Piz Beverin (2998m) ab Glaspass - Grau im Himmel wie auf Erden


Publiziert von countryboy , 22. August 2017 um 11:36.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Hinterrhein
Tour Datum:20 August 2017
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Zeitbedarf: 9:30
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m
Strecke:ca. 18km: Glaspass - Chräjenchöpf - Piz Beverin - Beverin Pintg - Pt.2614 - Pt.2625 - Tritthütta - Mittler Hütta - Glaspass
Zufahrt zum Ausgangspunkt:mit Auto zum Glaspass (Start/Ziel)
Unterkunftmöglichkeiten:Die Nacht vor der Tour habe ich im Hotel Alpina, Tschappina, verbracht: www.gasthaus-alpina.ch; einfach, rustikal, freundlich!
Kartennummer:online Kartenausschnitt 1:25'000

Howdy! 

Wer schon öfters mal gelesen, worüber ich berichtet, 
weiss, dass countrygirl auf solch' Erlebnisse verzichtet.
Wär das hier Erzählte keine Solotour gewesen,
würd' ich - 'nen Kopf kürzer - am Fusse des Piz Beverin verwesen.

Gut, so makaber war's jetzt auch wieder nicht, aber ich hab selten so viel geflucht auf einer Wanderung und ich werde gleich wieder gallig, wenn ich daran zurückdenke! Nicht etwa wegen der Wolken, die während meines ganzen Aufstiegs (und natürlich auch auf dem Gipfel) für düstere Horrorfilm-Atmosphäre (Nebel des Grauens) gesorgt haben, nein, sondern wegen des von Kühen total zu Sumpf vertrampelten Wanderwegs im Abstieg! Sehr faktengläubige Leser seien vor gewissen sarkastischen Inhalten gewarnt.

Facts zur Wanderung / Bewertung der Teilstücke:
> Glaspass Hoch Büel; T2
> Hoch Büel - Chräjenchöpf - Beverein Lücke; T4
(ausgesetzte, abschüssige und feinschuttige/rutschige Passagen, teils kettenversichert)
> Beverin Lücke - Piz Beverin; T3 (mit Seil ausgestatte Steilstufe)
> Piz Beverin - Beverin Pintg - Alp Nursin; T3 
(8m-Leiter zwischen Piz und Pintg und Schlussabstieg Nursin, sonst überwiegend T2)
> Alp Nursin - Pt. 2457; T2
> Pt. 2457 - Pt. 2614 - Pt. 2625; T3- (weglos)
> Pt. 2625 (kurzer wegloser Abstieg) - Tritthütta - Mittler Hütta - Glaspass; T2
Wetter: bewölkt mit kurzen Sonnendurchbrüchen, Temperaturspanne 0° bis 10°C
Zeit: brutto 9 1/2 h, diverse kleine Pausen insgesamt rund 1h
Flüssigkeit: 1 3/4 Liter (grösstenteils getrunken), dank Bergbächen wäre jederzeit Nachschub vorhanden gewesen
Hilfsmittel: Wanderstöcke und Microspikes ohne Einsatz im Rucksack

Wanderbericht:

Samstag: Eine entspannte Anfahrt ins Bündnerland, ein gemütlicher Nachmittag auf der Terrasse des Gasthauses Alpina in Tschappina, ein unterhaltsames Abendessen im Kreise sehr sympathischer Naturfreunde aus dem Aargau, die mich in ihre Tischrunde aufgenommen haben und schliesslich dann eine fast schlaflose Nacht. So lässt sich der Tag vor der Wanderung zusammenfassen. Was für die fast schlaflose Nacht in Frage kommt?
- die dünnere Bergluft? (1000m über dem für mich üblichen Flachland, wohlverstanden)
- die Flasche Rotwein, in der ich bis zum Flaschenboden nach "veritas" gesucht habe? (verteilt auf Nachmittag und Abendessen, wohlverstanden)
- oder doch etwa die Frauenbande, die bis tief in die Nacht Junggesellinnenabschied gefeiert hat? (ohne meine Beteiligung, wohlverstanden)

Sonntag: In Aussicht auf eine Mitfahrgelegenheit zum Glaspass leisteten mir zwei Naturfreundefrühaufsteherinnen Gesellschaft beim Frühstück. Kurz nach 07:00 waren wir oben angekommen und während sie mit Ziel Glaser- und Lüschgrat nach Norden losmarschierten, machte ich mich nach Süden mit Ziel Piz Beverin auf. Der Aufstieg zum Hoch Büel ging gut vonstatten und sorgte für Betriebstemperatur. Ob es allerdings eine gute Idee war, hier die Jacke auszuziehen, ist höchst fraglich. Fortan wurde es nicht nur kühler, sondern auch grauer und grauer. Aus dem Grau lösten sich hin und wieder auch ein paar Nieseltröpfchen. Alles Zutaten, die einer sich bereits anbahnenden Erkältung jegliche Chance verwehren, ohne grosses Tamtam vorbeizuziehen. 

Die stets besser werdende Aussicht, die eindrücklichen Gratabschnitte der Chräjenchöpf, die Weitblicke in die abweisend zerklüftete Westflanke des Piz Beverin, sie alle hab ich im Aufstieg nur vernebelt wahrgenommen. Immerhin, die jeweils vor mir liegenden 20m waren noch recht deutlich. Wenn man in unbekanntem Terrain und alleine unterwegs ist, sorgt das stete Grau im T4-Gelände schon mal für ein mulmiges Gefühl. Ich blieb deshalb auch im Austausch mit meinem Bauchgefühl, das mir gelegentlich vielleicht zum Rückzug raten könnte. Es blieb aber derart leise, dass ich das Geflüster nicht verstehen konnte. Wenn es eine gute Erkenntnis aus der Nebelbesteigung gibt, dann jene, dass diese Route bei Nebel und Nässe zwar nicht empfehlenswert, aber wenigstens im Aufstieg machbar ist; Zeit, Vorsicht und Trittsicherheit vorausgesetzt natürlich. Das Restrisiko für Steinschlag sollte man hier aber keinesfalls unterschätzen!

Bei der Beverinlücke trifft man auf den östlichen Aufstiegsweg und nach einer halben Stunde steht man bei den zwei Steinmännern auf dem Gipfel, einer davon übermannsgross, sodass ich mich strecken musste, um ihm meinen Hut aufzusetzen. ;-) Kam ich hier endlich in den erhofften Genuss der hoch gepriesenen Aussicht auf dem Piz Beverin? Leider nein. Im Aufstieg hatte ich fälschlicherweise meine Umwelt für das ständige Grau verantwortlich gemacht, aber langsam dämmerte es mir. Vermutlich war ich selber das Problem. Ich hatte Sehstörungen. Egal in welche Himmelsrichtung ich sah, wieder alles nur grau. Ich suchte verschiedenen Stellen auf (wenigstens erstaunlich windstill war's auf dem Gipfel), schloss meine Augen mal länger, mal kürzer, blinzelte... alles nützte nichts. Es blieb grau. In der Ferne glaubte ich plötzlich Konturen, Gestalten wahrzunehemen, die sich langsam näherten. Untote? Wieviele würde ich mit zwei Wanderstöcken und einem kleinen Schweizer Sackmesser besiegen können? Was macht man also mit Sehstörungen und einer drohenden Invasion Untoter auf dem Piz Beverin? Ich versuchte es damit, in Richtung Beverin Pintg abzusteigen und fand darin tatsächlich Linderung. Auf halbem Weg hinunter zur berühmten 8m-Leiter erlangte ich auf wundersame Weise meine Sicht zurück. Der Abstieg ist stellenweise etwas holprig, aber ausreichend markiert. Die Leiter selber ist ein eindrückliches Fotosujet, von Nahem aber einfach eine Leiter, auch gut wanderkindertauglich. Der Blick auf meine Karte offenbarte, dass mein Weg noch weit war. So machte ich auch auf dem Beverin Pintg anstatt einer Mittagsrast nur kurz Fotohalt, obwohl hier die Sonne schien und ich doch noch etwas Aussicht hätte geniessen können.

Nach dem Abstieg zur Alp Nursin ging ich weiter bis zum Wegweiser bei Pt. 2457 und verliess dort den Wanderweg weglos in westlicher Richtung, entlang der leichten Felsbanderhebung. Sanfte Steigung, von Felsbrocken durchsetztes Alpgelände, typisches Murmeltiermekka. Weiter oben glaubte ich kurz eine schwache Wegspur zu erkennen, was sich aber schnell wieder verflüchtigte. In etwa knapp oberhalb der Höhenlinie 2600 ging ich in südwestlicher Richtung, an Punkt 2614 vorbei und nach einer kleinen Ebene in einem Hang querend bis zum Sattel/Punkt 2625 weiter (fantastischer Ausblick auf die umliegenden Berge Runal, Piz Tarantschun, Piz Tuf). In dieser Querung waren deutlich alte Wegspuren ersichtlich und zumindest bei diesem Stück muss es sich um einen alten, nicht mehr unterhaltenen Wanderweg handeln (verblichene wrw Markierung entdeckt). Nach kurzem westlichen Abstieg vom Sattel traf ich auf den vom Carnusapass kommenden Wanderweg. Wer von der Alp Nursin in Richtung Lai La Scotga resp. Carnusapass unterwegs ist, hat mit dieser weglosen Verbindung eine angenehme und effiziente Variante. Wieder auf dem Wanderweg angekommen folgte ich planmässig in westlicher Richtung zum Schönbode hinunter.

Wanderweg Schönbode - Tritthütta - Mittler Hütta nur ausserhalbs des Alpsommers und nach Trockenperiode benützen! Die Glückshormone vom umwerfenden Gipfelpanorama des Piz Beverin machten immer noch Purzelbäume, als ein weiterer Höhepunkt des heutigen Tages bei Schönbode seinen Anfang nahm. Wo ich einen sanft abfallenden, gut unterhaltenen Wanderweg einkalkuliert hatte, wartete nicht enden wollendes wegloses Alpgelände auf mich. Weglos, weil weglos immer noch angenehmer ist, als auf einem von Kühen zu Sumpf und Schlamm vertrampelten Wanderweg unterwegs zu sein. Als ob das nicht mühsam genug wäre, war das daneben liegende Alpgelände nicht nur sehr uneben, sondern ebenfalls total zertrampelt und von Wasser- und Schlammpfützen gesäumt. Und auch das kam irgendwo noch dazu: feinste Sumpfwiese, aus der sich vereinzelt kleine Grashügelchen hervorhoben. Dabei weiss man freilich nie, in welche Himmelsrichtung das struwwelige Grashügelchen sich zu neigen gedenkt, wenn man darauf auftritt. Es gilt also, in sämtliche Richtungen immer zwei bis drei kurze bis gespreizte Schritte vorauszudenken, um flexibel zu sein und ohne "eingecremte" Schuhe wieder auf festeres Gelände zu gelangen.

Wäre ja nicht so schlimm, wenn es sich bei all dem um einen kurzen Abschnitt gehandelt hätte. Es waren aber rund 2 1/2 km. So lernt man das Fluchen! Nach dem Abstieg zum Carnusabach war meinen Knien zudem wieder mal nach Intensivstation zumute und den letzten Gegenanstieg zum Glaspass hoch habe ich dann schätzungsweise in gefühlter Glöckner-von-Notre-Dame-Körperhaltung bewältigt. Allen Flüchen zum Trotz war eines am Schluss wie so oft: den Abend habe ich körperlich erschöpft und geistig entspannt auf dem heimischen Sofa ausklingen lassen ...und leise vor mich hingeträumt, wie die Aussicht auf dem Piz Beverin wohl wirklich ist.

countryboy (wie schon erwähnt auf Solotour)

--> Als Vergleich wie der Piz Beverin ab Glaspass "ohne Sehstörungen" aussehen könnte, siehe z.B. bei Schneemann

P.S. Ich hab zwar auch schon das eine oder andere Naturfreundehaus gesehen. Der Verbund der Naturfreunde war für mich bisher aber nicht so richtig greifbar. Ich durfte also dieses Wochenende lernen, dass früher die Mitgliedschaften in den Alpenvereinen (SAC, DAV, ÖAV) eher elitären Kreise vorbehalten waren und Frauen fast ganz verwehrt blieben, sodass sich mit den Naturfreunden quasi "Wandervereine der Arbeiterklasse" gebildet haben. Da sich die traditionellen Alpenvereine nun seit längerem dem grossen Publikum geöffnet haben, ist es für die Naturfreunde zunehmend schwieriger geworden, für Neuzuwachs zu sorgen.
P.P.S. Die fehlenden Blumenbilder passen zum "Wetter" und der schlammigen Stimmungslage. ;-)
P.P.P.S. Die "Untoten" auf dem Piz Beverin waren sehr lebendig und in Tat und Wahrheit vier freundliche Wanderer, dem Dialekt her der Basler Ecke zuzuordnen.

Tourengänger: countryboy


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Kommentare (2)


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lynx hat gesagt: Hallo Countryboy
Gesendet am 22. August 2017 um 20:18
Wer schon öfters mal gelesen, worüber ich berichtet,
weiss, dass countrygirl auf solch' Erlebnisse verzichtet.
Wär das hier Erzählte keine Solotour gewesen,
würd' ich - 'nen Kopf kürzer - am Fusse des Piz Beverin verwesen.

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Fast so ging es mir 2003 als ich mit meiner damaligen Frau vom Glaspass diesen Weg hochgestiegen bin. .... ich musste mich bald geschlagen geben und umkehren.
Die andere Aufstiegsvariante am selben Tag als Alternative gewählt, scheiterte dann an der Leiter. :-(


Gut geschrieben, dein Bericht! Herrlich zu lesen!

Lieber Gruss - Lynx

countryboy hat gesagt: RE:Hallo Countryboy
Gesendet am 23. August 2017 um 17:11
Mérci Lynx.

...die Tatsache, dass man am selben Tag noch eine andere Aufstiegsvariante versucht, sagt zumindest aus, dass man die Flinte nicht so schnell ins Korn wirft. Respekt. Klingt etwas nach einem Problem mit Schwindel, dass es bei beiden Versuchen nicht geklappt hat? Schade.

Gruss, Yves


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