FL komplett: Durchquerung Liechtensteins an einem Tag


Publiziert von Nik Brückner , 15. Juli 2019 um 15:51.

Region: Welt » Liechtenstein
Tour Datum:10 Juli 2019
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: FL   A   A-V   CH-GR   Rätikon   CH-SG 
Zeitbedarf: 13:30
Aufstieg: 1700 m
Abstieg: 3700 m
Strecke:42km

...vom höchsten (und fast dem südlichsten) zum niedrigsten (und nördlichsten) Punkt.

"Das schaffen Sie nicht", sagte die Sückawirtin, als ich am Vortag einige Ausrüstung auf der Sücka deponierte. "Ich kann's versuchen", gab ich zurück - nicht sicher, ob meine Zuversicht wirklich angemessen war. Zwar hatte ich die Durchquerung Liechtensteins seit mindestens sechs Jahren geplant, aber wie sich herausstellte, hatte ich keine ganz klare Vorstellung vom ersten Teil, der Strecke vom Vorder Grauspitz bis zum Rappastein - und die zurückzulegende Strecke wollte ich gar nicht so genau wissen...

"Liechtenstein ist ein herrliches Land! Ich komme wieder - und wie!" hatte ich in einem Tourenbericht über die letzte Etappe meiner Weitwanderung von Garmisch nach Vaduz geschrieben - jetzt wollte ich das einlösen.



Mein Plan:

Eine Durchquerung Liechtensteins an einem Tag, vom höchsten Punkt, dem Vorder Grauspitz (2599m) zum niedrigsten (und nördlichsten) Punkt (430m), logischerweise eine Stelle am Rhein, dort, wo er das Land verlässt, in der Nähe des österreichischen Bangs. Wegen der Länge der Tour und mangels Stützpunkt in unmittelbarer Nähe des Vorder Grauspitz, geht das Ganze eigentlich nur mit einer Übernachtung im Freien: Die Pfälzer Hütte liegt (übers Ijesfürggli) ca. zwei Stunden und 850 Hm, bzw. (übers Barthümeljoch) ca. zweieinhalb Stunden und 950 Hm vom Vorder Grauspitz entfernt, die Enderlinhütte 2:45 und 1350Hm und die Gipfelstation der Älplibahn Malans gar dreieinhalb Stunden und 1000 Hm. Alle drei sind also als Startpunkte für diese Unternehmung nicht geeignet. Bei einer Strecke von 42 Kilometern kann man keinen einzigen Meter Anmarsch brauchen.

Also: Übernachtung im Freien, möglichst nahe am Startpunkt. Da ich die Gegend um die Grauspitzen nicht kannte, beschloss ich, mit Isomatte und Schlafsack bepackt, so nahe wie möglich an den höchsten Punkt Liechtensteins heranzuwandern, und mir dort einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Und so war ich am Vortag im dichten Nebel vom Parkplatz am Gängelesee (1302m) hinauf auf den Hinter Grauspitz (2574m) gestiegen, um dort in nächster Nähe zu meinem Startpunkt zu biwakieren. Ich hatte mir einen Schlafplatz knapp unter dem Gipfel des Hinter Grauspitz eingerichtet, war noch kurz zum Gipfelkreuz aufgestiegen, hatte dort festgestellt, dass bei dieser Sicht an einen Weiterweg zum Vorder Grauspitz nicht zu denken war, und hatte mich schlafen gelegt.

Von wegen! Denn mir stand eine grauenvolle Nacht bevor. Die Temperaturen fielen unter Null Grad, meine Kuhle hatte eine leichte Linksneigung, meine eigene Anspannung... kurz: Ich konnte einfach nicht einschlafen. Die sieben Stunden 53, die mein Wecker mir anzeigte, verbrachte ich meist wach, warm zwar, aber nicht fähig, ein Auge zuzutun.

...und ich beobachtete, wie sich die Wolken, die schon am Vortag meinen Aufstieg beinahe hätten scheitern lassen, einfach nicht verziehen wollten. Erst gegen morgen, so ab vier, verzogen sie sich, und gaben den Blick frei auf die beiden großen Unbekannten meiner Tour: Den Übergang zum Vorder Grauspitz, und den Grat hinunter zum Plasteikopf. Irgendwann langte es mir, und ich stand auf, frustriert, und ohne viel Hoffnung, mein Unternehmen durchziehen zu können. Wohl kaum würde ich nach einer solchen Nacht ein ganzes Land durchqueren können! Ich schrieb der Waldelfe, die mich logistisch unterstützte, eine entsprechende SMS, in der dann aber doch stand, dass ich es zumindest versuchen wollte, wo ich nun schon einmal hier war. Ein zweites Mal würde ich auf dem Hinter Grauspitz jedenfalls nicht übernachten, soviel stand fest.



5:00 Uhr: Ich wischte die Eiskristalle von meinem Schlafsack, packte meinen Rucksack, brachte ihn an eine geschützte Stelle, und machte mich an den Übergang zum Vorder Grauspitz.

Dieser Übergang war, wie gesagt, eine der großen Unbekannten meiner Tour. Man liest - immer noch - sehr unterschiedliche Dinge über diesen Grat: Die eine braucht bloß eine Viertelstunde, der andere spricht von einem brüchigen IIer, und wieder jemand anderes sagt, der Fels sei griffig und fest. Das liegt natürlich daran, dass jede(r) ein bissl anders geht. Für mich ging's vom Kreuz weg ein paar einfache Schritte hinüber zu einem kurzen Kaminl, Rinne kann man schlecht dazu sagen, weil da nix rinnt. Es ist die erste von zwei schwierigeren Passagen: T5 und, joa, I bis II, würde ich sagen. Dann geht es spürbar leichter weiter hinunter. Der Fels ist, na, nicht wirklich bombenfest, Nordalpen halt, aber weitaus fester als Vieles, was man z. B. aus dem benachbarten Bregenzerwald kennt. Zudem bieten sich hier zahlreiche große Griffe und Tritte, so dass man gut ausweichen kann, wenn tatsächlich mal was wackelt.

Unten, im Sattel zwischen beiden Gipfeln, muss dann eine kleine Erhebung überkraxelt werden, wo die Platten schräg zum Grat geschichtet sind, und wilde Zacken bilden. Das ist die zweite schwierige Passage (nochmal T5/I-II). Danach geht es deutlich einfacher hinauf auf den Vorder Grauspitz (2599m). Eine, zwei kurze Kraxelstellen dabei sind höchstens Ier.

Hinter Grauspitz - Vorder Grauspitz: Weglose Gratkletterei, T5/I-II und leichter, 25 Minuten


25 Minuten brauchte ich von Gipfel zu Gipfel, zurück sogar nur 20. Der Fels war nass, und ich war für diese Bedingungen etwas zu schnell, aber für T5 vor dem Frühstück war das ganz gut. Nur bergauf zog ich nicht richtig - kein Wunder wahrscheinlich, bei der Kälte, und nach dieser Nacht.

In einer kurzen Pause bestaunte ich die von Morgenlicht beschienene Umgebung, beginnend mit dem langen Grat, der heute vor mir lag. Ich sah zum Walserkamm hinüber und zu den Bergen rund um Damüls: Glatthorn, Türtschhorn, Zafernhorn. Dahinter waren die Mittagspitze, die Kanisfluh und die Klipperen zu erkennen. Besonders prominent sind auch der Ifen, der Zitterklapfen, die Hochkünzelspitze, der Widderstein und die Rote Wand. Davor: Blasenka, Tuklar, Gamsfreiheit.

Den Osten dominiert natürlich die nahe Schesaplana. Dahinter erheben sich Drusenfluh, Drei Türme und die Sulzfluh. Ganz hinten am Horizont sind die Weißseespitze, der Muttler und die Weißkugel zu erkennen, schließlich das prominente Fluchthorn. Weitere hohe Gipfel am Horizont sind Piz Buin, Verstanclahorn, Chapütschin, Piz Linard und die Plattenhörner.

Im Süden erhebt sich der nahe Vilan, darüber dominieren Piz Kesch und Piz Roseg der Horizont. Direkt im Süden steht das nahe
Glegghorn, dahinter erstreckt sich das Rheintal. Im Südwesten dann sind Haldensteiner Calanda, Ringelspitz und Tödi zu sehen im Westen ist es der Glärnisch. Näher dann die Churfirsten und die Alviergruppe, mit Gauschla, Alvier und Gamsberg. Den Rundblick schließt der Alpstein ab, mit dem Säntis und dem Altmann.


Vorder Grauspitz - Hinter Grauspitz: Weglose Gratkletterei, T5/I-II und leichter, 20 Minuten


Am Hinter Grauspitz (2574m) sattelte ich auf, und machte mich an die lange Gratüberschreitung zu den Drei Schwestern. Es geht zunächst Richtung Ijesfürggli hinab, bis zu einem großen Steinmann, nicht weit unterhalb des Gipfels. Hier kann man auf dem Nordgrat hinuntersteigen, der sich bald nach Nordwesten dreht. Und hier eröffnet sich der Blick auf einen geradezu fantastischen Gras- und Felsgrat: Allein die knapp zwei Kilometer bis zum Plasteikopf, die man von hier aus einsehen kann, sind atemberaubend: Eine scharfe Grasschneide, die ihresgleichen sucht. Das Ganze getaucht in goldenes Morgenlicht - meine Stimmung stieg!

Auf dem Nord/Nordwestgrat stieg ich auf guten Trittspuren hinunter. Es war immer noch nass, was auf diesem Untergrund nicht einmal von Nachteil war: So konnte ich feste Tritte im weichen Untergrund hinterlassen. Nur beim Wechsel auf Fels musste ich Acht geben. Eine steilere Stufe im unteren Teil ist T4, der Rest ist weniger steil und leichter (T3).

Dann geht's auf die Grasschneide. Und gleich hier, am niedrigsten Punkt zwischen dem Hinter Grauspitz und der etwas unscheinbaren Demmerahöhi (Pt. 2302m), ist zu erkennen, dass ein Notabstieg vom Grat nach links (Demmera) oder rechts (Naaf) an mehreren Stellen problemlos möglich wäre. Ich blieb aber natürlich auf dem Grat, sehr konsequent, und überschritt jeden Zacken. Nur selten wich ich in die linke Flanke aus: Der Regen der letzten Tage hing noch im Gras, und erhöhte Vorsicht insbesondere in schattigen Passagen war angesagt.

Immer noch ein wenig zu schnell für diese Bedingungen überschritt ich die Demmerahöhi (2302m), und näherte mich dem Steilaufschwung des Plasteikopfs. Zwei kleine Felsstufen brachten mich an den Gipfelaufbau heran, und ich konnte eine Grasrinne links der Gratkante als Aufstiegsmöglichkeit ausmachen. Links der Kante - im Schatten also, und entsprechend nass. Mit großer Vorsicht stieg ich hinauf, in überraschend gut gestuftem Gelände. Leichter und schneller als gedacht stand ich auf dem Gipfelgrat.

Ganz oben ist man hier aber noch nicht. Über Platten geht es an eine Felsstufe heran, und dort leichter, als es aussieht, über steiles Gras hinauf zum höchsten Punkt des Plasteikopfs (2356m), wo ich um halb acht anlangte.

Hinter Grauspitz - Plasteikopf: Weglose Gratüberschreitung, T5 und leichter, Stellen I, 1:20


Direkt danach folgt ein kurzer, brüchiger Blockgrat, der überwunden werden muss. An einer Stelle hilft ein kleiner Spreizschritt über einen Spalt. Dann geht es über Gras nach Norden hinunter.

...bis man an einem senkrechten Felsabbruch anlangt. Hier ist kein Weiterkommen. Also umgehen, auf der rechten, der Ostseite. Ich folgte dem Abbruch, der sich in die Ostflanke hineinzieht, immer der Kante entlang, um eine Schwachstelle zu suchen. Ich wollte so nah wie möglich am Grat bleiben, um Strecke und Zeit zu sparen, deshalb sah ich mich gar nicht weiter nach einer großräumigen Umgehung um, sondern nutzte eine kleine Einschartung, um auf ein Band unterhalb der Kante zu gelangen. Von dort würde ich, zwanzig Meter weiter links, hinunterkommen. In weichem, breiigem Gestein stieg ich zwei Meter hinunter, dann wich der Fels unter mir zurück. Wieder hinauf? Na, das Band etwa einen Meter unter mir war breit genug, da würde ich springen können.

Ich ließ los, landete, kippte aus mir bis heute unverständlichen Gründen nach rechts und rollte Richtung Abgrund. Ich landete auf einen zweiten, schmaleren Band unterhalb des ersten - und blieb liegen. Aus mir ebenfalls unverständlichen Gründen.

Nur Zentimeter neben einem senkrechten Abbruch fand ich mich wieder, rappelte mich auf, und machte eine Bestandsaufnahme: Alles noch dran, Hose zerrissen, darunter vermutlich heftige Schürfwunden, aber nichts, was mich am Gehen hindern würde. Und so kramte ich meine Psyche zusammen, verfluchte den Typen, der immer allen sagt: Im Gebirge niemals springen, aber sich selbst nicht dran hält, und ging weiter.

Also zwanzig Meter weiter, zu einer senkrechten Felswand, und dort eine breeig-bröslige Rinne hinunter - dann stand ich endlich auf sicherem Boden. Ich atmete durch, machte mir die mentale Notiz, allen Lesern von dieser Variante abzuraten, und machte mich dann auf den Weiterweg.

Der nächste Gipfel ist der Hochspeler. Bis dahin muss man allerdings noch durch ein größeres Blockfeld, das zwar nicht schwierig zu begehen ist, wo aber instabil gelagterte Blöcke, Löcher und Spalten Fallen bilden, denen es auszuweichen gilt. Das Adrenalin trieb mich hinauf zu den Blöcken, hindurch, und drüben hinaus ins Gras. Dann wird das Gelände endlich einfacher, und über einen mäßig steilen Grashang stieg ich hinauf auf den steinmannbekrönten Hochspeler (2226m), den man auf schmaler Grasschneide überschreitet. Drüben hinunter in einen gemütlichen Sattel, und auf Trittspuren auf den nächsten Gipfel: den Rappenstein (Rappastein, 2222m).

Plasteikopf - Rappenstein: unmarkierte Gratüberschreitung, T6/III im Abstieg vom Plasteikopf (meine Variante, umgehbar), sonst T3, 1h


Endlich auf Wanderwegen! Ab jetzt würde ich keine unliebsamen Überraschungen mehr erleben. Vom Rappastein führt ein guter Weg hinunter, eine felsige Stelle ist sogar seilversichert. Gut so, denn der Fels war immer noch nass - oder waren's meine Sohlen? - und ich kam immer wieder mal ins Rutschen. In wenigen Minuten langte ich am Rappasattel (2071m) an. Von hier aus führt der Wanderweg über den Grat weiter. Ich konnte mich ein wenig entspannen: Eine herrliche Grasschneide, Ausblick nach rechts und links, vor allem nach links, wo es 1500 Meter ins Rheintal runtergeht, darüber der Alpstein und über mir nur Sonne und blauer Himmel! Es war fantastisch!

Meine weitere Abstiegsroute führte mich nun über alles rüber: Goldlochspitz (2110m), gleich hinter dem Rappasattel, der Kolme (1993m) weicht man kurz links aus, dann geht's am Heubüal (1936m) endgültig in die Vegetation hinein, weiter über den Chrüppel (1707m), wo ich die ersten Wanderer traf, und dann hinunter zur tiefsten Stelle des Grats zwischen Hinter Grauspitz und Drei Schwestern. Mein erstes Etappenziel an diesem Tag war erreicht: Der Gasthof Sücka (1409m), in dem die Waldelfe und ich am Vortag Ausrüstung deponiert hatten.

Rappenstein - Sücka: markierte Wanderwege, T2, 1,5h


Im Gasthof ließ ich Isomatte, Schlafsack und alles andere zurück, was ich für die Gipfelübernachtung und den kalten Morgen gebraucht hatte. Ich tauschte Müll gegen Brotzeit und Wasser, und meine schweren C-Stiefel gegen Leichtwanderschuhe. Letzteres war, wie sich herausstellte, die beste Entscheidung des Tages, und der Schlüssel zum Erfolg. Hatte ich am Morgen Schwierigkeiten in den Anstiegen gehabt, ging es von nun an deutlich leichter.

Nach fünfzehn Minuten war ich mit dem Umpacken fertig, und stieg wieder hinauf zum Bergrücken.

4:10 zur Gafadurahütte ist hier angeschrieben. Wenn ich das einhalten konnte, würde alles glattgehen. Danach wartete nur noch der finale Talabstieg und ein langer Talhatscher auf mich.

Noch vor dem alten Tunnel nahm ich den Weg hinauf Richtung Plattaspitz/Bargällasattel. Der schöne Weg verläuft kurz unterhalb des Rückens in der Ostflanke, und zieht dann hinauf. Von dort an geht es fast ausschließlich den Rücken weiter. Schön ist's hier! Das wissen auch die Ponys, die hier herumstehen.

Die erste nennenswerte Erhebung ist der Plattaspitz (1703m), ein schmaler Waldgipfel, zu dem man über Felsen und Wurzeln hinauf- und ebenso drüben wieder hinuntersteigt.

Sücka - Plattapitz: markierter Wanderweg, T2, und T3 am Gipfel, 40 Minuten


Vom Plattaspitz aus geht es nun überraschend eben weiter zum Bargällasattel (1742m), wo ich eine weitere kurze Pause einlegte. Etwas unterhalb befindet sich der geographische Mittelpunkt Liechtensteins (1697m) - der Besuch ist ein Muss auf dieser Tour!

Vom Bargällasattel führt ein Weg den Hang hinauf zu einem Sattel zwischen Alpspitz und Helwangspitz. Ich ignorierte beide Gipfel, und erreichte den Sattel etwa eineinhalb Stunden, nachdem ich die Sücka verlassen hatte.

Plattaspitz - Chemi: markierter Wanderweg, T2, 50 Minuten


Hier ändert sich die Landschaft schlagartig: War man eben noch über sanfte Wiesenhänge gewandert, steht man nun plötzlich in einer wilden Landschaft aus bizarren, brüchigen Felstürmen. In diese Szenerie hat man mit brachialer Gewalt einen Weg hineingebaut, der breit genug ist, um einen Jeep hier fahren zu lassen. Schön ist anders. Zudem wurde gerade an diesem Weg gebaut, Menschen und Maschinen waren zugange, um gangbar zu machen, was von Natur aus nicht gangbar ist. Ich schaute, dass ich weg kam, und machte mich aus dem Staub.

Der Weg führt hinüber in den Gafleisattel (1853m), wo er seine ursprüngliche Schönheit wieder erlangt, und führt von dort aus durch Latschengassen hinauf auf den Gafleispitz (1999m). Der liegt ein paar Meter abseits des Wegs, ich nahm ihn aber mit, weil's mich kaum Zeit kostete.

Der Weg wechselt hier auf die Westseite des Grats, und bald passierte ich die erste Abstiegsmöglichkeit, die ich ins Auge gefasst hatte, falls es nicht so laufen würde, wie erhofft. Doch ich war fit, keine Ahnung, warum, und hatte in den Anstiegen jetzt deutlich mehr Energie als am Morgen. Vermutlich lag es an den Leichtwanderschuhen. Die zu benutzen, stelte sich als goldrichtig heraus.

Trotzdem: Noch zwei Stunden zur Gafadurahütte? Ich war doch seit der Sücka schon 2:45 unterwegs - und dort hatte es 4:10 geheißen... Wie kann die Hütte immer weiter wegrücken?

Nach dem Abzweig wechselt der Weg wieder auf die Ostseite, ich pauste noch einmal kurz, und stieg dann auf dem weiterhin einfachen Weg hinauf auf den Kuegrat (2123m).

Chemi - Kuegrat: markierter Wanderweg, T2, 1:20


Hier wechselt die Landschaft erneut ihren Charakter: Man verlässt die Latschengassen, und betritt erneut eine brüchige, schotterige Felsszenerie. Vorsichtig geht es im Zickzack vom Kuegrat hinunter, dann quert man hinüber zum Garsellikopf - trotz seines klingenden Namens ein ausgesuchter Bruchhaufen, der nur deshalb mittels Betonstufen und Seilen begehbar gemacht wurde, weil hier ein Übergang halt sinnvoll ist. Ich merkte in diesem äußerst unangenehmen Gelände, dass es mit meiner Konze nicht mehr weit her war. Neun Stunden nach meinem Aufbruch am Hinter Grauspitz musste ich mich ziemlich zusammennehmen, um hier präzise zu gehen. Und das bestätigte meine Entscheidung, die Drei Schwestern zu umgehen: Über die Garsellaalpe würde ich sowohl schneller als auch sicherer unterwegs sein, zudem wollte ich die Schwestern mit den Leichtwanderschuhen nicht begehen. Sie mussten also heute ohne mich auskommen - Sisters are doin' it for themselves.

Froh, den unangenehmen Garsellikopf hinter mir zu haben, wanderte ich nun hinunter in den nächsten Sattel, und von dort aus auf dem schönen Weglein zur Garsellaalpe (1759m).

Kuegrat - Garsellaalpe: markierter Wanderweg, am Garsellikopf T4-, sonst T2, 45 Minuten


Dort wendet sich der Weg nach links (Norden), und unter den hohen Wänden der Drei Schwestern querte ich hinüber zum Sarojasattel (1628m).

Immernoch eine halbe Stunde zur Hütte? Ich glaub's ja nicht!

Mir wurde die Zeit zu lang, ich beeilte mich, und erreichte nach zwanzig Minuten die Gafadurahütte (1428m).

Garsellaalpe - Gafadurahütte: markierter Wanderweg, T2, 50 Minuten


Ursprünglich wollte ich von hier aus nach Schaanwald absteigen, von dort aus auf Wanderwegen durchs Rheintal Richtung Bangs queren, und dabei den Eschner Berg überschreiten. Doch ich hatte vom Grat aus gesehen, dass eine Hauptverkehrsstraße ziemlich genau unterhalb der Gafadurahütte direkt zum Rhein hinüberquert, und entschied mich nun, an dieser entlangzuwandern, um dann von Bendern aus auf dem Dammweg rheinabwärts zu laufen. Das war einfacher, und würde mir die ständige Ori mit der Karte ersparen, auf die ich mittlerweile keine Lust mehr hatte.

Das bedeutete, dass ich nach Nendeln absteigen musste. Das ist an der Hütte nicht angeschrieben, und so folgte ich zunächst den Wegweisern nach Planken (770m). Der Ort liegt auf einem sonnigen Aussichtsbalkon, noch 300 Meter über dem Rheintal. Im Ort ist dann auch endlich Nendeln angeschrieben, und über einen schönen Steig langte ich endlich unten im Tal an.

Gafadurahütte - Nendeln: markierter Wanderweg, T2, 1,5h


Meine Knie dankten es mir. Bisher war alles gut gewesen, aber auf den letzten 150 Höhenmetern hatten sie sich gemeldet - und deutlich protestiert. Ich konnte es ihnen nicht verdenken, schließlich waren sie inzwischen fast zwölf Stunden in Betrieb, und hatten dabei 3700 Höhenmeter absteigen müssen. Nun war das endlich vorbei: Ab jetzt würde es nur noch flach dahingehen.

In Nendeln (477m) angekommen, wanderte ich zum nördlichen Ortsausgang, und wandte mich dort nach links, Richtung Eschen (453m) und Bendern. Hier wandert man zwar knapp 4 Kilometer der Straße entlang, aber es gibt einen Fußgänger- und Radweg, das passt schon. Besonders dankbar war ich für eine Tankstelle, an der ich Eis und Getränke einsackte. Und eine Überraschung für meine Waldelfe, die bereits in Bangs auf mich wartete.

Kurz vor der Grenze an der Rheinbrücke in Bendern wechselte ich dann auf den Radweg, der auf dem Rheindamm nach Norden führt.

Nendeln - Rhein: Radweg/Gehsteig, T1, 45 Minuten


Tja, und nun hatte ich knapp 8 Kilometer Asphalt vor mir, immer wieder aufgescheucht von Fahrradfahrern, die - natürlich - keine Klingel haben (ist ja schließlich auch total uncool), und stets scharf an mir vorbeiflogen (ist ja schließlich auch total cool). Und während ich von Nendeln zum Rhein lediglich eine Dreiviertelstunde gebraucht hatte, wurde ich nun mit jedem Schritt langsamer: Blasen meldeten sich, ausgerechnet auf den letzten Kilometern noch. Aber ich hielt durch, auch an der Stelle kurz vor Bangs, an der sich der Radweg nach rechts wendet, und der Fußweg weiter geradeaus beschildert ist - nur um 500 Meter weiter an einem Rheinzufluss in einer Sackgasse zu enden. Und so lief ich wieder zurück, fluchend, nach fast 14 Stunden, und hielt mich von nun an strikt an den Radweg - der mich schließlich an mein Ziel führte: An den nördlichsten Punkt Liechtensteins, der - logischerweise - auch der niedrigste ist (430m): Die Stelle, an der der Rhein das Land verlässt.

Bendern -  Nördlichster Punkt Liechtensteins: Radweg, T1, 1:40


Von hier aus waren es noch 15 lange Minuten zur Rheinbrücke (435m), die von Bangs nach Lienz führt - und zu meiner Waldelfe, die gegen 19:30 Uhr den mittlerweile nur mehr langsam dahinkriechenden Spinner einsammelte, der in 14,5 Stunden (13:20 reine Gehzeit) 42 Kilometer und 1700 Aufstiegs-  und 3700 Abstiegshöhenmeter zurückgelegt hatte, um ein ganzes Land an einem Tag zu durchqueren. Wer glaubt, Liechtenstein sei klein, soll das mal nachmachen!


Fazit:

Eine fantastische Tour durch ein fantastisches Land. Ich liebe solche Länder, sie sind etwas Besonderes, und es lohnt sich, sie zu Fuß zu erkunden - im Falle Liechtensteins allemal - es ist ein wunderschönes Land. Es muss ja nicht immer eine Gesamtdurchquerung an einem Tag sein.

Wenn man das aber machen will, sollte man auf die Tageslänge achten. Die Tour wird, tageslichtbedingt, erst gegen Mitte, Ende Juni möglich (da hat's dann aber noch viel Schnee!), und Anfang August ist schon wieder Schluss. Oder man nimmt eine Stirnlampe mit. Oder man geht schneller als ich.

Was braucht man? Isomatte, Schlafsack, C-Schuhe, Leichtwanderschuhe, dazu Stecken, damit bin ich ausgekommen. Siebeneinhalb Liter Wasser habe ich getrunken, insgesamt neuneinhalb über den ganzen Tag. Dabei half mir, auf der Sücka ein Depot einzurichten. Sückawirtin, das war - Achtung, anschnallen - ganz entsückend von Euch! Gleiches gilt für die Waldelfe, die mich am Vortag zum Parkplatz am Gängelesee gefahren hatte, und an diesem langen Tag in Bangs auf mich wartete. Vielen lieben Dank dafür.

So! Und nun bin ich gespannt. Findet sich jemand, der diesen wunderbaren Unsinn nachmachen wird?

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (12)


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berglerFL hat gesagt: Top!
Gesendet am 15. Juli 2019 um 16:38
Gratuliere zu dieser super Leistung!

Gruss aus Schaan ;-)

Nik Brückner hat gesagt: RE:Top!
Gesendet am 15. Juli 2019 um 17:11
Aaah! Der erste Kommentar gleich von Liechtensteinern! Da freu ich mich aber sehr. Dankeschön! Und herzliche Grüße rheinaufwärts aus Mannheim.

Nik

Kauk0r hat gesagt:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 18:16
Das war sauber Nik!

Danke für deine Impressionen! Ich erinnere mich gerne an meine Tour zwischen Plasteikopf und den Grauspitzen und die Grattour vom Hochspeler zum Plasteikopf, wenn ich auch so gut es ging die Schwierigkeiten gemieden habe :)

Beste Grüße!
Kauk

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 19:47
Heyho! Grüß Dich! Und vielen Dank!

Yep, den einen deiner Tourenberichte hatte ich sogar im Handy, für den Fall der Fälle. Ist eine wunderbare, stille und wilde Ecke Liechtensteins, hat mir dort gut gefallen.

Herzlichen Gruß,

Nik

Andy84 hat gesagt:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 19:25
Sehr geile Tour. Ich hoffe das ich es dieses Jahr auch noch nach Liechtenstein schaffe. Und für die Planung wird mir dein Bericht sehr helfen.
VG Andy

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 19:48
Hey Andy!

Dank' dir. Hey, das fände ich super, wenn Du mit meiner Beschreibung was anfangen könntest. Schau, dass Du nach Liechtenstein kommst! Ist so schön da! ;o}

Gruß,

Nik

berglerFL hat gesagt:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 21:12
Falls ihr irgendwelche Infos zu Touren im FL braucht einfach melden.

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. Juli 2019 um 22:23
Super Angebot, danke!. Haste noch sonen scharfen Grat für mich? Wie den von der Demmerahöhi über den Plasteikopf? Der ist wunderschön gewesen...
Gruß,

Nik

berglerFL hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. Juli 2019 um 13:27
In Liechtenstein wars das leider mehr oder weniger mit tollen Graten in dem Bereich. Wir sind ja auch nicht übermässig gross ;-)

Was ich dir aber wärmstens empfehlen kann ist folgende Tour:
http://www.hikr.org/tour/post87256.html

Sicher einer meiner schönsten Grat-Touren die ich je gemacht habe. Und auch nicht weit weg vom FL.
Falls du mal Lust hast, ich müsste sowieso schon lange mal mein Gipfelbuch auf dem Mittelgipfel der Rossmad austauschen, das war anscheinend schon vor zwei Jahren nass...

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. Juli 2019 um 14:20
Säntis Ostgrat! Jaaaa, der steht schon auf meiner Liste. Mal sehen, vielleicht klappt es sogar dieses Jahr noch. Was die Rossmad angeht, die muss ich mir mal ansehen, die hatte ich bisher übersehen. Danke Dir!

Gruß,

Nik

Delta Pro hat gesagt:
Gesendet am 15. Juli 2020 um 21:42
"So! Und nun bin ich gespannt. Findet sich jemand, der diesen wunderbaren Unsinn nachmachen wird?"

Nachmachen nicht, aber noch etwas unsinniger war meine Idee ;-) ("Alle Gipfel Liechtensteins in einem Tag").
Geschafft hab ich's leider nicht, aber meine
Tour im Ländle war noch ein ganzes Stück länger als diese.

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 20. Juli 2020 um 10:35
Alle Gipfel Liechtensteins in einem Tag! Wahnsinn - was für eine Idee! Wow, ich gratuliere! Gleich mal drüben nachlesen, wie Du das gemacht hast. Vermutlich mit Sprungfedern in den Schuhen...?

Fröhlichen Gruß,

Nik


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