Kurzbericht 

Bärner Iis


Publiziert von jfk , 29. Juni 2018 um 16:26.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum:21 Juni 2018
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: S
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE   CH-VS 

Der Sommer kommt, der viele Schnee vom vergangenen Winter schmilzt langsam auch im Hochgebirge. Höchste Zeit also, die noch guten Bedingungen für ein paar klassische Firn- und Eisanstiege im Berner Oberland zu nutzen. Karte

Nollen (S 60°-70°)

"Michel wurde wieder voraus gelassen, um an der bösen Stelle über dem Abgrund und unter der Eiswand durch, die Tritte für Hände und Füsse neu auszubessern. Dann wurde vorwärts kommandiert. Ich gestehe, dass ich nicht ohne einiges Gruseln mich hinausbeugte über den Abgrund und in der enorm steilen Eiswand nach Löchern für Hände und Füsse griff. Seitwärts tretend musste man die Tritte suchen, bald am lothrechten Eiswändli für die Finger, bald am 60° geneigten Eishange für die Füsse. Zwischen den herübergreifenden Armen tauchte der Blick ohne Vermittlung in den wirren Eiger-Gletscherkessel, 2000 Fuss unter uns, dessen gähnende Schründe uns zum Sturze einzuladen schienen. Unter stetem ruhigen Commando Christens vorn, und hinten am Seil gehalten, passierte ich diese böseste Stelle, die ich je passiert habe und zu der man einen ruhigen Puls und sicheren Kopf haben muss."

So die Schilderung Edmund von Fellenbergs zur Erstbegehung des Nollens am 13. Juli 1866. Ohne Steigeisen, dafür mit Pickel und einer, wie sich herausstellte nutzlosen Leiter ausgerüstet, zählt sie zu den Meilensteinen im Alpinismus und ist eine jener Touren, die den Wandel vom Eroberungs- hin zum Schwierigkeits-Alpinismus eingeleitet haben. 
Mit der heutigen Eistechnik bildet der Nollen nicht mehr die selbe Herausforderung wie vor 150 Jahren. Nichtsdestotrotz gehört er immer noch zu den schönsten und beliebtesten Eisrouten der Berneralpen.
Wir kamen letzten Dienstag etwas unverhofft zu einer Begehung. Treffpunkt am Montagabend mit Damian in der Guggihütte. Ziel: Lauperroute.
Während er als "Zustieg" den Rottalgrat über die Jungfrau wählt, notabene als Tagestour von Stechelberg, und er in den vergangenen Wochen in sämtlichen Nordwänden der Region herumgeturnt ist, lasse ich mir Zeit und steige gemütlich vom Eigergletscher zur Hütte, gespannt wie sich meine Form nach der langen Bergabstinenz durch die Offiziersschule und mit einer hartnäckigen Erkältung zeigt.

Start am nächsten Morgen um 4 Uhr. Im ersten Licht auf dem Mönchsplateau der etwas konsternierte Blick hinunter zum Einstieg der Lauper. Wassereis und Neuschnee auf den kaum absicherbaren, brüchigen Kalkplatten der Einstiegs-Seillängen wirken alles andere als Einladend, während sich der Nollen mit perfekten Bedingungen präsentiert. 
Nach einer Pause entscheiden wir uns für den Nollen. Zum Trost darf ich die Schlüssel-Seillänge vorsteigen, welche heute 60°-70° steiles Eis bereithält (quert man in der Mitte der SL nach rechts hinaus, kommt man auch mit 60° durch). Um 8:30 sitzen wir so schon wieder unten am Einstieg zur Normalroute und betrachten bei einer langen Pause das muntere Treiben auf dem Jungfraufirn. Damian verabschiedet sich nach einiger Zeit in Richtung Jungfraujoch und ich wandere über die Mönchsjöcher und Ewigschneefäld hinunter zur Berglihütte.

Grosses Fiescherhorn - Fieschergrat - Agassizhorn - Aarbiwak (ZS III- 50°)
Nach durch die Erkältung schlechter Nacht wiederum Start um 4 Uhr und in zweieinhalb Stunden auf bekanntem Weg über den schönen Walchergrat in totaler Einsamkeit aufs Grosse Fiescherhorn. Vor dem Ochs beginnt dann Neuland für mich.

Über den Bergschrund, der bei Ausaperung schwierig sein kann, kurz und steil (45°-50°) ins Fiescherjoch. Ein kurzer, scharfer Firn- und ein ebensolcher, etwas brüchiger Felsgrat mit hübschem Gendarm (III-), führen mich auf den breiten Rücken des Fieschergrats. Diesem folge ich bis aufs Agassizhorn, wobei es nach P. 3745 wieder deutlich steiler und luftiger wird (Stellen II+). Der Abstieg ins Agassizjoch ist kurz und leicht und wird durch den gewaltigen Eindruck des Finsteraarhorns geprägt.

Das Agassizjoch bietet eine elegante, eindrucksvolle aber nicht ganz ungefährliche Variante, durch die gewaltigen Nordost-Abstürze von Finsteraar- und Agassizhorn abzusteigen. Bereits in den 50ern des letzten Jahrhunderts wurde der Route eine Episode im kurzweilig geschriebenen Buch "Schweizer Bergführer erzählen" gewidmet. Die rund 45° steilen Hänge, der äusserst brüchige Fels, ein unter Umständen grosser Bergschrund und die östliche Exposition, machen die Tour nur bei günstiger Firnlage und frühem Aufbruch empfehlenswert. 

Wie im SAC-Führer empfohlen, steige ich erst über die zweite Rippe nördlich des Couloirs hinunter (I-II), wechsle dann aber aufgrund des brüchigen Gesteins bald ins eigentliche Couloir, das perfekte Bedingungen aufweist. So gehts zügig ins Finsteraarjoch hinunter, welches ich nach 20 Minuten erreiche (ZS).

Einem letzten, scharfen Abschnitt in der Westflanke ausweichend, geht es über den Grat bei P.3454 weiter zur Alten Strahlegg, durch deren Ostcouloir hinunter auf den Strahlegggletscher (45°) und pünktlich aufs Zmittag treffe ich im schmucken Aarbiwak ein. Etwas direkter kann man auch über das längere Couloir, das von P.3373 hinunterzieht auf den Strahlegggletscher absteigen. Beide Varianten verlangen wie am Agassizjoch sichere Firnverhältnisse.

Lauteraarhorn Südwandcouloir & Schraubengang (T6 ZS+ III 45°)
Wegen meiner Erkältung und weil es Verhältnisse und mein Formstand trotzdem zulassen, schlafe ich am nächsten Morgen aus und starte erst um 6 Uhr, relativ spät zum Lauteraarhorn.
Die Verhältnisse sind perfekt und in hartem Firn gehts hoch durchs Südwandcouloir und über den schönen Südost-Grat auf den Gipfel des 4000ers.
Für mich nach zwei erfolglosen Versuchen ein spezieller Moment. Vor drei Jahren war mir auf dem Schreckhorn so übel, dass wir nicht weiter zum Lauteraarhorn konnten und vor fünf Jahren sind wir wegen einem drohendem Gewitter und Steinschlags aus der Region des Schraubengangs, auf dem Strahlegggletscher stehend, gar nicht erst ins Südwandcouloir eingestiegen.

Über jenen, unter Alpinisten nicht ganz zu unrecht berüchtigten Schraubengang, mache ich mich nach kurzer Rast auf hinunter nach Grindelwald. Den Südostgrat zurück und das Couloir, dass vor dem kleinen Gendarm vor P.3918 ansetzt hinunter bis auf 3800 Meter. Momentan liegt guter Firn, bei Ausaperung klettert man wegen Steinschlag besser erst auf der linken, dann auf der rechten Begrenzungsrippe hinunter (II) oder zieht dem Schraubengang gleich das auf gipfelbuch.ch und im Topoführer als Alternative beschriebene "obere Band" vor (II-III, Abseilstellen bis 40m).

Unter der steilen Gipfelzone angelangt, auf einem Bändersystem, die Höhe haltend und gegen Schluss leicht ansteigend, spektakulär über mehrere Rippen und Rinnen zum Südwestgrat hinüber. Einzelne Steinmänner weisen gegen Ende den Weg (T6). Bei trockenen Verhältnissen ist's sicher etwas einfacher als wie bei mir angetroffenem Firn. 

Auf dem Südwestgrat gelange ich über einen scharfen Firn-, dann Felsgrat zum Wandausbruch, den man steil in der Westflanke umgeht. Da ich ein Seil dabeihabe will ich erst entlang der Sicherungsstangen abseilen. Das Gelände ist unübersichtlich und das Seil hat sich bereits beim ersten mal Abseilen wegen einem Quergang so verklemmt, dass ich es nicht mehr lösen kann. Ein dumpfes Fluchen erfüllt den Kessel des Schreckfirns.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mühsam und zeitraubend wieder hochzuklettern um das Seil zu lösen. Immerhin weis ich nun, dass ich das Gelände sicher abklettern kann und verstaue das Seil im Rucksack. Über das steile und brüchige, dafür gestufte Gelände geht es gut hinunter und mit dem Klettern finde ich plötzlich den richtigen Weg auch einfacher. Trotzdem bin ich froh, als ich endlich die unteren, leichteren 2/3 des Grates erreiche (II-III). Aufziehende Nebelschwaden unterstreichen den strengen Charakter des Abstiegs. In nach wie vor wilder Landschaft und stellenweise schöner und luftiger Kletterei meist der Gratkante entlang zum Strahleggpass (I-II, kurze Stellen III). In bekanntem Gelände nun wieder zügig über den Gaag hinunter zur Schreckhornhütte. Dank meines Verhauers brauche ich vom Gipfel zur Hütte die vollen, im Führer angegebenen fünf Stunden.

Auf der Heimfahrt im Zug werden die schönen Tage im Berneroberland mit einem Rivella und einem Vanilleeis gefeiert.

Anmerkungen
Hütten: Alle drei besuchten Hütten, Guggihütte, Berglihütte und Aarbiwak, werden vorbildlich unterhalten und bieten eine einfache und gemütliche Übernachtungsgelegenheit im Hochgebirge. 
Die Berglihütte ist alpenweit wohl einzigartig. Bewusst wurde nichts modernisiert und so fühlt man sich in der Hütte um 100 Jahre zurückversetzt - Sogar die Matratzen liegen noch auf Stroh und auch die Notfallapotheke aus jenen Tagen ist original. Trotz dem mühsamen Ofen (Rauch zieht nicht ab) unbedingt ein Besuch wert! Für mich war's bereits das dritte mal...
Das Aarbiwak ist trotz der abgeschiedenen Lage die vielleicht am besten unterhaltene Hütte für Selbstversorger, die ich kenne. Ein grosses Dankeschön den Verantwortlichen der Sektion Pilatus! 
Solo im Hochgebirge: Zwischendurch bin ich solo im Hochgebirge unterwegs. Für mich eine sehr ursprüngliche, ehrliche und schöne Art in die Berge zu gehen. Ich veröffentliche solche Touren selten und habe das in diesem Fall nur gemacht, weil einige der hier beschriebenen Routen nur wenig oder kaum im Internet oder der gängigen Literatur beschrieben sind. Solo im Hochgebirge bedeutet auch bei penibelster Vorbereitung im Vergleich zur Seilschaft fast immer ein erhöhtes Risiko - Dessen sollte sich jeder, der so unterwegs ist bewusst sein.
 

Tourengänger: damiangoeldi.ch, jfk


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