Auf Kristallsuche im Misox: See(l)enwanderung zum Laghet de Lughezzasca


Publiziert von lorenzo , 29. Juni 2016 um 10:59.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Misox
Tour Datum:21 Juni 2016
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Gruppo Val Cama   CH-GR   Gruppo Forcola-Arsa   I   Gruppo Balniscio-Forcola 
Zeitbedarf: 4 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Cama
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Soazza
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Alp de Poz (1633m), Rifugio Alp di Campel Alt (2000m), Rifugio Alp de Quarnei (1753m). Alle drei sind zum Kochen und Übernachten eingerichtet. Auf Campel Alt muss das Wasser ev. beim 40Hm unter dem Rifugio entspringenden Bach geholt werden (je 10min). Wer unter einer Mäusephobie leidet, sollte versuchen, diese vor dem Betreten der genannten Rifugi auszukurieren...
Kartennummer:1294 Grono, 1274 Mesocco, 1275 Campodolcino; G. Brenna, Clubführer Misoxer Alpen 4, SAC 2001 und Misox und Calancatal, Salvioni 1998; M. Gabuzzi, Capanne e rifugi del Ticino e della Mesolcina, Salvioni 2004; E. Riva, Die Augen unserer Berge, Salvioni 2000

Auf Wanderungen an der Grimsel mit meinem Onkel füllten meine Cousins und ich unsere Hosentaschen jeweils mit allerlei trüben Quarzsplittern und blinden Milchquarzen, bis uns zuletzt fast die Hosen hinunterrutschten. Nur selten einmal fanden wir einen höchstens Zentimeter langen intakten und klaren Rauchquarz, auf den wir dann besonders stolz waren. Ein begnadeter Strahler - wie etwa die Familien Rufibach aus Guttannen, wo im Kristallmuseum prächtige Exemplare bestaunt werden können, oder gar wie Franz von Arx und Paul von Känel (der - dies sei hier nur nebenbei erwähnt - seinerzeit mit Hans Peter Trachsel am 4./5. August 1970 den ganzen Westpfeiler am Scheideggwetterhorn eröffnete), die am 21. September 2005 nach jahrelanger harter Arbeit am Planggenstock funkelnde Riesenkristalle aus einer tiefen Kluft ans Tageslicht beförderten - wurde aus mir jedoch nie.

Auch als ich vor Jahren zum ersten Mal im Misox unterwegs war, suchte ich eigentlich keine Kristalle, sondern immer wieder v.a. den richtigen Weg, fand aber zu meiner grossen Überraschung trotzdem einen, der grösser und schöner war, als alle, die ich bisher gesehen hatte: wie ich nämlich damals vom Piz di Val Marina Richtung Passo Balniscio wanderte, kam ich an einem Bergsee vorbei, der tief unten in einem kargen Gras- und Geröllkessel ruhte und im damals bereits frühherbstlichen Licht wie ein Kristall oder Smaragd still glitzerte. Es war, wie ich später erfuhr, der sagenhafte Laghet de Lughezzasca. Zu weit oben und noch einen langen Weg vor mir, musste ich ihn links liegen lassen und weiter ziehen. Aber schon damals entstand der mit den Jahren immer stärker werdende Wunsch, diesen zauberhaften Bergsee wieder aufzusuchen und zu ihm zurückzukehren.

In den letzten Ferien war es dann endlich soweit: ein Schönwetterfenster von vier Tagen hatte sich überraschend aufgetan und zwischen Cama und Soazza standen mehrere Hütten wie z.B. Poz, Campel Alt und Quarnei zur Verfügung, um sich dem Laghet de Lughezzasca  in sowohl landschaftlich wie bergsteigerisch interessanten Etappen z.B. über den Sass Castel, die Scima di Laghit und den Piz Padion schrittweise anzunähern. V
on den Graten und Gipfeln, deren Begehung und Besteigung sich bisweilen wie hindernisreiche Prüfungen auf dem Weg dorthin ausnahmen, hielt ich während den ersten drei Tagen immer wieder nach ihm Ausschau, doch er blieb hinter den ihn umgebenden Bergen bis zuletzt verborgen.

Nachdem ich mich am Nachmittag des dritten Tages auf Quarnei eingerichtet - Trocknen der Matratze und Decken an der Sonne, wie auf Campel Alt Säubern des Tischs, der Bänke und Ablageflächen von Mäusedreck - und von dort aus den Aufstieg zu den Höhlenfelsen, die den einzigen Zugang zum "hängenden Tal von Lughezzasca" vermitteln, studiert hatte und sinnierend vor der Hütte an der Sonne sass, begab es sich, dass ein lustiger Hirtenhund erschien und neugierig um die Hütten herumstrich. Ich folgte ihm und siehe, da traf ich auf einen alten Mann, der mir in seinem, für mich nur schwer verständlichen Misoxer Dialekt erzählte, dass er mit seinen über achtzig Jahren von Crasteira aus, wo er mit seiner Frau und seiner Ziegenherde den Sommer verbrachte, einen kleinen Nachmittagsspaziergang unternommen habe. Er erklärte mir die Alp und ihre Umgebung, weihte mich in das Geheimnis des Höhlenzugangs ein,  weissagte mir villeicht auch - so meine übersetzerische Fantasie - dass ich dort oben der wunderschönen Esmeralda begegnen werde, und warnte mich eindringlich vor möglichen Gefahren. Sprachs und ging seines Wegs zurück nach Crasteira.


Des nachts träumte mir und ein schwerer Fluch fiel ab von meiner Seele. Anderntags wachte ich frühmorgens erleichterten Herzens auf und stieg also frohgemut und beflügelt den beschwerlichen Weg nach Lughezzasca hinauf. Erst nach der letzten Kuppe lag der See wie ein unermessliches Geschenk vor mir. Noch ruhte er aber im Zwielicht der Morgendämmerung, und ich hatte mit der "Mesolcina, addio" und dem Piz Papalin zudem weitere Prüfungen zu bestehen, so dass ich weiter zog. Beim Abstieg leuchtete der See smaragden in der Sonne und ich konnte es kaum erwarten, in ihn einzutauchen. Schliesslich kam der lang ersehnte Augenblick: auf einer Felsplatte stehend liess ich mich langsam unter die kristallklare Oberfläche gleiten, schwamm ein paar Züge im eiskalten Wasser und fühlte mich danach wie neugeboren. Trunken vor Freude verfehlte ich fast den Rückweg unter den Höhlenfelsen hindurch, fand ihn aber nach einiger Aufregung angesichts der daneben gähnenden Abgründe schliesslich doch noch.

Auf Crasteira bewunderte ich zuerst die wunderschönen Nera Verzasca Ziegen, bevor ich den freundlichen alten Mann und seine Frau besuchte. Etwas wehmütig zeigte er mir Fotos von umliegenden Gipfeln wie Pizzo di Campel, Piz Padion, Pizasc, Piz Papalin oder Piz Pombi, die er in jungen Jahren selber bestiegen hatte, und von der "sprügh", dem Felsunterstand hoch über dem See, der ihnen in den 40er-Jahren als Unterkunft beim Hirten der Capre und Pecore gedient hatte. Schon etwas müde und noch einen langen Abstieg und eine lange Rückfahrt vor mir, musste ich mich leider "senza caffe" Richtung Soazza verabschieden. Unterwegs blieb mir dann genügend Zeit, darüber nachzudenken, was mehr zutrifft: das Sprichwort "Wer sucht, der findet" oder Picassos "Ich suche nicht, ich finde"? Und kam zum Schluss: je nachdem, mal das eine, mal das andere. Oder mit den Worten Freuds: jedes Finden ist ein Wiederfinden.


Sass Castel (21.6.2016)
Von Cama (344m) nach Al Pont und auf dem weiss-rot markierten Bergweg (wr) bis zum Brunnen von Provesc (800m). Nach NNE (kaum Pfadspuren) zu P. 1089 und auf einem Pfad zur Alp de Borgen (1447m) und weiter (Markierungen, Steighilfen) über Motta Giova zur Pianca Bella. Dem WSW-Grat folgend zu P. 2103, der re absteigend (Seil) umgangen werden kann, und weiter zum Piz Croch (2377m). Weiter dem Grat entlang zu einem Einschnitt (III+) und rechts an der Felsnase Croch vorbei (Band) zum NW-Gipfel (2516m), 5-6h, L-WS. Abstieg über den ESE-Grat auf Pfadspuren zuerst rechts, dann links des Gratkamms, und zuletzt durch einen Kamin (5m, III) hinunter und weiter zur Btta de Brion (ca. 2340m), 30min, L. Aufstieg über den NNW-Grat zuerst auf Pfadspuren rechts, dann auf leichten Platten zum SE-Gipfel (2524m), 30min, L. Abstieg über den SSE-Grat weitgehend auf Pfadspuren rechts, dann zwischen Blöcken hindurch zur Btta de Cressim (2248m), 45min, L. Wr durch den Kessel von Cressim hinunter zum Rifugio Alp de Poz (1633m), 1h 30min, T3. Insgesamt 7h 30min bis 8h 30min, 2375Hm Auf- und 1085Hm Abstieg.

Scima di Laghit (22.6.2016)
Wr zurück zur Werkhütte (ca. 1800m)  und auf Stauden und über Platten und Geröll durch den Kessel von Egion zu einer Grasrampe, die auf den Grat bei ca. 2190m führt, 1h 15min, T3. Abstieg rechts vom Grat zur Btta d'Egion (2145m). Über einen ersten Aufschwung (Stellen II) und horizontal zum Gipfel 2251. Über Platten und steiles Gras links vom Grat 40Hm hinab in eine Scharte, über einen Aufschwung (III) hinauf und auf dem flacheren, aber weiterhin sperrigen Grat (gegen S ansteigende Platten, Lärchen, Stauden) zu den Gipfeln 2298 und 2277. Abstieg auf Pfadspuren nach NE in die Scharte ca. 2200m SE der Mulde von Laghit (kleiner namengebender See) und gegenüber einfach auf eine Gratschulter. Über die Zacken des folgenden Gratabschnitts (Stellen III) auf den Hauptgipfel 2308. 30Hm über Platten (III) hinab und über mehrere grasig-plattige Graterhebungen zum letzten Gipfel 2275 (Kreuz unterhalb), 2h 30min-3h 15min, WS. Abstieg über den NW-Rücken (Pfadspuren) zu P. 1994 und weiter über die  Alp de Bon (1811m) auf einem Pfad hinunter nach Montogn (1340m) und zur Brücke über die La Montogna (ca. 1260m, Bademöglichkeit), 1h 30min, T3. Aufstieg wr über die Alp di Campel Bass (1720m) zum Rifugio Alp di Campel Alt (2020m), 1h 30min-2h, T4. Insgesamt 6h 45min-8h, 1585Hm Auf- und 1200Hm Abstieg.

Piz Padion - Pizzo della Forcola (23.6.2016)
Kurz hinauf zum Passo di Campel Alt (2044m) und über den NNW-Grat zuerst über z.T. ausgesetzte Platten (I-II) oder rechts davon bis ca. 2300m, dann über den breiter werdenden Gratrücken auf Blöcken, Platten und ggf. Schneefeldern zu P. 2502 und weiter zu P. 2524 vor einem ca. 10m hohen Felsabbruch. Ausgesetzter Abstieg nach rechts über grasig-felsige Stufen auf ein Band und über dieses zurück auf den Grat (T6, II). Über den schön geschwungenen plattigen NW-Grat (I) und zuletzt Geröll und Blöcke auf den Piz Padion (2631m), 2h, L. Einfacher Abstieg über den grasig-plattigen ENE-Grat zur Forcellina del Padion (ca. 2590m) und über den zunehmend blockigen WSW-Grat zu einem turmartigen Aufschwung: über eine Platte unter einen Block, der nach einer kurzen Rechtsquerung erstiegen wird, durch eine brüchige Rinne zurück zur Kante (Abseilschlinge an Hk und Kk), und links von dieser auf den Grat zum Vorgipfel (III). Von diesem in einen Sattel hinab und einfach hinauf zum Pizzo della Forcola (2675m), 1h 15min, WS. Nach der Erkundung einer Abstiegsmöglichkeit Richtung NE über die "Dreieckige Platte" (S-/IV+, Respekt vor Major Angelo Gianola, der diese im September 1931 - womöglich barfuss oder in Tricounis? - als Erster im Abstieg begangen hat!) und links von deren N-Kante (IV/VI-), die mir beide - auch mit griffigen Vibramsohlen - als zu schwierig erschienen, Abklettern zurück über den WSW-Grat bis ein Übergang zu den Firnfeldern der NE-Flanke möglich ist. Über diese (Firn bis ca. 2200m) hinunter nach Paligneira (1989m) und wr zum Rifugio Alp de Quarnei (1753m), 2h 15min, WS/T3. Insgesamt 5h 15min, 725Hm Auf- und 975Hm Abstieg.

Cima de Lughezzasca-Piz Papalin-Laghet de Lughezzasca (24.6.2016)
Wr durch das Grastälchen zurück bis zur Abzweigung auf ca. 1790m und auf einem Pfad zum Ri von Sponmarin, der auf ca. 1780m gequert wird. Auf der anderen Seite Richtung N über die Flanke von Piancan dei Scepon durch lichten Wald und Stauden und über Gras und Geröll (Pfadspuren) zum Grascouloir unter den von der Alp de Quarnei gut sichtbaren höhlenartigen Überhängen. Durch das Couloir hinauf und auf einem Pfad links unter den Überhängen hindurch auf die Terrasse von Lughezzasca und nach NE zum See, 1h 15min, T4. Nach N über Gras zu einem Plateau auf ca. 2260m und durch ein steiles Grascouloir zum Sattel 2483 zwischen Mottac und Fil de Lughezzasca, 45min, T4. Über diese (W-Grat oder "Mesolcino, addio", Erstbegehung durch G. Brenna am 7.11.1998) auf Blöcken, Schneefeldern und einige Erhebungen rechts auf Gras umgehend zu einer ausgesetzten und brüchigen Scharte aus hellem Gestein mit aufliegenden losen Blöcken (Blitzschlag?), deren Traversierung Vorsicht erfordert (III-). Der folgende Hauptaufschwung wird am Einfachsten auf der rechten Seite erklettert (III), dann über den wieder leichteren Gipfelaufschwung und zuletzt über eine schöne Reibungsplatte (II) auf die Cima de Lughezzasca (2716m), 1h 15min, ZS. Einfacher Abstieg über den SE-Grat zum Sattel 2672,5 (zuletzt weiss-blaue Markierungen). Über den NNW-Grat zuerst auf Pfadspuren links, dann über mehrere felsige Erhebungen (I-II) zum Gipfelaufbau, der über eine schöne Reibungsplatte (II-III) zum Piz Papalin führt (ev. Abstecher nach SSE zum Gipfelkreuz über dem eindrücklichen Felsabbruch, ausgesetzt, I-II), 30min, WS. Abstieg zurück auf dem NNW-Grat bis zu einer Scharte, von der einfach nach W über ein Geröllfeld (Firn bis 2520m) zum oberen Band unter der Fil de Lughezzasca abgestiegen werden kann. Auf diesem weiter nach W zu einer Rinne, die zum mittleren Band hinunterführt (T6/III). Auf diesem zuerst nach E, dann etwas weiter unten ausgesetzt wieder nach W und über eine Stufe auf das untere Band ("Via delle Capre e Pecore", Schaf- und Ziegenpfade, mehrere Möglichkeiten). Dieses wird absteigend weiter Richtung W verfolgt, bis durch eine steile Grasrinne zur Seeflanke, und über diese zum Laghet de Lughezzasca (2116m, Bademöglichkeit) abgestiegen werden kann, 1h 15min, WS/T5. Auf dem "Höhlenweg" zurück zur Alpe de Quarnei, 1h, und wr durch das Val de la Forcola über die Alp de Crasteira (1419m), auf ca. 900m an einer eindrücklichen Cascata eines Nebenbachs vorbei, durch die "romantische Ausgangsschlucht" und über Druna (575m) und Al Pont (563m) nach Soazza (620m), 1h 45min, T3. Insgesamt 7h 45min, 1080Hm Auf- und 2215m Abstieg.

Material: übliche Alpinwanderausrüstung, Leichtpickel und Proviant für 4 Tage. Für die Scima di Laghit, den Pizzo della Forcola und die Fil de Lughezzasca ev. reduzierte Kletterausrüstung mit 30m Einfachseil und etwas flexiblem Sicherungsmaterial.

Tourengänger: lorenzo


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