Gran Vernel 3210m Normalweg


Publiziert von bergteufel , 15. März 2019 um 19:00.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:28 September 2018
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Staumauer Fedaiasee / Korblift Pian dei Fiacconi - Vernelscharte - Gran Vernel
Zufahrt zum Ausgangspunkt:über die Staumauer des Fedaiasees zum großen Parkplatz links (nicht der Liftparkplatz).
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Pian dei Fiacconi

Servus.

Der Gran Vernel. Einer der mächtigsten Berge Südtirols.

Im Westkamm des Marmoladamassivs steht diese Gesteinspyramide. Sie strahlt Unnahbarkeit zu all ihren Flanken aus. Perfekt passend dazu weist der Berg einen der schwersten Normalwege (AD) auf einen 3000er der Dolomiten auf. Nicht zu vergessen, der Gran Vernel ist einer der großen Unbekannten seiner Zunft, kaum beschrieben. Ein sehr selten bestiegener Dolomitenhäuptling.  Der Fels im Ursprungszustand, nur durch Abseiler befriedet. Genial.

Vorab mal ein Wort, warum reizt es einen auf diesen Hügel zu steigen? Für einen 3000er Jäger der Dolos ist er ein Muß, für normale Gipfeljäger und Bergfans der Dolomiten eine große Herausforderung, der man sich gerne stellen würde, wäre da nicht das Beschreibungsvakuum. Der Berg steht im Kamm der Marmolada, die alles prägt, und führt damit ein kleines Schattendasein. Frevel jedoch ihn als verlängerten Westgrat der "Königin" zu bezeichnen, ein absolutes No-Go. Diesen jenen hat man längst vernagelt. Den Piccolo Vernel müßte man ausradieren und dann würd`s immer noch nicht passen. Soviel zu seiner Eigenständigkeit. Der Gran Vernel ist ein perfekt gestylter Dolomitenkoloss, dessen Gipfel nur schwer zu erreichen ist und deshalb können all die Quacksalber der Berichtethik hier nicht punkten.
Luca Visentini, der sich in seinen Büchern über die einzelnen Gebirgsmassive der Dolomiten, an seine Zielgruppe, die ambitionierten, erfahrenen Hochtouristen (Bergwanderer) wendet, beläßt es beim Ratschlag, den optischen Reiz dieses Berges vom Tal aus zu genießen, da die Gefahren einer Besteigung weit über das Limit des Wanderns hinausgehen.

Gestern haben wir, meine Bergkameradin Annette und ich, uns an der Grohmannspitze warm gestiegen. Ok, es ist spät im Jahr, jedoch sind die Bedingungen perfekt. Kein Schnee und klarstes Wetter. Ich denke unsere Form paßt. Nun gut, es war eine kalte Nacht im Auto, aber eine große Tat verlangt Opfer. Und so verlasse ich um 6 Uhr das Auto auf dem Panoramaparkplatz beim Korblift Fedaia (Marmolada) - Pian dei Fiacconi. Wegen nicht unbedingt nachvollziehbarer Begebenheiten schaffen wir es um 8:30 Uhr endlich den Wanderweg Nr. 606 hoch zum Rifugio Pian dei Fiacconi anzugehen. Ende September ?, der Gipfelerfolg ist jetzt schon in Gefahr - das ist nicht des Teufels, sondern teuflischer Scheiß!

Wir erreichen die Forcella Col del Bous 2438m, ein Grasrücken unter den Kriegsstellungen am Felsfuß des Col del Bous (2491m) und entscheiden, den Steinmännern Richtung Marmoladascharte / Gran Vernel zu folgen. Wir wollten eigentlich, nicht besser wissend, zum Rifugio aufsteigen, aber jetzt gilts Zeitsparen. Eine gute Entscheidung. Der Trampelpfad trifft auf den markierten Weg zur Marmoladascharte in der Senke kurz vor der markanten Felsnase. Der markierte Weg kommt von der Hütte / Korbliftbergstation. Bei Liftnutzung spart man sich 1,5 Std. bzw. knapp 600Hm. Um die Nase herum und sofort rechts ab. Man berührt kurz den Steig Nr. 619, der vom Rif. Villetta Maria oder Fedaiasee hochkommt und hier einmündet. Nun ansteigend querend auf den Gran Vernel zu. Der Blick zur Forcella del Vernel öffnet sich. Wow, was für eine Hausnummer an Scharte strahlt einen da an. Der Felssperrriegel mittig bindet deinen Blick. Zunächst geht es grausames Schottergelände, rechts haltend, auf spärlichen Pfadspuren nach oben.
Heute sind wir literarisch wieder mal perfekt ausgestattet. Haben eine Beschreibung aus einem alten DAVführer dabei, die mir ein Hikrkamerad gegeben hat. Herzlichen Dank dafür. Dazu kommt das fehlende Wissen, wie komme ich wieder runter. Im Klartext heißt das, kraxel solange rum wie es dein Mut zuläßt. 

Und so beginnt kurz vor dem Sperrriegel die Suche nach der Einstiegsmöglichkeit oder nach einem verwertbaren Zeichen. Kalt ist es hier, schlummert doch das Eis unter dem Schotter, um uns herum die typischen Geräusche von Gefahr. Wir bezwingen den Schartenriegel an der rechten Seite (SG I), heute stellt sich uns nur gefrorenes Wasser entgegen, wir brauchen keine Steigeisen. Es gilt das breite Schottergelände über der senkrechten Schartenbegrenzung des Gran Vernels zu erreichen. Ca. 50 Hm unter der Scharte (besser: unmittelbar nach dem Sperrriegel) entschliessen wir uns hochzuklettern (SG II, keine Zeichen), mit Blickrichtung zum Gipfel. Ich spurtel noch kurz Richtung Scharte hoch, die Wand wird senkrecht, da geht nichts mehr. 
Jetzt passiert mir ein Kardinalfehler, getrieben vom Zeitfaktor und der Wegunsicherheit steige ich in dieses vermeindlich leichte Gelände mit vollem Gepäck und ohne Pause. Soll heißen, hier ist das Gepäckdepot. Kletterpatschen raus und Seil auf Hab Acht.
Es geht ca. 20 Hm nach oben und dann links, dem schrägen Gelände leicht ansteigend nach Süden folgen. Ziel ist die kleine Terrasse in dem sich aufsteilenden Südgrat, der von der Vernelscharte hochzieht (ca. 40Hm über der Scharte). Das Gelände dorthin ist "grausam einfach", ein Ier (vielleicht der Beschissenste den ich kenne), kein Tritt ohne Rolleffekte und volles Gepäck am Rücken, bravo. Mir begegnet ein verrosteter Schlaghaken, dann sichte ich zur Linken eine Schlinge (der Abseiler in die Scharte). Schließlich geht es über eine mit Steinchen garnierte, schräge Felsplatte an den Grat. Hier ein Steinmann und ein weiterer Abseiler. Puhh, endlich die Sicherheit, du bist richtig. Rucksack runter, alles umpacken und kurz durchschnaufen. Vom Fedaiasee bis hierhin sind wir eigentlich durchgelaufen, gleichwohl fällt auch der Zeitverlust durch die Wegfindung ins Gewicht. Man ist halt doch zum ersten Mal hier. Verrückt. Es ist 13 Uhr, Ende September.

Noch liegen knapp 200 Hm ohne Wissen vor uns. Das Rückwegrisiko in Kauf nehmend, entscheiden wir uns für den Gipfelgang. Diesen Spezi schnappen wir uns.
"Jetzt die Rinne hoch"...., so will es unser mittelalterlicher Hotspot! Geil, dein Blick vom Steinmann aus richtet sich nach rechts oben, ja hier teilt sich vom Südgrat eine Rinne ab, das ist mal so richtig geil, diffizilstes Gelände vor uns. Im SG II lt. DAV und Visentini machbar. Alles brüchig und schotterig. Gerade hoch SG III+, in Schlagenlinie (mit Alkohol) vielleicht SG II, aber sicher ist, alles andere als leichtes Gelände. Kurz umschleicht mich der Gedanke, meine Karwendelausbildung war gut.
Man steigt die sehr steinschlaggefährdete und extrem brüchige Rinne nach oben. Nach ca. 80 Hm oder nach dem dritten Abseiler (spätestens bevor die Rinne sich verengt) quert man aus der Rinne nach links an den Grat. Hier sehr ausgesetzt, selbst absichernd, bis zum spitz zulaufenden Rinnenbeginn, mit dem vierten Abseiler (SG II-III). Von hier im SG I-II, ausgesetzt am Grat, zum Gipfel. 

Ein großer Steinmann ziert den Gipfel dieser Gesteinspyramide. 3210m, der Gran Vernel ist einer der großen Dolomitenberge. Das Gipfelbuch ist durchnässt, kaputt, die Buchschatulle vom Blitz getroffen. Schade. Die Zahl der Einträge ist jedoch gering, soweit ich das noch beurteilen kann.
Du bist im Herz der Dolomiten, damit hast du einen perfekten Rundumblick über all diese atemberaubenden Gipfel. Die Marmolada nebenan klaut nur wenig des Panoramas und der Anblick dieser "Königin" hat schon auch was.
Wir gönnen uns, aufgrund meines Vetos, eine halbe Stunde am Gipfel. Luxus, denn das Ziel, bei Tageslicht das Auto zu erreichen, ist längst gecancelt. Den markierten Pfad zur Marmolada zu erreichen sollte allerdings schon noch klappen. Oooh welch Wohltat, eine kleine Dose Bier in meiner Jackentasche hats wie ein Wunder bis ganz hoch geschafft.

Abstieg: Vom Gipfel wird zurückgeklettert. Die Rinne wird 4mal abgeseilt, der Abstand der Abseilstellen mit geschlagenen Haken ist für ein 50m Seil ausgelegt. Jetzt bist du über der Scharte, am Ende der Rinne. Man nutzt den Abseiler quer haltend entlang der Mauer über die Felsplatte (wie Aufstieg). Dann kommt eine Schlinge, der man abseiltechnisch vertraut oder nicht, ansonsten nach rechts, auf die Scharte zu, abklettern, zu dem deutlich sichtbaren Schlingenstand. Es sind genau 25m bis zum Schartengrund ohne Schnee. Dann vorsichtig den Sperrriegel runterkraxeln und gemütlich nach Hause wandern.

Wir haben uns beeilt und erreichen bei Einbruch der Dunkelheit die Forcella Col del Bous. Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, daß morgen kein weiterer 3000er folgen wird. War die Grohmannspitze gestern doch eher ein Schongang, so hat dieser Berg uns ganz schön gefordert. Ein absolutes Highlight in meiner Bergsteigerkarriere.

Noch zwei Anmerkungen: Wenn du mit dem Abseiler den Schartenboden erreichst, erkennst du, daß von oben, von der Schartenkante, ein Trampelpfad herabkommt. Möglicherweise ein Zeichen, daß man den Kleinen Vernel überschreitet (zur Vernelscharte abseilt) und dann den Gran Vernel angeht. Dann gibt es da noch den langen Westgrat, über die Punta Cornates 3029m wird der Gran Vernel überschritten (SG IV). Wohl einer der ganz großen Gratgänge in den Dolomiten.

Im Nachhinein denke ich, wir haben die Route fast ideal getroffen. Hier mal einen außerordentlichen Dank an meine Begleiterin, die sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen läßt und wenn nötig stets eine große Leistung abrufen kann.

So, jetzt habe ich euch den Normalweg auf den Gran Vernel verknüpft mit meinen Empfindungen beschrieben. Absichtlich und ausnahmsweise habe ich dieses Mal bei einer Kletterroute eine Wanderschwierigkeit angegeben. T6+ dient als Hinweis, daß man sich in sehr schwierigem Absturzgelände bewegt. Die Zeitangabe 10 Std. ist nur eine Marke, alles hängt hier von so vielen Faktoren ab.

Bestimmt sind da einige, die sich dieses Schmankerl schnappen wollen, bitte bedenkt, der Gran Vernel ist eine sehr ernste Bergfahrt.

Habe die Ehre, Berg Heil,
der Bergteufel

Tourengänger: bergteufel


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Kommentare (10)


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georgb hat gesagt: Nicht unbedingt nachvollziehbare Begebenheiten?
Gesendet am 16. März 2019 um 07:34
Das hört sich fast ebenso spannend an wie die Besteigung selber!?
Bravo Rudi

bergteufel hat gesagt: Mann will es nachvollziehen
Gesendet am 16. März 2019 um 11:36
Servus Georg, du glaubst es kaum, was so alles unter Laune der Natur läuft. Extrem spannend und prickelnd.
Danke Dir, Dir alles Gute

georgb hat gesagt:
Gesendet am 16. März 2019 um 17:12
Jetzt hast du die Spannung ins unermessliche gesteigert ;-)))

ADI hat gesagt:
Gesendet am 25. März 2019 um 23:40
I sog nur OHA.......
SEHR ANSPRUCHSVOLL.......

LG....

ADI

bergteufel hat gesagt: Es is wias is
Gesendet am 26. März 2019 um 15:49
Und i sog: Scheiß da nix Spezi... am Gipfe trink ma an Bock!

Stefan_F hat gesagt:
Gesendet am 24. Januar 2020 um 14:06
Super Bericht zu einer attraktiven Tour!
Habt ihr denn eine Möglichkeit gesehen von der Vernelschaften auf den Piccolo Vernel zu kommen? Die Fülle an Literatur kennst du ja...

VG
Stefan

bergteufel hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. Januar 2020 um 21:48
Danke Dir, Stefan.
Von der Vernelscharte auf den Piccolo Vernel soll möglich sein (III), lt. altem DAVführer.
Vom Piccolo Vernel hinab zur Scharte, da gibt es eine Abseilstelle, die Tour steht so in einem italienischen Bergbuch, das hat man mir inzwischen gesagt. Deshalb auch die Trampelspuren ab der Schartenkante. Ist wohl die deutlich interessantere Variante für die Besteigung des Gran Vernel.
VG Rudi

georgb hat gesagt:
Gesendet am 20. Juni 2020 um 21:55
Servus Rudi,
ist mir erst jetzt aufgefallen: Der Vernel liegt nicht in Südtirol! Schade zwar, aber den Trentinern soll man ja auch was gönnen ;-)
Grüße Georg

bergteufel hat gesagt: Fehlerteufel
Gesendet am 14. Juli 2020 um 23:24
Verflixt. Nein, ich bessere es nicht aus, war mir sicher, dann is es halt so. Herzliche Grüße

Stefan_F hat gesagt:
Gesendet am 10. August 2020 um 19:46
Jetzt musste ich, nein ich durfte deinen Bericht noch mal studieren und hoffte eine genauere Information über den Westgrat des Gran Vernel zu finden. SG IV schreibst du. Wo hast du diese Info her? Gibt es in dieser Quelle noch genauere Aussagen? Wenn man den Grat absteigen oder abseilen könnte ... da ergeben sich Möglichkeiten!

VG
Stefan


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