Wie die Gemse - Mitten in einer Staumauer stehen und diese erklettern.. Schlegeis 131.


Publiziert von Kris , 29. September 2017 um 00:40.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Zillertaler Alpen
Tour Datum:30 August 2017
Klettersteig Schwierigkeit: K2 (WS)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 0:45
Aufstieg: 131 m
Abstieg: 131 m
Strecke:Schlegeisstausee - Staumauer & rauf da.
Zufahrt zum Ausgangspunkt:mit dem Bus aus Mayrhofen.
Kartennummer:DAV Zillertal Mitte

Eines der bekanntesten HIKR-Bilder ist das der Steinböcke, die die mitten in einer eigentlich unbezwingbaren Staumauer verweilen - ja geradezu relaxen: http://f.hikr.org/files/327507.jpg . Ich bin mir sicher, so mancher Hikr-Leser hätte auch gerne diese Kraxel-Fähigkeiten oder würde gerne zumindest einmal diesen mutigen Tieren nachahmen .. tja, und wie es der Zufall so will, war wohl ein Flaschengeist zugegen und erfüllt unser aller Wunsch ;-) - das Zillertal macht es möglich.. 

Und das ganz ohne Hexerei und Zauberei, die modernen Mittel der Klettersteige und des gegenseitigen Überbietens in Superlativen für die willigen Urlauber machen es möglich - der Schlegeis 131 ist geboren. Seit ca. einem Jahr wird der Schlegeisstausee derart umgenutzt und machen aus der zwar beeindruckenden aber nicht sonderlich ansehlichen Gestalt der Staumauer einen Abenteuerspielplatz, das würde vielleicht sogar dem Reinhold Messner gefallen, der sich innigst den talnahen Klettersteig wünscht, hier sogar im Verbund mit keinem einzigen zusätzlichen Felsen der hierunter leiden muss. Natürlich braucht es die Staumauer aber die gibt es ja schon viel länger ;-) Ich stieß dann tatsächlich nur durch Zufall auf dieses Klettersteig-Unikat beim Durchblättern der örtlichen KS-Auflistung. Aber aufgrund der Besonderheit und Einzigartigkeit konnte ich mir das nicht entgehen lassen.. so war dann dies der zweite "Plaisir"-Klettersteig an einem unserer "Pausentage" im Zillertal.

Nun zum Steig - wenn man aus dem Bus aussteigt, läuft man ein paar Meter zurück in Richtung Aufstieg Friesenberghaus. Auf der rechten Seite (rechts neben dem eben durchfahrenen Tunnel) erspäht man nun eine kleine, kioskartige Hütte, wo wiederum rechterhand ein Wanderweg neben der Staumauer ins Tal führt. Dieser Zustieg (T1) erfordert etwa 15min, bis man die untere Mitte der Staumauer erreicht hat. An einem der Staumauer zugehörigen Strom(?)Häuschen sieht man nun bereits die beeindruckende Eisenverbauung durch die Mauer. Hiermit sei bereits jetzt gewarnt, das Ganze fühlt sich ganz und gar nicht an wie jeder normale Klettersteig, sicherlich nicht wie ein normaler B Klettersteig - man muss die Mauer durchschritten haben, um es nachzufühlen:

a) vollständige Schwindelfreiheit: die ständige vollständige Exposition in der Wand erfordert VOLLE Schwindelfreiheit. Es ist maximal ausgesetzt.

b) keine Griff und Tritt-Alternativen: es gibt weder zusätzliche Tritt- oder Griffmöglichkeiten in der Mauer. Das heißt man kann nicht einfach mal Varianten ausprobieren, oder ausweichen. Die Mauer ist konkav, d.h. nach innen gewölbt. Unten leicht schräg, in der Mitte senkrecht und oben überhängend. 

c) lockeres Drahtseil: die Drahtseile sind teils locker gespannt. Macht dies in senkrechten Passagen noch keinen Unterschied, da man die Eisentritte als Griffe nutzt, ändert dies den Charakter der Tour in den Traversen. Das ständige "nach draussen lehnen" am Seil erfordert erstens eine Portion Armkraft und zweitens auch eine zusätzliche Portion Schwindelfreiheit und "Vertrauen".

Nun sei genug gewarnt. Wer schon ein oder zwei Mal einen KS begangen hat und die benannte erforderliche Schwindelfreiheit nebst etwas Schmalz in den Armen aufweist, für den ist dieser Steig eine leichte Übung. Ich möchte mir aber umgekehrt nicht vorstellen, wie man dort in der Mauer unterhalb einer Traverse baumelt und nicht mehr vor und nicht mehr zurückkommt weil man die erforderlichen Fähigkeiten nicht mitbrachte. Wahrscheinlich werden auch geführte Touren angeboten, worauf die zahlreichen Sicherungshaken in der Mauer hinweisen, aber wie gesagt: zusätzlich abgesichert. All in all, kein normaler B Klettersteig sondern von der Psyche bzw. Ausgesetztheit eher C-D.

Der Einstieg fängt locker an mit einem geneigten Leiteraufstieg, der sich alsbald nach rechts wendend in die ersten Traversen-Aufstiegs-Kombinationen hinüberwechselt. Nach etwas unter 10 Minuten erreiche ich dann die erste Rastplattform, von derer es im Steig zwei gibt. Ansonsten bleibt zum Ausruhen nur das Einhaken der Arme in den Traversen oder die Einhängen in die Eisengriffe. An dieser ersten Plattform gibt es noch keine Optionen für den Begeher - man folgt einfach weiter den Seilen und Tritten. Wieder folgen abwechselnd quasi ebene Traversen und Aufstiege, wobei die Traversen aus oben genannten Gründen die unangenehmeren Stellen sind. Wie am Fließband spult man hier die Bewegungen ab. Da mir die Tritte zu zweit entfernt waren, war dies immer mit einem Fuße auf ein Ende des Trittes zu steigen und den anderen aufs andere Ende nachzuholen und dann: repeat. Nach oben hin gehen die Tritte in den Traversen immer weiter auseinander.

Eine Stelle fand ich als unangenehm da aus dem Muster herausfallend - da wo der Tritt bzw Griff sonst gewesen wäre, fehlt er hier sodass man hier etwas kräftiger ins Seil greift mangels Alternativen. Nach etwas mehr als weiteren 10 Minuten erreicht man so die zweite Rastplattform die sich wieder zum Fotografieren anbietet. Nun eröffnen sich zwei Optionen. Die Direttisima nach oben, etwa 40-50HM aber nach oben hin immer weiter überhängend - offiziell markiert als: C (Hikr: ZS) und die nach rechts herausquerende, flachere Variante mit vielen weiteren Traversen (B/WS). Ich habe mich für letztere entschieden weil sie erstens länger und zweitens vordergründig "sicherer" erschien (wollte nicht das mir im Überhang die Kraft ausgeht)..
Im Nachhinein denke ich, ist die C-Variante sogar einfacher da es immer feste Griffe gibt. In den Traversen hingegen wird es wegen dem Überhang immer mehr zu einem aus der Wand hängen, was Kräfte kostet - und das in der B Variante. So muss ich zwischendurch immer mal wieder kurz Verschnaufen.

Was einem auch klar sein muss: man hat viele Zuschauer. Über die begehbare Staumauer hinweg schauend rufen sie ("na willst ein Bier, mein Kleiner war das "Highlight""), fotografieren sie und "staunen" sie. Darüber hinaus gibt es auch noch eine über die Mauer ragende Aussichtsplattform die das Zuschauen erleichtert. Ich war im Steig allein so dass ich die Aufmerksamkeit allein auf mich zog. Außer mir versuchte nur ein Pärchen einzusteigen welches bereits nach 3 Metern aufgab (was vorhersehbar insofern war als das sie selbst den nebstgelegenen Übungs-KS abbrachen..). Über die sonstige Frequentierung kann ich nichts sagen, nur das Überholen bis auf die Plattformen nicht denkbar ist..

Über die letzten, überhängenden, steilen Meter hieve ich mich noch hinauf und stehe auf dem Einstieg und werde gleich von staunenden und fragenden Gesichtern empfangen. Mein Highlight war die Frage, ob der KS denn einfach so und kostenlos begangen werden könnte oder ob man irgendwo eine "Eintrittskarte" kaufen muss. Bitte, ich hoffe ihr habt erst mal einen anderen KS probiert ;-) und euch vorher ein KS-Set ausgeliehen.. danach genieße ich mit Franzi noch ein paar Minuten den Stausee, wir machen ein paar Fotos und wir fahren mit dem Bus zurück nach Mayrhofen. Die im Internet stehenden 45-60 Min, teils sogar 90(!?) min kann ich nicht nachvollziehen. Normalerweise komme ich nicht in Verdacht ein Speedy Gonzales zu sein und habe gerade mal 33 Minuten von unten nach oben benötigt. Geht sicherlich noch viel schneller..

Was bleibt zu sagen? Eine interessante und maximal ausgesetzte Grenzerfahrung, die mehr etwas von einer Mutprobe als einem echten Bergerlebnis hat. Für Bergpuristen ist es demnach nichts. Für Menschen, die auch einfach mal eine Runde Spaß haben wollen, sehe ich keine Bedenken insofern die Bedingungen erfüllt sind. Und wie gesagt, immerhin wird die Staumauer so sogar mehrfach genutzt.. ein Erlebnis an was ich mich sicherlich lange erinnern werde!

PS: vielleicht füge ich später noch ein Video der Besteigung hinzu.


KONDITION 3/5
ORIENTIERUNG 1.5/5
TECHNIK 2.5/5
EXPONIERTHEIT 5/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (2)


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Vielhygler hat gesagt:
Gesendet am 29. September 2017 um 17:38
Komisch: Felszacken wirken irgendwie vertrauenserweckender als so eine nackte Mauer. Das muß komisch gewesen sein, so als Einzelartist in dieser "Arena" mit Zuschauern...
Danke für den gut gelaunten und wirklich informativen Bericht.
VG Andreas

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. Oktober 2017 um 01:24
Ich verstehe was du meinst, einfach weil alles so ungewohnt scheint und sich auch tatsächlich anfühlt. Wahrscheinlich kann man trotzdem ein Auto an die Sicherungen hängen :)

Danke für deinen netten Kommentar!

VG
Kris


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