Zitterklapfen Überschreitung


Publiziert von bnsndn , 12. Juni 2017 um 23:58.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Bregenzerwald-Gebirge
Tour Datum:11 Juni 2017
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m

Servus zusammen,

man hat morgens einen Termin aber den ganzen Tag stabiles Bergwetter, was tun? Termin absagen?! Leider versäumt, alternativ also eine ausgedehnte Tour für den Nachmittag wählen, die Tage im Juni sind ja lang.

Die Anfahrt sollte 1h nicht wesentlich überschreiten, um mittags noch zuhause gemütlich essen zu können. So fiel mein Ziel auf den Zitterklapfen, der mit IIer Kraxelei genau das Richtige sein sollte für eine nachmittägliche Solo-Runde.

Ca. 13:40 Uhr gings dann endlich los, eine unmenschliche Zeit für eine Bergtour, 28°C zu Beginn in Au. Zum Glück überall rauschende Bächlein, somit konnte ich Wasser minimalistisch mit mir rumschleppen. Des Weiteren hatte ich Eispickel und Helm dabei, nur die Magnesiumtabletten hatte ich vergessen.

Auch hatte ich diesmal (der Spontanität der Tour sei Dank) auf ein genaues Routenstudium verzichtet, der Normalweg zum Gipfel ist ohnehin beschildert also trivial, und beim Abstieg wollte ich checken, ob sich der Westgrat eignet (von machbaren Überschreitungen hatte ich gelesen), und notfalls einfach wieder den Normalweg retour.

Vorbei gings an der Bergkristall-Hütte und weiter durchs Tal, bis man schließlich links den Bach quert und bei der nächsten Gabelung rechts in Richtung eines netten Wasserfalls, nachdem die erste Steilstufe leicht gemeistert wird. Der weitere Anstieg in der prallen Sonne wurde allmählich zur Qual, daher war ich froh, endlich die Links-Querung (noch einiges an Schnee hier) unterhalb der Felsen zu erreichen. Es geht nun durch Wasser-Felsen (wegen des noch Schnee gefüllten Kars darüber) hinauf, anschließend weiter bis zum Beginn des einfachen Klettersteiges. Hier hängt gut Schnee drin, ich sehe linkerhand ein Kabel über einem eklig steilen Schneefeld, also Wahl der rechten und auch markierten Variante, auch hier ein Schneefeld zu Beginn. Nix wie drüber mit Eisgerät  (ohne definitiv Grund zur Umkehr) in der Hand, bevor es samt mir den Abgang macht und Aufsuchen des sicheren Stands am Drahtkabel. Den Steig nun gemütlich rauf zum Grat, schöne, kurze, natürliche Routenführung in steiler Wand.

Den Grat angenehm, ab und zu ausgesetzt, Stellen allerhöchstens II, zum Gipfel, Gehzeit bis hier ca. 4h (laut Wegweiser 5,5h). Die chillige Gipfelrast wird gleichzeitig vom Gefühl begleitet, was nun zu tun sei:

1. Die konservative Variante: Gleiche Route zurück. Bis auf das Schneefeld sicher, aber langweilig.

2. Die spannende Variante: Dem Westgrat folgen und schauen, was passiert.

Ich entscheide mich für die 3. Variante: Versuch, die 2. Variante zu googlen um den Überraschungseffekt zu schmälern. Kein Empfang, einzige Info, die ich habe: Westgrat machbar aber keine Ahnung wie lang und keine Ahnung ob Abstieg zurück nach Au überhaupt möglich, d.h. großes Walsertal als Szenario steht im Raum...

No risk no fun, Variante 2! Wetter bleibt ja stabil, nur im Hellen unten anzukommen sollte schon drin sein, der Einsatz der Funzel also nur eine Notlösung.

Es ist bereits nach 18 Uhr und ich beginne den Abstieg via Westgrat, nicht schwer aber manchmal ist es sinnvoll leicht in die schrofige Südflanke auszuweichen. Was mir nicht gefällt: Keine Markierungen, nicht viel mehr als Gamspfade hier. Ich spiele schon mit dem Gedanken umzukehren, entscheide mich dann aber doch weiterzugehen und notfalls eben südseitig (sieht alles machbar aus) ins Walsertal abzusteigen. Aber auch von dieser Variante nehme ich, angekommen in einer Scharte, Abstand. Meine zwei verbleibenden Optionen:

1. Die ungewisse Variante: Weiter über den Grat mit Gegenanstieg, der noch weit scheint. Danach weiterer Abstieg ungewiss (Option Walsertal nicht ausgeschlossen).

2. Die ungewisse Variante II: Direkter Abstieg durch die Nordwestwand (sieht nach einer Schwachstelle im Fels entlang einer wenig ausgeprägten Rinne aus) in ein Kar. Richtige Seite des Berges, aber nicht sicher ob begehbar bis zum Kar, massiver Zeitverlust durch erzwungene Umkehr möglich. (Option Walsertal ausgeschlossen, dafür Option Absturz eingeschlossen, Spaß;) )

And the winner is... Variante II: Denn was abwärts kletterbar ist, ist es aufwärts auch (gültig, wenn man ohne Seil unterwegs ist und keine gewagten Sprünge durchführt). Das einzigste Problem wäre also ein zeitliches, dies kann ich aber angesichts des stabilen Wetters und meiner körperlichen Verfassung in Kauf nehmen. Die Chance aber, die sich mir durch den nordwestseitigen Wandabstieg ergibt, ist verlockend, nämlich auf die richtige Seite des Berges zu gelangen und Au noch im Hellen zu erreichen.

Also Konzentration und runter durch das hässlich brüchige Gelände. Ein Versuch linkshaltend durch die Rinne abzusteigen schlägt fehl, also ein paar Meter hinauf und die (von oben gesehen) rechte Variante wählen. Bei dieser schaut man auf rippenartige (wenig ausgeprägt) Grasterrassen, die noch weiter rechts wiederum von einer Art Rinne umgrenzt werden. Grundregel in solch einem Bruchhaufen: Rippen statt Rinnen, um potenziellem "Gamshagel" zu entgehen. Der einzige, der Steine in Rollen bringt, bin jedoch ich, denn fast jeder Griff bricht hier aus. Dennoch ist die Gesamtsituation zu 80% nur durch die Psyche belastet, da es für mich noch nicht einsehbar ist, ob auch das letzte Stück hinunter zum Kar kletterbar ist. Eine steile 10m-Wandstufe mit IVer Gelände wäre bereits zu viel des "Guten" und ich müsste alles wieder zurück (mit den damit anschließenden nächsten, notwendigen Entscheidungen).
Die untere Grasterrasse lässt tatsächlich einen solchen Abhang vermuten, also erst einmal ein Schluck Wasser und ein Foto. Vielversprechend sieht eine linksseitige Umgehung in Richtung der ursprünglichen Rinne aus und in der Tat kann ich die hier schneegefüllte Rinne an einer Stelle erreichen. Die Rinne scheint tatsächlich den Weg in das Kar-Schneefeld zu weisen, ob mit oder ohne Schlusswand ist noch fraglich. Nach einer letzten IIer Stelle sehe ich zu meinem Glück, dass ich das Schneefeld ohne Mühe betreten kann, vermulich wäre es ohne diesen Schnee weniger trivial. Erleichtert rase ich das Schneefeld hinunter und erreiche sattes Grün in einer herrlichen Idylle.

Intuitiv ist mir klar, links weiter zu gehen. Ich erreiche eine erste Hütte, eine zweite und plötzlich sehe ich ein Schild: Au 2h. Das ist ja human, denke ich mir, mein Plan im Hellen am Auto zu sein, ist also realisierbar. Doch dann eine letzte Herausforderung: Der Weg voller Kühe, an sich kein Problem, jedoch gehörnte Mütter mit Kinder plus Bulle. Also Helm auf und langsam durch die Mitte, alles geht gut. Zu guter Letzt nimmt mich eine freundliche Almbäuerin den recht öden Weg bis nach Au mit dem Auto mit. Die ganze Heimfahrt kann also noch im Hellen stattfinden.

Fazit: Schöne Tour, die tatsächlich bergsteigerisch interessant ist, wenn man sie mit etwas Ungewissheit startet. Ich würde sie auf jeden Fall so wiederholen (prinzpiell wiederhole ich aber keine Tour, es gibt genug Gipfel und Routen), denn der NW-Wandabstieg (im Nachhinein tatsächlich als Route entdeckt) ist eher ein Problem der psychischen Unwissenheit (die bei Wiederholung oder besserer Recherche gänzlich fehlen würde) als der technischen Machbarkeit (Stellen IIer Abkletterei und Vorsicht im Bruchgelände erforderlich, allerdings gewisser Unsicherheitsfaktor bezüglich fehlenden Schnees am Wandfuß!) Es dürfte sich bei dieser Variante um die kürzest mögliche Überschreitung des Berges handeln. Dem gewöhnlichen Wanderer würde ich den NW-Wandabstieg jedoch nicht empfehlen!







Tourengänger: bnsndn


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»