:Kapelle Zervreilasee - Läntahütte - Läntagletscher - Rheinwaldhorn - Läntalücke - Läntahütte - Kapelle Zervreilasee
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ilanz - Vals - Zervreilasee; an diesem kann man bis zur Kapelle auf 1985m hinauffahren; dort einige (kostenlose) Parkplätze.
Unterkunftmöglichkeiten:Läntahüttte (2090m)
Kartennummer:1253 (Olivone), 1234 (Vals), 1254 (Hinterrhein)

Das Rheinwaldhorn - ein Wanderberglein? Das mag für die westseitige Normalroute von der Adulahütte gelten. Von Norden aber ist der Charakter doch etwas anders - und wenn man den Abstieg über die Läntalücke wählt, dann wird es leicht zum Horrortrip durch heiklen Steilschutt.

Zusammen mit meinem Freund Werner startete ich von der Kapelle am Zervreilasee (1985m) früh um 4:45 Uhr. Wir folgten der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Straße erst einmal hinunter zum Zervreilasee - 2km Horizontalentfernung und 100Hm, die man am Schluß der Tour leise fluchend wieder hinauf muß!

Man erreicht so den südlichen Ausläufer des Stausees und überquert ihn dort auf einer Brücke. Weiter geht es, nur sehr gemächlich ansteigend, nun am Südufer des westlichen Stauseearmes entlang; auf bequemer Almversorgungsstraße erreicht man die Lampertschalp (1991m, weitere 3km) etwa 1,5 Std nach Abmarsch. Ab hier begeht man einen Bergsteig, allerdings immer noch sehr langsam ansteigend, bis zur Läntahütte (2090m, nochmals 2,5 km; http://www.laenta.ch). Wir benötigten gut 2 1/4 Std.für die insgesamt knapp 8km - bis hierher ist die Wanderung also eine Sache der Horizontalentfernung, nicht des Höhenunterschiedes. Der Bach, dem man folgt, ist übrigens der Valser Rhein.

An der Läntahütte beginnt, bestens weiß-blau-weiß markiert, ein Glaziologie-Pfad, an dem die Lage der Zunge des Läntagletscher seit 1850 dokumentiert ist. Heute liegt sie im hintersten Talgrund - wie muß dieses Tal noch vor einigen Jahrzehnten ausgesehen haben, als es vom sicher recht eindrucksvollen Gletscher ausgefüllt war! Wir schleppten unser Gepäck weitere 2,5km - zusehends durch unbequemen Moränenschutt - bis zum heutigen Gletscherbeginn (knapp 1,5 Std. ab Hütte). Ein durchaus nicht triviales Problem stellt dabei die Überquerung des Baches kurz vor der Gletscherzunge dar; er sucht sich wild schäumend seinen Weg zu Tal. Eine Brücke gibt es nicht - und auch keinen Rat, wo die Überquerung am besten gelingt: hier muß sich jeder eine Stelle nach eigenem Ermessen suchen (der Weg führt markiert westseitig des Baches hinauf und geht dann ziemlich sang- und klanglos ostseitig weiter - wie hinüberkommen, bleibt des Wanderers Sache).

Die Gletscherzunge verläuft ziemlich flach, besteht aus mit Schotter bedecktem Blankeis und ist durch etliche Gletscherbäche durchzogen. Am besten ist es, hier schon die Steigeisen anzuziehen, man braucht sie sowieso ab jetzt. Doch wo geht es weiter? Der markierte Weg von der Hütte endet hier mit einem lapidaren Schild "Ende der alpinen Route", und nachdem das Rheinwaldhorn von dieser Seite offenbar sehr selten bestiegen wird, gibt es auch kaum verläßliche Spuren für den Weiterweg.

Hinauf zur Läntalücke (schrecklich schuttiger Anblick!) oder den steilen Gletscher hinauf? Wir wählten die zweite Variante - ein überaus weiser Entschluß, wie sich erst viel später (nachmittags beim Abstieg)zeigen sollte! Man ersteigt den Läntagletscher an seinem orographisch rechten Rand, indem man zunächst problemlos oberhalb einer Felsbarriere quert und dann unmittelbar neben den Felsabbrüchen, die vom Punkt 2923m herunterkommen, in Fallinie aufsteigt. Der Gletscher hat hier recht kontinuierlich etwa 35° Neigung (kurzfristig oben vielleicht auch 40°); wir trafen weichen Firn an, der sich gerade noch einigermaßen gut gehen ließ (ab hier sind Steigeisen und Pickel obligatorisch; wir sind den gesamten Gletscher bis hinauf zum Gipfel zudem mit Seil gegangen).

Oberhalb des steilsten Stückes flacht der Gletscher nur sehr langsama ab; wir begingen den oberen Teil in etlichen Zick-Zack-Wechseln und hielten uns dabei an seinem ostseitigen Rand - hier scheint es keine Spalten zu geben. 2 Std, nachdem wir den Gletscher betreten hatten, standen wir unter dem Gipfelhäubchen unseres Zieles, das den Läntagletscher an seinem obersten Ende ziert. Wir querten nun den Firn Richtung Westen zum namenlosen Sattel im Nordostgrat (hier mündet der Aufstieg von der Cap. Adula), und nachdem wir die letzten 100m hinter uns gebracht hatten, standen wir auf dem Rheinwaldhorn (3402m) (knapp 3 Std. ab Gletscherzunge, gut 4 Std. ab Läntahütte).

Leider konnten wir die hier im Forum vielgepriesene Aussicht kaum genießen - Wolken woben beständig Schleier und ließen nur kurze Augenblicke minimaler Fernsicht zu. Aber immerhin - es war warm und nahezu windstill, und wir rasteten fast 1,5 Std. dort oben am mit tibetischen Gebetsfahnen verzierten Gipfelkreuz.

Schließlich machten wir uns wieder an den Abstieg - nicht ahnend, daß nun unsere Tour eigentlich erst beginnen würde! Zur Abwechslung hatten wir uns vorgenommen, nicht wieder den gleichen Weg abzusteigen, sondern dem Felskamm gen Nordosten zur Läntalücke zur folgen, um dann irgendwie durch deren Nordwestflanke Richtung Läntahütte abzusteigen. Leider ein äußerst unglücklicher Entschluß, wie sich zeigen sollte!

Es begann erst einmal ganz harmlos: von dort, wo der von der Läntalücke über Punkt 3133m heraufkommende Blockgrat im Firn des Läntagletschers verschwindet, folgten wir eben diesem Kamm über unschwieriges Blockwerk. Dabei wird Punkt 3133m direkt überquert; hier hat sich der Kamm zum minimal exponierten Grat verjüngt und fällt vor allem ostseitig mit sehr steiler Flanke 600m ab. Jenseits des Gratkopfes steigt man über ein Schneefeld unschwierig in die Läntalücke (2979m, 1Std ab Gipfel) ab.

Wie geht es von hier aus weiter? Ostseitig kann man wohl zur Zapporthütte absteigen, wie an anderer Stelle hier im Forum beschrieben ist. Und westseitig hinab zur Läntahütte? Wir stiegen ein kleines Stück in die Flanke ab, dubiosen Steinmännern folgend - und fanden uns in einem übelst steilen Schutt- und Trümmerhaufen wieder, dem wir so schnell wie möglich entflohen, wieder hinauf zur Läntalücke. Ein großer Steinmann steht nordöstlich über der Lücke auf dem Hang, der hinaufzieht zu Punkt 3058m - und auch einige rote Markierungspunkte überzeugten uns, daß dies wohl der offizielle Weg sein muß. Also gut - Anstieg über die einfache, grasdurchsetzte Schuttflanke hinauf zum Punkt 3058m, und kurz dahinter wenige Meter absteigen zur einer kleinen Gratscharte, an der eine Markierungsstange und eine fixe Kette eine eindeutige Sprache sprechen: hier geht es hinunter Richtung Länta (30 Minuten ab Läntalücke)!

Das Gelände macht einen abscheulichen Eindruck: gäbe es die Kette und zudem weitere rote Markierungen nicht - niemand brächte uns da hinunter! Schutt, Schutt und nochmals steiler, plattiger Schutt über Absätzen und Abbrüchen - ein Gelände, wo man sich die Bergsteigerei abgewöhnen könnte. Längst wären wir froh gewesen, wenn wir über unsere Aufstiegsroute (den Läntagletscher) auch wieder abgestiegen wären. Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Wir hängten unsere Selbstsicherungen in die Kette ein, vertrauten darauf, daß wenigstens deren Verankerungen wirklich zuverlässig sind, und begannen, uns an der Kette hinabzuhangeln. Das ging auch besser, als erwartet - wenigstens etwas! Aber wir hatten uns zu früh gefreut: Die Kette endet ab und an, einmal wird eine wirklich schwierige, etwa 10m hohe Felsstufe überwunden. Kurz danach kommt ein kaum einfacherer Absatz, über den ein Seilstück hinunterleitet, und danach standen wir da und wußten nicht mehr weiter: keine weitere Kette, kein weiterer Markierungspunkt (30 Minuten nach Beginn der Kette). Was nun? Ratlosigkeit machte sich breit...

Im Nachhinein waren wir später der Meinung, daß wir an dieser Stelle möglicherweise etwas rechts ("nördlich") um einen Block herumgemußt hätten. Vielleicht. Vielleicht auch nicht - wer weiß?
-> Beachte meinen Nachtrag am Ende des Berichtes.

Jedenfalls sind wir weiter geradeaus hinunter, vermeintlichen Steigspuren nach. Das Gelände, die ganze Flanke ist ein einziger Albtraum. Große und kleine Blöcke, alles ist in Bewegung, beginnt bei der kleinsten Berührung zu rutschen, der Schwerkraft zu folgen. Steinschlag ist hier völlig unvermeidlich, eine gegenseitige Sicherung mit Seil eine Farce, weil es ja keine Möglichkeit gibt, den eigenen Standplatz irgendwo irgendwie verläßlich zu gestalten. So arbeiteten wir uns ganz langsam die Flanke hinunter, meterweise, eine einzige physische und psychische Anspannung. Und immer in der Hoffnung, daß nicht irgendwo mal ein höherer Abbruch das endgültige Aus bedeuten würde.

Erst ganz unten, nachdem man sich auf diese Weise die Flanke hinuntergekämpft hat, läßt die Neigung langsam nach. Wir balancierten zwar immer noch zwischen bzw. auf Blöcken und Platten umher, aber es war ein Ende abzusehen. Selbiges hat man vor Augen, wenn man den untersten Abschnitt der Flanke erreicht hat: ein großes steiles Geröllfeld, das unten auf den östlichen Schneefeldern des Läntagletschers ausläuft - und das man trotz alledem Schritt für Schritt konzentriert hinuntersteigen muß.

Wir haben vom obersten Beginn der besagten Kette bis hinunter zu den Schneefeldern des Läntagletschers gut 2 Std. benötigt; dabei waren 400Hm zu überwinden. Eine stolze Abstiegsleistung...

Ich denke, meine Wortwahl verfehlt ihren abschreckenden Sinn nicht: ich würde jedem ausdrücklich davon abraten, diesen unseren Abstiegsweg zu wählen. Mag sein, daß wir uns am vermeintlichen "Ende" der Kette in der Wegwahl geirrt haben - ein Vergnügen ist der Abstieg durch die Flanke der Läntalücke in keinem Fall. Und der Aufstieg sicher noch viel weniger!

Ein Vergnügen war dagegen der Rückweg zur Läntahütte, das dortige Bier und danach das Hinausschlendern auf zusehends bequemen Wanderwegen bis zur Brücke über den Zervreilasee ... nur die Gegensteigung hinauf zum Ausgangspunkt an der Zevreila-Kapelle, das war dann wieder nicht mehr der reine Genuß. Um 21 Uhr waren wir wieder am Auto.

In den 16,5 Stunden, die am Schluß herauskamen, sind insgesamt nur etwa 2 Stunden Pausen enthalten - also rund 14 Stunden Gehzeit, wovon 3 Std eingespart werden können, wenn man über den Gletscher absteigt statt über die gräßliche Flanke der Läntalücke.

Zur Schwierigkeitsbewertung:
Unseren Aufstiegsweg über den Läntagletscher habe ich mit WS bewertet - wirkliche Schwierigkeiten gibt es dort nicht, man muß die üblichen alpinen Voraussetzungen und natürlich den Umgang mit Pickel und Steigeisen auch in steilem Firn beherrschen.
Über den Abstieg durch die Schuttflanke möchte ich das Deckmäntelchen des Schweigens breiten: ist so etwas T5+ ? Die T6 würde ich mir trotz allem für noch übleres Gelände aufheben. Das Gelände dort war jedenfalls auf Grund seines ausgesetzten Steilschuttcharakters eine Art Absturzgelände und anspruchsvoller als praktisch alles, was ich bisher begangen habe.

Nachtrag am 13.08.2009:
Hier habe ich soeben gelesen : "Der neue Anstieg zum Rheinwaldhorn (Felsrippe nordöstlich der Läntalücke, eingerichtet) eignet sich für gute Alpinwanderer auch als hoher Übergang zur benachbarten Zapporthütte."

Also - irgendwie haben wir uns dann am "Ende der Kette", wie ich es oben nannte, verstiegen ... mag sein, daß der reguläre Weg besser ist als unser Schuttkampf.

Tourengänger: gero


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Kommentare (2)


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Zaza hat gesagt: Länta - Läntalücke
Gesendet am 12. August 2009 um 19:43
Ciao Gero,

in der Läntahütte hat es (aktualisierte) Infoblätter, welchen Weg zur Läntahütte man zu welcher Jahreszeit am besten wählen sollte. Der Hüttenwart kennt sich sehr gut aus; für eine Begehung wäre es also sinnvoll, ihn vorher auszufragen.

Ein Wanderberg ist die Adula übrigens auch von der Tessiner Seite keineswegs. Der Bergschrund kann im Spätsommer recht eindrücklich werden und Pickel/Steigeisen sind stets zweckmässig (ausser man steigt über die Via Malvaglia auf und ab). Am einfachsten ist sicherlich der Zustieg von der Zapporthütte via Läntalücke.

beste Grüsse

zaza

MicheleK hat gesagt: RE:Länta - Läntalücke
Gesendet am 12. August 2009 um 23:35
Hallo Zaza,
stimme mit dir voellig ueberein. Zur Ergaenzung: auch fuer die Via Malvaglia sind Steigeisen und Pickel empfelenswert - bei Ausaperung ist der Schlussaufstieg auf den SSW Grat, auch wenn kurz, doch fast gut 40 Grad steil. Dazumal gings nur mit Steigeisen.

Tanti Saluti.
Michele


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