"Seilbahnwandern" - Industriearchäologie und mehr im Bielatal


Publiziert von lainari , 25. Januar 2019 um 18:02.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum:20 Januar 2019
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 4:00
Aufstieg: 330 m
Abstieg: 330 m
Strecke:12,5 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Zug der ČD nach Ohníč
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 10 České středohoří západ

Eine Erkundung in zwei Anläufen

Eins:
Wegen massiver Schneelage hatte ich einen freien Tag eingelegt. Nachdem ich mein Anwesen schneller als erwartet freilegen konnte, wollte ich meine Erkundung des Bielatales am zunächst noch trockenen Wintertag fortsetzen. Am Vormittag suchte ich mir auf dem Weg ins nahe České středohoří (Böhmisches Mittelgebirge) eine freie Straße über den tiefverschneiten Erzgebirgskamm. Ziel war der Ort Ohníč (Wohontsch) im mittleren Abschnitt des Bielatales. Der Ort war einst vom untertägigen Braunkohleabbau geprägt. Oberhalb vom Bahnhof befanden sich in einer kleinen Siedlung die Tagesanlagen der Důl Karolína I (Betriebsdauer: 1885-1943), die über zwei Stollen verfügte. Die Tagesanlagen am Förderstollen bestanden aus einem Huthaus, einem Kraftwerk, einer Brikettfabrik und einer Ziegelei. Über zwei etwa 150 m lange Schrägaufzüge wurden die Produkte zur Verladeanlage an der Bahnstrecke herabgelassen bzw. Rohstoffe nach oben zugeführt. Der Bahnhof bestand damals noch nicht in seiner heutigen Form. Heute ist von den historischen Anlagen nur noch wenig zu sehen, eine Nachschau lohnt aber dennoch. Eine ca. 2,1 km lange Seilbahn verband die Verladeanlage zusätzlich mit der Důl Karolína II, dafür war im Verlauf eine Querung des Bielatales mit einem Stützenabstand von etwa 300 m erforderlich. Ich parkte das Auto am Bahnhof ab und stieg den Hang zur Straße hinauf. An einem Wohnhaus nahm ich den Treppenaufstieg zu einer Anliegerstraße. Im Verlauf bog ich nach links und kam nach einem Aufstieg zum Stollenportal der Důl Karolína I. Vom einstigen Kraftwerk und der Brikettfabrik sind nur noch Fundamentreste vorhanden. Beim Abstieg suchte ich noch nach dem zweiten Stollen. Sein Portal wurde vor einigen Jahren ausgebaut und zum Lehnschafter-Stollen in Mikulov umgesetzt. Das verschlossene Mundloch fand ich nicht, möglicherweise liegt es auf einem Privatgrundstück. Zurück an der Straße, passierte ich die kleine Siedlung. Hinter dem Ortsausgang wechselte ich auf die verbuschte Trasse der einstigen Kohleseilbahn und ging von Mastfundament zu Mastfundament bis ich die Grundfläche der Stütze der Talquerung erreichte. Da mittlerweile Schneefall eingesetzt hatte, beließ ich es für heute dabei und ging auf dem Flurweg Richtung Bahnhof Ohníč zurück.
 
Zwei:
Schönes Hochdruck-Winterwetter ist angekündigt. Einhundertausendundein Wintersportler streben Richtung Erzgebirgskamm. Ich quere diesen am frühen Morgen. Schon am zweiten Tag des Hochdruckwetters ist das Böhmische Becken mit eiskalt grauer Nebelsuppe vollgelaufen, aber hier ist es schneearm und trocken. Ich parke das Auto erneut am Bahnhof Ohníč. Ich durchmesse die Ortslage und gehe entlang der Straße bis zur Einfahrt zum Steinbruch Dolánky (Dollanken). Gegenüber steige ich den felsdurchsetzten Talhang des Bielatales hinauf. Oben treffe ich auf einen Bunker der Tschechoslowakischen Landesverteidigung, der von den Normbauten abweicht. Wenig daneben befindet sich die Grundfläche der zweiten Stütze der Talquerung der Kohleseilbahn. Von hier aus folge ich dem Trassenverlauf von Mastfundament zu Mastfundament. Im Bereich einer Haldenschüttung fehlen einige Fundamente. Ob die Halde mit der Seilbahn oder einer Grubenbahn bedient wurde, ist nicht mehr feststellbar. Entlang eines asphaltierten Zufahrtsweges komme ich zum Areal der einstigen Důl Karolína II. Ein Wohnhaus und ein Trafohaus sind die einzigen historischen Relikte am früheren Seilbahnbeginn, der Rest des Geländes ist neu überbaut worden.
 
Ich zweige nach rechts ab und gehe zwischen den beiden Pingen-Seen der Grube Karolina bergwärts auf einem Flurweg nach Mošnov (Moschen). Kaum im Ort angekommen, biege ich rechts auf eine Straße ein und nach dem Ortsende nochmals rechts auf einen asphaltierten Flurweg. Dieser hat einen recht aussichtsreichen Verlauf. Vorbei an einem weiteren untypischen Bunker gelange ich zu einem Taleinschnitt. Der vermutete talquerende Fahrstollen der Důl Svornost erweist sich bei genauerer Betrachtung als (außer Betrieb befindlicher) Wasserkanal eines nahen Hochbehälters. An der Fahrstraße biege ich nach links und laufe bergwärts. Im Bereich einer scharfen Kurve halte ich mich geradeaus auf einem Flurweg. Später gehe ich an einer Feldkante zum Fuß des Pohradická hora. Den bewaldeten Berg erklimme ich weglos von Osten. Der Gipfel des Pohradická hora/Aloisova výšina (Poratscher Berg/Aloisiushöhe) ist von Hecken, einstiger Steingewinnung und Gebäuderesten geprägt. Von 1838-1840 ließ hier der Prager Erzbischof Alois Joseph Schrenck von Notzing einen 15 m hohen steinernen Aussichtsturm und ein gemauertes Lusthäuschen errichten, die nach dem II. Weltkrieg verfielen. Ein kleinerer Gebäuderest wird in den heutigen Beschreibungen nicht näher definiert, aber ich halte ihn für eine einstige Kapelle, denn ein von der katholischen Kirche gebautes weltliches Ensemble ohne Gebetsmöglichkeit ist eher unwahrscheinlich. Die inoffizielle Markierungsbrigade meiner letzten Tour hat den einstigen, von Westen erfolgenden Gipfelzugang gekennzeichnet. Über diesen steige ich nun hinunter. An einer Feldkante laufe ich auf einem Flurweg aussichtsreich grobe Richtung Westen. Nach rechts abgebogen, laufe ich abwärts und überquere eine Straße.
 
Dahinter zeichnet sich eine Haldenschüttung der Důl Svornost (Grube Einigkeit) ab, die von einer etwa 1 km langen Seilbahn bedient wurde. Ich folge den Fundamentresten der Abraumseilbahn in Richtung Ohníč. An der Waldkante muss ich eine Dornenhecke links umgehen, da sonst keine Möglichkeit mehr besteht, in den Wald zu gelangen. Ungefähr auf der Hälfte des Talhanges verliere ich aufgrund von Pingen und Bruchgräben die Linie, bzw. es sind keine sichtbaren Reste der Bahn mehr auszumachen. Am Talboden befand sich das 1892 als Kaiser Franz Josef Stollen gegründete, später Důl Svornost (Grube Einigkeit) genannte Braunkohlebergwerk, das bis 1978 in Betrieb war. Hier war auch ein Schrägaufzug, allerdings zwischen dem Stollenportal am Fuße des Talhangs hinauf zu den Verarbeitungs- und Verladeanlagen vorhanden. Das Gelände der einstigen Tagesanlagen wird heute von einer Farbenfabrik genutzt. Am Bahnhof Ohníč endet anschließend die heutige Erkundung.
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug insgesamt 4 h.
Die absolvierte Wegstrecke ist bis auf ein kurzes Stück nicht als Wanderweg markiert und größtenteils mit T1 zu bewerten. Die weglosen Ab- und Aufstiege am Talhang sowie der Ostanstieg am Pohradická hora sind abweichend als T3 einzuschätzen.
Der Verlauf der Seilbahnen ist auf der Generalstabskarte System S 1952 1:25.000 Blatt M-33-52-B-a (Teplice) mit Bearbeitungsstand 1953 noch eingezeichnet.

Tourengänger: lainari


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden


Geodaten
 43392.kml Manuell gezeichnete Wegstrecke

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»