Aragats, 4090m - eine winterliche Besteigung


Publiziert von Linard03 , 11. Oktober 2017 um 08:09.

Region: Welt » Armenien
Tour Datum:30 September 2017
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: AM 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Karisee - Sattel - Aragac Nordgipfel - zurück
Zufahrt zum Ausgangspunkt:per PW bis zum Kari-See

Einmal mehr stand uns (Markus & mir) ein kurzes, aber interessantes Abenteuer bevor. Von Armenien hatten wir nur Gutes gehört und wollten uns jetzt selbst ein Bild vor Ort machen. Natürlich wurde alles der Besteigung des höchsten Berges untergeordnet; sightseeing war lediglich ein „Lückenfüller“ … ;-))
Das Wetter sei im September im Allgemeinen ziemlich stabil. Das stimmte auch für dieses Jahr, aber ausgerechnet in der Woche unserer Abreise kehrte das Ganze und es fiel einiges an Schnee. Wieviel genau wussten wir jedoch nicht; jedenfalls versprachen die Wetterprognosen nichts Gutes …
 
Wir hatten uns folgenden Plan zurechtgelegt: die „hardcore-Variante“ wäre, direkt nach Ankunft am frühen Freitag-Morgen die Besteigung in Angriff nehmen, am Samstag wäre die 2. Möglichkeit, am Sonntag die Letzte …

 
Anreise & Freitag, 29.9.
Wir nutzten die gute Verbindung via Wien und kamen in Yerevan um ca. 03.30 Uhr an. Die Einreise war problemlos und mit dem Taxi fuhren wir zum Hotel. Es stellte sich heraus, dass sich das Hotel doch etwas weiter ausserhalb des Stadtzentrums befand als ursprünglich angenommen …
 
Egal, erst mal schliefen wir ein paar Stunden und liessen das Morgenessen aus. Inzwischen sah es so aus, als wäre der Samstag der beste Tag für eine Besteigung. Am Nachmittag fuhren wir per Taxi in die Stadt, assen etwas in einem der zahlreichen Strassen-Restaurants, schlenderten etwas herum und deckten uns mit Proviant & Getränke ein. Anschliessend ging’s nochmals zum Flughafen, wo wir einen Mietwagen organisierten (das hätten wir natürlich gleich bei unserer Ankunft tun können – aber wie erwähnt, hatten wir die Örtlichkeit unseres Hotels etwas anders in Erinnerung und wollten ursprünglich den Mietwagen nur für einen Tag buchen …).
 
Zurück im Hotel gab’s etwas Gutes zu essen. Der Hotelkomplex besteht aus mehreren Gebäuden, hat 5 Restaurants (!) und lebt offensichtlich von den zahlreichen Anlässen (Freitag- und Samstag-Abend fanden je 3 Hochzeiten gleichzeitig statt …).
 
Besteigung Aragac (Sa, 30.9.)
Wir konsultierten diverse Meteo-Seiten und kamen trotzdem nicht zu einem eindeutigen Ergebnis … Während die meisten Seiten von trockenem Wetter ausgingen, inkl. etwas Sonnenschein, beharrte eine andere Seite seit Tagen auf Schneefall. Ok, schaun’mer’mal …
 
Morgenessen gab’s erst ab 8 Uhr, weshalb wir selbiges ausliessen und um ca. 7 Uhr losfuhren. Via Ashtarak und Byurakan ging’s auf recht passablen Strassen hinauf zur Forschungsstation (für Kosmische Strahlung) am Karisee auf ca. 3200m. Ziemlich ungewöhnlich; wo fährt man schon mit dem Auto 2000Hm (!) hinauf, um von dort aus eine Wanderung zu starten?
 
Was wir hier oben sahen, gefiel uns allerdings nicht besonders, denn es lag bereits auf dieser Höhe eine geschlossene Schneedecke; die Sicht eher bescheiden … Wir wollten trotzdem keine Zeit verlieren und zogen um ca. 8.30 Uhr los.
Innerhalb der nächsten 30 Min. wurde die Sicht derart schlecht, dass wir uns auf den GPS-track verlassen mussten. Der Track führte uns in etwa auf halber Höhe zwischen dem Normalweg und dem Südgrat hinauf. Das Übersteigen der unzähligen Blöcke auf rutschigem Schnee war eine ziemlich mühsame und nicht empfehlenswerte Variante.
 
Immerhin erspähten wir im Nebel zwischendurch ein Steinmann und wähnten uns deshalb auf dem richtigen Weg. Auf dem Sattel (ca. 3800m) angelangt, überlegten wir uns ernsthaft, ob wir hier abbrechen sollten: null Sicht und in Erwartung von noch grösseren Schneemengen in höheren Lagen liessen uns zweifeln, ob unsere Unternehmung Sinn machte.
 
Schliesslich rangen wir uns zu folgendem Entscheid durch: wir würden den Kraterkessel durchqueren und danach die Situation nochmals neu beurteilen. Gesagt, getan. Wir folgten mangels Sicht erneut dem GPS-track, welcher uns wiederum in halber Höhe durch den Kessel lotste.
 
Wir wussten zwar bereits im Vorfeld, dass diese Variante nicht optimal war. Dies können wir nun bestätigen, denn es bringt eigentlich nichts: man hat zwar insgesamt wenig Höhenverlust, zeitlich gewinnt man aber gar nichts und die Querung ist äusserst mühsam, bei den Verhältnissen, welche wir hatten, umso mehr.
Man hätte hier hundert Mal ausrutschen und sich die Knöchel brechen können. Prompt passierte es mir einmal, dass ich auf einem glitschigen Stein ausrutschte, in ein Loch fiel und mir das Schienbein ziemlich heftig an einem Felsen anstiess. Eine offene Wunde war die Folge, welche ich jedoch erst am Abend begutachtete ...
 
Die Schmerzen waren einigermassen auszuhalten und so erreichten wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Fuss des eigentlichen Aufstiegs. Zum einen lag hier erstaunlicherweise nicht mehr Schnee als anderswo und zum anderen lichtete sich nun immer wieder mal für einige Sekunden der Nebel – die Hoffnung bestand also, dass wir bei vertretbaren Verhältnissen weiter aufsteigen können.
 
Es wurde nun ziemlich steil; rutschig blieb es weiterhin. Wie üblich konnte ich Markus‘ Pace nicht mithalten und musste mich etwas zurückfallen lassen. Für ihn war’s sicher nicht angenehm, im nun ziemlich kalten und teilweise stürmischen Wind immer wieder mal auf mich warten zu müssen … (Danke!).
 
Ich merkte aber auch so langsam eine gewisse Müdigkeit in den Beinen; es wurde etwas zäh. Aber schliesslich ging es nicht mehr weiter, wir hatten nach ca. 4 ½ Std. den (Vor-) Gipfel erreicht. Wir wussten ja aus diversen Berichten, dass von hier aus ein ausgesetzter Grat zum eigentlich höchsten Punkt führt, welcher nur wenige Meter höher ist als der Punkt, wo wir standen.
 
Bei normalen (sprich trockenen) Verhältnissen wäre dies kein Problem gewesen, bei den angetroffenen Verhältnissen wäre jedoch ein Versuch unverantwortlich gewesen: es lag eine Schicht von ca. 10cm Schnee auf den Felsen; vereiste Stellen waren nicht ersichtlich, aber sehr wahrscheinlich. Man sah auch nicht, wo sich unter dem Schnee allenfalls glatte Platten verbargen. Wir hatten zwar keine Steigeisen dabei, aber selbst wenn, wäre uns das Ganze zu heikel gewesen.
 
Wir waren jedoch mehr als zufrieden, dass wir doch immerhin den Vorgipfel erreicht hatten, welcher übrigens für die geführten Touren sowieso Endstation bedeutet. Für mich gilt der Berg jedenfalls als bestiegen (siehe dazu auch unter Bemerkungen).
 
Die garstigen Verhältnisse liessen uns nach wenigen Minuten wieder absteigen. Inzwischen riss aber die Wolkendecke immer wieder auf, sogar blauer Himmel war zu sehen. Normalerweise wird man ja belohnt, wenn man frühzeitig aufbricht. Im Nachhinein kann man sagen, dass wir 1 ½ Std. später hätten aufbrechen können und deutlich bessere (Sicht-) Verhältnisse angetroffen hätten … (aber eben: hätte, wäre …)
 
Schnell hatten wir den Fuss des Berges wieder erreicht und nun sahen wir erstmals den gesamten, riesigen Krater. Und noch etwas weiter unten erspähten wir die vier Einheimischen, welche fast zeitgleich mit uns gestartet waren. Uns ist nicht klar, wo sie derart viel Zeit verloren hatten – aber den Spuren nach war zumindest einer der Gruppe mit Turnschuhen unterwegs …
 
Um zum Sattel zurück zu gelangen wählten wir dieses Mal die „Normal-Route“, d.h. relativ tief absteigen, um die eine Moräne herum und danach zum Sattel hinaufsteigen. Wie bereits erwähnt, ergibt dies etwas mehr an Höhenmeter, war aber um Welten angenehmer zu gehen. Dasselbe nach dem Sattel: zunächst möglichst tief absteigen und erst danach queren war viel angenehmer als das Queren auf halber Höhe.
Zusätzlich half natürlich, dass weiter unten der Schnee wieder geschmolzen war und wir nun auf der schönen Hochebene zurück zur Station queren konnten.
 
Sightseeing (So, 1.10.)*
Wir nahmen uns für den heutigen Tag einiges vor und sollten am Abend begeistert zurückkehren.
 
Als erstes statteten wir Echmiadzin einen Besuch ab, quasi der Vatikan Armenien’s. Ein grosser Komplex inmitten einer Parkanlage, wo zahlreiche Kirchen stehen. Die Hauptattraktion ist aber zweifelsohne die Kathedrale (ՄայրՏաճարՍուրբԷջմիածին), eine armenisch-apostolische Kirche. Sie soll aus dem Jahre 300 stammen und ist seit 2000 als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet. Derzeit ist die Kirche aufgrund Renovationsarbeiten leider eingerüstet. Glücklicherweise waren wir frühzeitig da, denn als wir die Stätte wieder verliessen, kamen uns ganze Touristenscharen entgegen …
 
Weiter gings‘ zur Kathedrale von Zvarnot, welche allerdings nicht mehr steht, sonder eine Ruinenstätte ist. Der Bau der Kathedrale begann 643 und sie stand bis zum Ende des 10. Jh. Der Grund des Verfalls oder Zerstörung scheint nicht bekannt zu sein.
Wir hatten den Eindruck, die Stätte hat etwas von Stonehenge … Jedenfalls herrlich, dass zufälligerweise ein Trio im Halbrund unter den Säulen Lieder sang.
 
Anschliessend fuhren wir zum Geghard-Kloster („Kloster zur Heiligen Lanze“), welches ebenfalls seit 2000 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Das Kloster wurde im 4. Jh. am Ort einer heidnischen Quelle gegründet. Es wurde zwar im 9. Jh. von den Arabern zerstört, jedoch 1215 wieder errichtet. Speziell an diesem Kloster ist zum einen sicher ihre Lage: in bergigem Gebiet, an die Felsen gebaut. Zum anderen, dass teilweise in den Fels gehauene Räume genutzt wurden.
Es geht zwar auch hier ziemlich touristisch her und zu, mit etwas Glück kann man jedoch stille Momente in mystischen Räumen erleben.
 
Das absolute Highlight war jedoch das Mausoleum, welches v.a. durch seine aussergewöhnliche Akustik bekannt ist. Dass dem so ist, durften wir (wieder rein zufälligerweise) erleben, denn ein Chor gab diverse Kirchenlieder zum Besten. Dies war total ergreifend, fast surreal, dies in einer so historischen Stätte erleben zu dürfen; mir lief es jedenfalls kalt den Rücken hinunter …
 
Zum Schluss fuhren wir nach Sewan, welches am gleichnamigen See liegt. Dies bedeutete zwar nochmals ca. 1 ½ Std. Fahrt, welche sich jedoch mehr als lohnen sollte. Der See ist riesig, mit 940 km2 jedenfalls doppelt so gross als der Bodensee. Mit seiner Höhe von ca. 1900m ist er zudem einer der grössten Hochgebirgsseen der Welt.
 
Bekannter als der See sind allerdings die zwei Kirchen, welche wie gemalt auf einem Hügel stehen. Die beiden Kirchen stammen ebenfalls aus dem Jahre 300, wie die Kathedrale von Etschmiadsin und das Geghard-Kloster. Wenn man im Innern der Kirchen steht, fühlt man sich irgendwie in diese Zeit zurückversetzt …
Wir spazierten noch zum höchsten Punkt dieses Hügels, von wo aus man eine schöne Sicht auf den riesigen See und Umgebung hat. Der Sonnenuntergang war schon beinahe kitschig schön … Der Tag neigte sich also dem Ende zu und wir fuhren deshalb zurück nach Yerevan.
 
* Jahreszahlen und dergleichen sind z.T. Wiki entnommen
 
Nach 3 Std. Schlaf fuhren wir zum Flughafen, wo unser Rückflug um 04.30 Uhr via Wien zurück nach Zürich ging; schön war’s!
 
Fazit:
wir haben viel mehr erreicht als wir unter den gegebenen Umständen erhoffen durften. Es brauchte dazu etwas Zuversicht und Durchhaltewillen. Die Region an und für sich ist sehr schön und lohnenswert zu besuchen. Sie bietet sich zweifelsohne auch für weitere Wanderungen an.
Ausgangspunkt 3200m, Gipfel 4090m – tönt nach wenig Höhenmeter. Dies trügt jedoch gewaltig, denn im Krater scheffelt man nochmals gehörig viele Höhenmeter, sodass eben insgesamt doch ca. 1300m auf- und abgestiegen werden müssen. Die Distanzen dürfen ebenfalls nicht unterschätzt werden; insbesondere die Durchquerung des Kraters.
 
Bemerkungen:
ja, ja – wenn man’s genau nimmt, waren wir natürlich nicht ganz auf dem höchsten Punkt. Der Aragac gilt in meiner Sammlung somit als Nummer 3 der nicht ganz erreichten Gipfel (nach dem Kili & Piz Roseg). Da ich jedoch niemandem über irgendwelche Gipfelbesteigungen Rechenschaft ablegen muss, gilt der Aragac für mich persönlich trotzdem als bestiegen.
 
Zeiten:
wir benötigten 8 Std. für den Roundtrip; also inkl. Pausen

Tourengänger: Linard03


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Geodaten
 37421.gpx Aragats

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Kommentare (2)


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silberhorn hat gesagt: Armenien
Gesendet am 11. Oktober 2017 um 13:14
Überraschung par excellence!:-). Glück im Unglück. Gueti Besserig!

LG
maria

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 12. Oktober 2017 um 22:36
Hallo Maria,

kam bis jetzt noch nicht dazu, zurückzuschreiben; war etwas viel unterwegs (Armenien, Ukraine, München ...)
Jedenfalls merci für Deine Besserungswünsche! Dauert noch etwas, bis das Ganze verheilt ist ...

LG, Richard


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