Verschwunden: Klein-Jober und Rabenstein (Malá Javorská a Havraní)


Publiziert von lainari , 6. April 2018 um 21:53.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum:25 März 2018
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 440 m
Abstieg: 440 m
Strecke:17 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Bus bis zur Kreuzung der Straßen II/240 - III/24095
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 11 České středohoří východ

Von der Rußbutte zur Bieberklamm und über den Mertendorfer Hutberg
 
Irgendwer hat das Wetter kaputtgemacht. Am Samstag sollte es laut Prognose trübe und bedeckt sein, tatsächlich war es aber mehrheitlich freundlich. Am Sonntag war das Verhältnis zumindest in meinem Zielgebiet umgekehrt. Kachelmann übernehmen sie!
 
Mein erneutes Ziel waren die Wernstädter Höhen im rechtselbischen České středohoří (Böhmisches Mittelgebirge). Mit der Anreise startete ich bei einem schönen Sonnenaufgang in den vermeintlich klaren Tag. Zügig erreichte ich den geplanten Startpunkt an der Křižovatka (Kreuzung) II/240 - III/24095. Der Schnittpunkt der Straßen zwischen Verneřice (Wernstadt) und Valkeřice (Algersdorf) sowie Sluková (Schneppendorf) und Merboltice (Mertendorf) soll einst wegen der nahen Braunkohlezechen als Rußbutte bezeichnet worden sein. In Blickrichtung Mertendorf stand rechts des Baches früher eine Kattun-Fabrik. Im bewaldeten Streifen entlang des Baches waren davon nur noch einige unspezifische Steinhaufen und am Bachufer der Rest einer Stützmauer zu entdecken. Unmittelbar bachabwärts fand ich die Haldenschüttungen des Stollens der Josephi (später auch Antoni) Zeche vor. Die Lage des Mundloches auf 480 m Seehöhe ließ sich nicht mehr genau ermitteln. Beim Herumturnen auf der Haldenmasse rutschte ich plötzlich an der hartgefrorenen Böschung ab. Da ich den Fotoapparat in der Hand hatte, konnte ich nicht auf Vierpunktbremsung umsteuern, so musste das linke Schienbein allein herhalten. Das sah hinterher nicht mehr ganz so frisch aus. So hinkte ich fortan durchs Gebüsch und mühte mich durch einen Brombeerfilz. Nun kratzte es auch noch am rechten Knie, ein Dorn war im doppellagigen derben Stoff der Hose abgebrochen und piesackte mich den restlichen Tag. Ich fand das Fragment unterwegs aber auch nicht. Weiter talwärts folgte ebenfalls in Bachnähe auf 480 m die Haldenschüttung der Salvator Zeche. Wenig unterhalb lag bei 485 m die erste Haldenschüttung der Barbara (auch Segengottes) Zeche. In direkter bergwärtiger Linie folgte bei etwa 505 m eine zweite Haldenschüttung die zur selben Zeche gehört haben dürfte. In der Haldenmasse waren einige kleinere Braunkohlenstücke auszumachen. Das hiesige Kohlevorkommen bestand aus einem unter Basalttuff liegenden Ober- und Unterflöz, welche durch eine Tuffitlage getrennt waren. Das Oberflöz war bis 1 m stark, das Unterflöz bis 0,5 m, die Flözstärken und Qualitäten der Kohle schwankten durch die vulkanische Beeinflussung stark. Die Varietäten der Kohle reichten von Schieferkohle über Braunkohle bis zu Glanzkohle, teilweise mit unterschiedlichen mineralischen Beimengungen. Die entnommene Probe hatte eine schiefrige Konsistenz und blätterte beim Trocknen auf. Als letzte aufgesuchte einstige Zechenanlage fand ich weiter talwärts bei etwa 495 m Seehöhe die Haldenschüttung der Lorenzi (auch Laurenzi) Zeche. Alle vorgenannten Zechen arbeiteten im 19. Jh. in phasenweisen Betriebsperioden, fallweise reichte die Betriebsdauer der temporären Winterförderung auch bis in den Anfang des 20. Jh. hinein. Über einen in gerader Linie bergwärts führenden Flurweg verließ ich das Areal.
 
Auf der Höhe umging ich auf einem Wiesenstreifen ein Waldstück und kam in freieres Gelände. Dort hielt ich auf die Erhebung Krkavčí vrch (Rabensteiner Höhe) zu. Mittlerweile hatte sich der Himmel mit hochnebelartigen Wolken zugezogen und es ging ein eisiger Wind. In Erwartung eines Frühlingstages hatte ich eine Lage der zwiebelschalenartigen Bekleidung weggelassen. Zum Glück war die äußere Hülle winddicht. In einem weiten Rechtsbogen visierte ich abkürzend durch Gehölzstreifen das vermeintliche einstige Siedlungsgebiet von Klein-Jober an, fand jedoch nichts. Nach der Straßenquerung ging ich durch ein Waldstück und traf auf mühsam als Weideflächen urbar gemachte Lichtungen. Das Geröll der nahen Blockfelder war in großen Haufen entlang der Wiesen aufgetürmt, von einer Siedlung keine Spur. Da sich ein Fehlschlag abzeichnete, ging ich über einen Pfadansatz und später weglos die Flanke der Bieberklamm hinunter. Dort traf ich auf einen parallel zum Tal verlaufenden Flurweg auf den ich nach rechts aufbog. Nach einer Weile entdeckte ich unterhalb Gebäudereste, hatte also den hinteren Teil von Klein-Jober/Malá Javorská gefunden. Die Siedlung Klein-Jober bestand einst aus dem hinteren Teil mit 4 Hausnummern, einem Einzelgehöft und einem vorderen Teil mit 3 Hausnummern und hatte vor dem II. Weltkrieg 24 Einwohner. Entgegen meiner Annahme aus dieser Tour befand sich das Gasthaus „Zum Paradies“ (Hostinec „U ráje“) nicht auf dem Boden der Klamm sondern in Klein-Jober, wie die Spurenlage (Gartenterrasse mit Geschirrfragmenten) verriet. Über einen talführenden Weg erreichte ich die Bobří soutěska (Bieberklamm) mit dem Bobří potok (Bieberbach). Die Fallholzsituation am Talboden hatte sich weiter verschärft. Ich schaute kurz zum Wasserfall des einmündenden Sorgebaches, pausierte einen Moment am Rastplatz und ging weiter talaufwärts. Eine etwa 5 m lange Totalvereisung des schmalen Pfades blockierte den Weiterweg. Mühsam wich ich über die hartgefrorene steile Talflanke aus, heute war definitiv nicht mein Tag. Ohne weitere Beeinträchtigungen verließ ich die Schlucht.
 
Entlang der Straße wanderte ich bergauf und entdeckte links davon Mauerreste von Gebäuden des vorderen Teiles von Klein-Jober/Malá Javorská. Auf meinem Hinweg war ich hier 150-200 m zu weit nördlich vorbeigekreuzt. Im Verlauf passierte ich die verkleinerte aber heute noch bewohnte Siedlung Velká Javorská (Groß-Jober). Dahinter erreichte ich den weitläufigen Höhenzug des Havraní vrch (Rabenstein). Sonst sollte man hier einen guten Ausblick haben, heute war es unwirtlich und wenig einladend. Nach einer weiten Linkskurve des Flurweges kam ich am Abhang des Berges in das einstige Siedlungsgebiet des gleichnamigen Ortes Rabenstein/Havraní. Nach dem Kaiserpflichtexemplar des Stabilen Katasters umfasste der Ort 1843 zwanzig Hausnummern. Vor dem II. Weltkrieg lebten hier 67 Einwohner. Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen verlor er seine Bevölkerung. Die ungenutzten Häuser verfielen im Laufe der Zeit. Ich konnte einen Großteil der Höfe des Ortes ausfindig machen. Einige Ruinen wiesen sehenswerte, leidlich begehbare Keller, fallweise auch mit Hausbrunnen auf. In einem Keller hatte ich zum fotografieren die Handschuhe abgelegt. Beim Herausklettern kam ich mit trockenen Pflanzenteilen in Kontakt. Die betroffenen Finger brannten oberflächlich stark und kribbelten innerlich zwei Tage lang. Entweder waren es die Russen oder ich hatte einen Eisenhut erwischt und mir eine Kontaktvergiftung zugezogen. Vielleicht war es aber alles ganz harmlos und ich hatte nur einen skripalen Infekt. Auf dem markierten Wanderweg kam ich nun zur Erhebung Strážný vrch (Mertendorfer Hutberg). Der Name leitet sich im Übrigen nicht von einer Kopfbedeckung sondern von einem historischen Beobachtungsposten ab. Der Berg ist also der großen Gruppe der Schütze-, Wach- und Hutberge zuzuordnen, die alle dieselbe Funktion beschreiben. Der Berg trug ab 1901 einen hölzernen Aussichtsturm, der 1925 durch ein steinernes Exemplar ersetzt wurde. Zudem gab es ein Wirtshaus (mit Kegelbahn!). Das Gasthaus wurde nach dem Krieg nicht mehr genutzt und der steinerne Turm stürzte 1963 bei einem Gewittersturm ein. 2006 wurde ein neuer hölzerner Turm errichtet. Ich kletterte die vier Etagen hinauf und wurde bei fehlendem Fernblick vom garstigen Wind alsbald vertrieben. Am Fuße des Turmes legte ich windgeschützt bei den Fundamentresten des alten Gasthauses meine Mittagsrast ein. Kaum hatte ich mich im späteren Verlauf talwärts vom Berg entfernt, brach die Sonne durch. Abwärts gehend, überschritt ich die Null-Grad-Grenze und kam in ein angetautes Areal. Die letzten 300 Meter auf dem Weg bis in den Ort Merboltice (Mertendorf) glichen durch Viehtrieb und Bauarbeiten einer Schlammschlacht. Am Merboltický potok (Triebschbach) im Dorf führte zum Glück eine Treppe zum Wasser hinunter, so dass ich die Schuhe grob reinigen konnte. An der Straße lief ich schließlich durch die Taleinkerbung des Baches zurück zur Křižovatka II/240 - III/24095.
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 6 h 30 min.
Die absolvierte Wegstrecke ist teilweise nicht als Wanderweg markiert und ist auf den vorhandenen Flurwegen mit T1 zu bewerten. Die weglosen Erkundungen haben abweichend die Schwierigkeit T2. Die Begehung der Bieberklamm hat unter Winterbedingungen mit Vereisungen und dadurch erforderlichen Umgehungen die Schwierigkeit T3!
Nicht immer widerspruchsfreie Informationen zu verschwundenen Orten gibt es auf www.zanikleobce.cz.

Tourengänger: lainari


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»