Möglichst umständlich zum "falschen Dreibündenstein"


Publiziert von PStraub , 14. Juli 2017 um 10:27.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Lenzerheide
Tour Datum:13 Juli 2017
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1500 m

In Wikipedia heisst es über den Dreibündenstein: "Er war einziger dreifacher Grenzpunkt des Freistaats der Drei Bünde."
So einleuchtend das ist: Es ist falsch.
Das Gebiet des Gotteshausbundes war nicht geschlossen. Zwischen Chur und Tomils gab es eine Lücke, wo Churwalden (Zehngerichtebund) und Rhäzüns (Grauer Bund) direkt aneinander grenzten. An deren südlichem Ende steht der Dreibündenstein, mein Plan war es, den "falschen Dreibündenstein" am nördlichen Ende dieser Lücke zu (be-)suchen (Lage ca.: 757 083 / 187 312).

Der Freistaat der Drei Bünde war in der frühen Neuzeit eines der kuriosesten staatlichen Gebilde.
Ab dem 15. Jhd. faktisch und ab 1648 de iure unabhängig, hatte dieser Staat kein Staatsoberhaupt, keine Regierung, keine Hauptstadt und keine Verwaltung. Neben einem Geflecht von Verträgen ("Bünde") war der "Bundestag" das einzige gemeinsame Organ, von den Kompetenzen gesehen eine Art Delegiertenversammlung. Als Klammer diente wohl vor allem die Verwaltung der Gemeinen Herrschaften (Bündner Herrschaft, Veltlin, Chiavenna).
Soweit unterschied er sich noch nicht gross von der angrenzenden Eidgenossenschaft. Doch in dieser hatten die 13 Orte im Innern gefestigte staatlichen Strukturen. Nicht so die Drei Bünde, in welchen die Autonomie bei den Bundesgenossen, meist Dörfer oder Adelsherrschaften lag: Ein basis-demokratischer Staat in Zeiten des Absolutismus!


Der "falsche Dreibündenstein" wäre von Brambrüesch oder Ems aus in kurzer Zeit zu erreichen. Vermutlich dürfte man von Ems aus sogar mit dem Auto nach Giufs (P. 1388) hochfahren. Doch wenn ich mich schon so weit in fremde Gefilde wage, wollte ich es doch mit einer Wanderung verbinden.
Also mit Bahn und Bus nach Parpan und von dort aufs Stätzer Horn. Kein Problem, alles markierte Wege. Dachte ich.
Doch der markierte Weg endete kurz nach P. 1513 im hohen Gras einer Wiese;  Anschlussmarkierungen = Fehlanzeige. Also folgte ich der Spur eines landwirtschaftlichen Fahrzeugs und stieg dann den Lampen einer Skipiste entlang hoch und gelangte so nach Sartons. Dahin wollte ich zwar nicht, fand da aber immerhin wieder Anschluss ans Wegenetz. Oberhalb der Alp Stätz verzweigen sich die Wege, ich wollte natürlich den direkten nehmen. Doch auch hier findet die Abzweigung nur, wer eh schon weiss, wo es durchgeht. Nach einem langen Stück auf einem faden Weg stieg ich in Bot digl Term direkt den Hang hoch. Anfangs staudendurchsetzt, dann wirklich schön an der Bergstation der dortigen Sesselbahn vorbei, bis ich kurz vor dem Grat in den Weg gelangte, den ich eigentlich hatte begehen wollen.

Vom Stätzer Horn via Fulenberg und P. 2496 zum nicht kotierten Gratende auf 2450 m. Nun hatte uns die Prognose rasch abtrocknende Luft und gute Fernsicht versprochen. Über die meiste Zeit betrug die "Fernsicht" etwas in der Grössenordnung von knapp 100 m. So folgte ich dort einfach weiter dem Grat und einer Person, die vor mir ging. Bis wir uns bei einem grossen Steinmann am Ende dieses Grates trafen und kein Zweifel herrschen konnte, dass wir eigentlich nicht dort sein wollten. Jetzt weiss ich, es war bei P. 2340. Ohne Karte konnte ich nur anhand des diffusen Sonnenlichts erkennen, dass wir viel zu weit westlich waren.
Der Entscheid, Richtung Nord ins Tälchen abzusteigen, war schnell gefällt. Im Glauben, recht nahe beim (echten) Dreibündenstein zu sein, querte ich die weiten Hänge unter dem Fulhorn und dem Fulbergegg. Das war ziemlich rutschig und ist teilweise richtig steil (> 40°, wenige Stellen T5). Also wenig empfehlenswert, aber von den Blumen her prächtig. Oberhalb Plaun Latscheras endlich in flacherem Gelände, durfte ich noch an die zwei Kilometer durch Alpenrosen-Tros queren, bis ich endlich bei Culm Ault auf den Weg stiess. Im nachhinein ist klar: Jede andere Variante zurück zum markierten Weg wäre schneller und weniger anstrengend gewesen. Und es könnte sich lohnen, bei weiten Routen grosszügigere Kartenausschnitte als nur das lokale Ziel auszudrucken ..

Nun an Dreibündenstein und Furggabüel vorbei hinunter nach P. 1814. Hier wollte ich den Weg nach Giufs nehmen, der auf der Karte als Bergweg eingetragen ist. Vor Ort zeigte sich: War einmal, kein Wegweiser, nicht einmal ein Griff in den Zäunen.
Ich stieg darum dem grosszügigen Bretterzaun entlang ab, der die dortige (wohl ehemalige) Waldweide von den Abstürzen unterhalb der Spundisköpfe abgrenzt. Das ist wunderschön zu gehen, es hat viele Wegspuren und immer wieder Lichtungen zwischen Gruppen von uralten Bäumen. Wo genau der "falsche Dreibündenstein", die Grenze zwischen Chur, Ems und Malix liegt, weiss ich nicht, irgendwo am oberen Rand einer grösseren Lichtung auf ca. 1600 m. Im Wald stösst man übrigens ebenfalls auf alte Wegmarkierungen, früher scheint der Weg also anders markiert gewesen zu sein. Diesen alten Weg findet man noch auf älteren Karten (-> "Zeitreise" 1980), er führt wenige Meter am Grenzpunkt vorbei. Keine Ahnung, ob die Grenzen vor über 200 Jahren überhaupt dort verliefen, doch gehören Grenzen zu den historisch "stabilen" Gegebenheiten.

Hätte ich realisiert, wie weit man in Brambrüesch auf Asphalt zur Bahnstation geht, wäre der landschaftlich schönere Abstieg über die Spundisköpfe die logische Wahl gewesen. Doch auch hier - ohne Karte folgt man halt den Wegweisern ...

In der Regel macht die BAW (Bündner Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege) einen tollen Job. Aber heute bin ich von einem Patzer in den nächsten gestolpert. Vielleicht sollte ich solche "historischen" Ausflüge einfach lassen und mich auf heimische Gefilde beschränken, die ich einigermassen im Griff habe.

Tourengänger: PStraub


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Kommentare (2)


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kopfsalat hat gesagt:
Gesendet am 14. Juli 2017 um 13:34
> "falschen Dreibündenstein" am nördlichen Ende dieser Lücke zu (be-)suchen (Lage ca.: 757 083 / 187 312).

So wie's aussieht, wirst Du nochmals dort rauf müssen, denn die Grenzen verliefen bis Mitte 1960 Jahre noch dort, wo man sie vermuten würde, nämliche den Graten entlang.

Somit befände sich der "falsche" Stein hier etwas nördlich des idyllischen Seeleins bei Pt. 1814.

Gruss
Dani

PStraub hat gesagt: Noch komplizierer
Gesendet am 18. August 2017 um 10:46
Tatsächlich ist es noch etwas komplizierter: Erst ein Schiedsspruch im Jahre 1966 verlegte die von Ems behauptete und in der 1960er-LK eingezeichnete Grenze wieder dorthin zurück, wo sie seit alten Zeiten war. Also dort, wo ich sie gesucht habe.

Gemäss Angaben sollen sich dort oben sogar uralte Grenzsteine finden lassen.


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