Abgehauen am Hohen Riffler - oder wie ich mein Bergfieber bekam


Publiziert von Simon_B , 23. Februar 2016 um 21:16.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Verwallgruppe
Tour Datum: 9 August 1991
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 1800 m
Abstieg: 1800 m

Es ist schon sehr lange her, ich kann nur sagen das es ein Freitag im Sommer des Jahres 1991 war. Ich war 11 Jahre alt, mein Bruder 14. Wir hatten als Kinder der gerade untergegangenen DDR unsere erste Woche im Hochgebirge fast hinter uns, als mein Bruder und ich unsere Eltern dazu überreden konnten, von unserem Urlaubsort Lechleiten nach Pettneu zu fahren, um eine Wanderung an einem Dreitausender zu machen. Bis zu diesem Urlaub waren die Alpen für mich was Exotisches und erst recht ein Dreitausender. Klischeehaft stellte ich mir so einen Bergriesen als großen Berg mit einer Schneekappe vor, so wie Kinder eben Berge malen. Ich hatte mich etwa seit zwei Jahren viel mit den Alpen beschäftigt, seit es reale Möglichkeit war, dahin zu reisen. Als wir 1989 unmittelbar vor der Wende mal im Böhmerwald zum Campingurlaub waren und ein Einheimischer sagte, von diesem Berg da oben (der Hausberg des Zeltplatzes) könne man bei klarem Wetter die Alpen sehen, war dieses Gebirge noch ein unerreichbares Wunschziel.  Nun aber nach dem Fall der Mauer hatte ich bereits viel Literatur (Kompass-Wanderbücher) studiert und wusste, dass es vielleicht nicht unmöglich wäre, diesen Hohen Riffler zu erreichen.

Und so machten wir uns nach dem Frühstück gegen halb Acht in Lechleiten mit unseren weißen Opel Rekord auf nach Pettneu, um in der Umgebung eines Dreitausenders zu wandern. Gesehen hatte man den Bergriesen beim Start der Tour noch nicht - Wolken! Bisher hatten wir uns ums Wetter nie all zu viel Gedanken gemacht - im heimischen Elbsandsteingebirge war es schließlich nie weit zu einem Unterstand... und bei unserer Eingeh-Bergtour am Karhorn/Wartherhorn (immerhin!) kamen wir erst unmittelbar vor dem Ende der Tour in den Regen, wenngleich wir auch vorher fast den ganzen Tag nur in den Wolken herumgestochert waren. Aber auch "in den Wolken" wandern, war für uns faszinierend neu.

Mit Tempo einteilen hatte es weder mein Vater, noch wir so genau genommen, so dass wir zwar schnell die Edmund-Graf-Hütte erreichten, aber meine Mutter völlig erschöpft war und so auch mein Vater beschloss, dass unser heutiges Tagesziel hier erreicht sei.

Irgendwie juckte es meinen Bruder und mich aber schon, noch ein wenig höher zu kommen. "Wir gehen noch mal ein bisschen hinter der Hütte gucken", teilten wir unseren Eltern nach einer kurzen Rast mit. Und so folgten wir dem Weg in Richtung des Rifflers.

Hier passierte nun etwas, was ich zwar später immer wieder gespürt habe, aber nie wieder so kompromisslos wie an diesem Tag! Eine Kraft, die Einen nach oben zieht. Eine Kraft, die Zweifel überlagert, die Ängste verschwinden lässt und die nicht gekannte Kräfte frei setzt. Anfangs war unserer Ziel nicht unbedingt der Gipfel - wir wollten einfach immer nur noch ein Stück höher. Natürlich wussten wir, dass uns die Zeit im Nacken lag und so rannten wir förmlich hinauf - so weit sei der Gipfel ja nicht weg - wir dachten damals mittelgebirgs-gewöhnt - in Kilometern und nicht in Höhenmetern. Einige entgegenkommende Wanderer schauten uns ungläubig an (kurze Turnhosen, Stoffrucksack, 11 und 14 Jahre alt, Laufschritt...) Auf der Scharte am oberen Rand des Pettneuer Ferners kamen mir natürlich schon Zweifel unseres Tuns - vielleicht sollten wir hier umkehren - sind ja immerhin auf 3000 Metern... hier war mein Bruder nun die Kraft: "Lass uns jetzt ganz hoch gehen - ist nicht mehr weit". Und so hetzten wir weiter über den Schlusshang bis zu dem Punkt, wo sich zig Millionen Tonnen Gebirgsmasse zu einer kleinen Spitze verjüngen. Ich konnte noch nicht einmal stehen auf dem Gipfel - körperlich am Ende, überlastet von der Reizüberflutung dieses Ausblickes über den Wolken, oder einfach nur vor lauter Ehrfurcht kniete ich am höchsten Punkt.

Schnell zückte ich meine DDR-Kleinbildkamera und knipste die einzigen Bilder dieses Momentes. Dann machten wir uns schon auf den Rückweg. Das Geröll-Feld nach dem Ferner rannten wir nun halb springend hinunter. Und so kamen wir nach knapp drei Stunden wieder an der Hütte an... in das Blickfeld unserer Eltern. Eigentlich hätte man jetzt jede Reaktion der Eltern verstehen können. Ich kann mich an sehr ernste Mienen erinnern, aber meine Eltern waren insgesamt total gefasst. Ich kann mir nur vorstellen, was in Ihnen vorging. Klar, werden Sie auch sauer gewesen sein, aber sicher dämpfte die Erleichterung über unsere Rückkehr die negativen Emotionen ein wenig. Da sich durch andere Wanderer unser Mords-Tempo herumgesprochen hatte und wir vom Gipfelsieg berichten konnten, war vielleicht doch auch ein wenig Stolz dabei. Ich habe wegen unserem Ausbüxen auch später keinen Rüffel mehr bekommen. Wir gingen dann gemeinsam wieder ins Tal, wo sich vor einem Nachmittagsregen der Riffler noch mal in ganzer Pracht präsentierte - "da waren wir oben" - ich weiß nicht, wie oft ich beim Abstieg diesen Satz wiederholte und mit dem Finger in Richtung Berg zeigte...

Stückweise wurde mir später klar, was wir unseren Eltern an diesem Tag eigentlich für Ängste beschert haben. Aber mir wurde auch klar, dass dieses Erlebnis das Bergfeuer in mir entfacht hat, was bis heute brennt. Sicher ist so eine kindliche, leichtsinnige und kompromisslose Art, einen Berg zu erobern, auf Dauer riskant. Und mittlerweile bin ich da auch deutlich ruhiger geworden. Aber der Fakt, dass ein Elfjähriger mit seinem 14 jährigen Bruder im ersten Bergurlaub alleine einen Dreitausender besteigt, hat mir unsere eigenen Kräfte deutlich gemacht, es hat uns regelrecht beflügelt und gezeigt, wenn man etwas wirklich will, dann kann man es auch schaffen. Der Respekt vor dem Berg und das "umkehren können" haben wir zum Glück rechtzeitig später dazu gelernt - einige weitere Dummheiten blieben zum Glück folgenlos.

Wenn ich an diese Tour zurück denke, finde ich auch am Deutlichsten die Antworten zur Frage meiner persönlichen Motivation, auf hohe Berge zu steigen. Sicher ist es auch ein wenig das "Prestige" einen bestimmten Berg zu bezwingen, oder eine Höhenmarke zu knacken. Für mich ist es aber vor Allem die Neugier auf die Frage, was da oben ist? Damals war es der Vergleich zwischen meiner kindlichen Vorstellung eines Dreitausenders und der Realität. Auch heute noch ist es der Abgleich zwischen Vorstellung und Wirklichkeit einer Route, einer Tour, oder eines Gipfels. Man kann noch so viele Berichte lesen, Literatur studieren, Bilder im Internet anschauen - die Wirklichkeit ist doch immer anders - voller Überraschungen, meist etwas schwieriger als gedacht und auf jeden Fall immer viel schöner als in der Theorie.

In den Jahrzehnten danach bestritten mein Bruder und ich unzählige gemeinsame Bergtouren, welche alle ihre Wurzeln am Hohen Riffler haben.

Tourengänger: Simon_B


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Kommentare (3)


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AIi hat gesagt: Super Bericht!
Gesendet am 23. Februar 2016 um 22:44
Hi Simon,
beim Lesen deines Berichts sind mir erstaunlich viele Parallelen zu meiner eigenen bisher kurzen Bergkarriere aufgefallen.

Zum einen war nämlich auch für mich der Hohe Riffler (oder das Blankahorn daneben) ein ganz besonderer und emotionaler Erfolg. Immerhin mein erster Dreitausender und dann noch allein mit 15 Jahren früh am Morgen über der Nebeldecke...es war schon genial. Genau wie euch, hat mich auch der Laufschritt am Geröllhang hinter der Graf Hütte gepackt...;)
Ohne Schleichwerbung machen zu wollen, hier mein Bericht dazu.

Das Problem mit besorgten Eltern kenne ich auch zu genüge, immerhin geh ich seit ich 14 bin in die Berge (jetzt 17) und war bei meinen ersten Touren auch oft allein unterwegs. Da kann so manches Funkloch schon mal für etwas Ärger im Nachhinein sorgen...

Deinem letzten Absatz stimme ich auch voll und ganz zu-
Daher weiterhin coole Bergerlebnisse mit Überraschungen!

Gruß Ali

klemi74 hat gesagt:
Gesendet am 23. Februar 2016 um 22:51
Hi Simon,

Schöner Bericht über ein, grad für einen 11jährigen, bemerkenswertes Abenteuer.

Gruß,
Karsten

Nyn hat gesagt:
Gesendet am 3. Januar 2021 um 22:13
Toll zu lesen uns es kommen ganz viele Erinnerungen hoch an meine eigene Besteigung als Pimpf. Auch für mich war der Riffler der erste 3000er.

VG, Nyn


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