Wir sind unsere Berge - Unterwegs in Nagorny Karabach


Publiziert von pika8x14 , 18. Dezember 2015 um 02:54.

Region: Welt » Nagorny Karabach
Tour Datum: 4 Juli 2015
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: AZ 
Zeitbedarf: 2:00
Aufstieg: 320 m
Abstieg: 320 m
Strecke:Festung Şahbulaq / archäologischer Komplex Tigranakert - Vankasar (und zurück); zusätzlich: zahlreiche Spaziergänge z. B. in Xankəndi / Stepanakert, Şuşa und in der Nähe des Xaçınçay-Stausees
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Im Pkw nach Şahbulaq / Tigranakert. An der markanten Festung (Museum) stehen Parkplätze zur Verfügung, der archäologische Komplex Tigranakert befindet sich nebenan.

Nach dem Besuch der beiden armenischen „Touristen-Highlights“ Geghard sowie Garni und der damit verbundenen Besteigung des *Azhdahak reisen wir noch ein Stück weiter ostwärts.

Für zwei Tage geht’s nach


Nagorny Karabach (aka „Bergkarabach“).

Traurige Bekanntheit erlangte diese Region bei uns leider vor allem durch den bewaffneten Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern Anfang der 1990er Jahre. In dessen Ergebnis existiert heute die de facto unabhängige Republik Bergkarabach (armenisch: Լեռնային Ղարաբաղի Հանրապետություն bzw. in der übersetzten, armenischen Selbstbezeichnung auch: Republik Artsakh bzw. Arzach). Neben dem eigentlichen Gebiet von Bergkarabach (aserbaidschanisch: Dağlıq Qarabağ) umfasst das insgesamt ca. 11.000 km² große Territorium des international nicht anerkannten Staates noch sieben weitere aserbaidschanische Bezirke unter armenischer Kontrolle. Obwohl Bergkarabach völkerrechtlich nach wie vor als Bestandteil von Aserbaidschan betrachtet wird, leben heute praktisch keine Aserbaidschaner mehr dort.

Die Landschaft wird vom Kleinen Kaukasus geprägt - es überwiegt also Gebirge, was in Anbetracht des Namens der Region nicht wirklich überrascht. Im Osten flacht das Terrain ab und besitzt steppenhaften Charakter. Der höchste Berg von Nagorny Karabach ist der Gamış dağı mit 3.724 m. Dessen Besteigung ist allerdings aktuell nur sehr schwierig bzw. faktisch gar nicht möglich - schließlich befindet sich der Gipfel an der „Grenze“ zu Aserbaidschan.

Deshalb suchen wir uns zur Abwechslung mal einen kleineren Hügel aus - für unsere


Tour in Nagorny Karabach.

Fr., 03.07.2015 - Anreise, Stepanakert/Xankəndi, Şuşa

Von Garni aus begeben wir uns am Morgen auf die doch relativ lange Fahrt, welche zwischendurch aber immer wieder Abwechslung bieten wird. So hoppeln wir bald auf teils extrem schlechter Straße am Azat-Stausee vorbei. Etwas später erreichen wir dann die „Autobahn“, die wir allerdings gleich wieder für einen kurzen Abstecher verlassen: Wir besuchen Chor Virap - das berühmte Kloster vor der Kulisse des Ararat.

Dann setzen wir unsere Reise grob ostwärts fort - ein weiterer Höhepunkt ist unter anderem der Vorotan-Pass auf immerhin 2.344 m. In Goris tanken wir und decken uns mit etwas Proviant ein - dann wird’s langsam spannend: Kurz hinter Tegh erreichen wir die „Republik Bergkarabach“. Die Formalitäten an der kleinen Grenzstation sind schnell erledigt, und wir schlängeln uns weiter über die kurvenreiche, aber vergleichsweise gute Gebirgsstraße.

Etwa 15.00 Uhr erreichen wir die Hauptstadt Stepanakert/Xankəndi. Hier erledigen wir als erstes die Visa-Formalitäten und bummeln eine Weile durch die Stadt.

Anschließend besuchen wir eines der schönsten Denkmäler überhaupt:

Wir sind unsere Berge.
Biz və bizim dağlar.
Мы - наши горы.
Մենք ենք մեր սարերը
 .

Das 1967 errichtete Monument zeigt eine alte Frau und einen alten Mann, die die Bergbevölkerung in Karabach repräsentieren - mit vielen Menschen über 100 Jahre. Umgangssprachlich wird deshalb auch die Bezeichnung „Großmutter und Großvater“ verwendet.

Direkt neben den „Tuffstein-Großeltern“ tummeln sich sozusagen die „Enkel“: Hier spielen etliche Kinder und auch einige Teenager gehen der alterstypischen Lieblingsbeschäftigung nach (und hängen ab).

Für einen Augenblick kommt bei uns also tatsächlich eine friedliche Stimmung auf, zumal auch einige kurze Gespräche mit Einheimischen (auf Russisch) sehr nett verlaufen.

Lange hält diese Art „Urlaubsgefühl“ aber leider nicht an, denn immer wieder bringt die eine oder andere Situation die traurige Lage in und um Nagorny Karabach in Erinnerung. Sei es durch die allgegenwärtige Militärpräsenz oder durch beschädigte und zerstörte Gebäude.

… so auch während unseres vorabendlichen Spaziergangs durch Şuşa. Unter anderem schlendern wir zur Festung (Şuşa qalası), zur Oberen Moschee (aka Yuxarı Gövhər Ağa-Moschee) und besichtigen  die Ghazanchetsots Kathedrale.

Den Abend und die Nacht verbringen wir dann wieder in Stepanakert/Xankəndi, wo im Zentrum viele Leute unterwegs sind. Tatsächlich ist einiges los, für Kinder gibt es sogar einen kleinen Vergnügungspark - so, wie in vielen Städten der Ex-Sowjetunion.


Sa., 04.07.2015 - Besichtigung Şahbulaq qalası/Tigranakert, Besteigung Vankasar

Am Morgen verlassen wir die Hauptstadt - natürlich nicht, ohne uns nochmals bei „Großmutter und Großvater“ persönlich zu verabschieden.

Im Auto fahren wir anschließend in Richtung Tigranakert, unter anderem vorbei an Ağdam. Vor dem Krieg lebten hier ca. 28.000, mehrheitlich aserbaidschanische Menschen - teilweise werden noch größere Zahlen genannt. Heute ist die Stadt verwaist und quasi völlig zerstört. Ganz offensichtlich möchte man (die wenigen) Touristen von diesem Zeugnis der Vernichtung aber fernhalten - zumindest wird die Zufahrtsstraße durch ein Militärfahrzeug blockiert …

Und während gestern noch eitel Sonnenschein herrschte, versteckt sich die Landschaft heute unter einem unglaublich dunklen Grauschleier - was die insgesamt düstere Stimmung noch verstärkt.

Endlich kommt unser Bergziel in Sicht - reflexartig machen wir natürlich ein Foto - und gleich noch eins, da beim ersten Versuch unerwartet ein Panzer durch das Bild fährt.

Wenig später erreichen wir Tigranakert (ca. 380 m). Die touristisch erschlossene, archäologische Stätte befindet sich nahe des Dorfes Şahbulaq und unmittelbar neben der gleichnamigen Festung (Şahbulaq qalası).

Wir möchten uns aber erst einmal auf die geplante, kleine Bergwanderung begeben - nur den „Einstieg“ in die „Route“ finden wir nicht auf Anhieb: Viel Gestrüpp bedeckt das Gelände zwischen der Festung und dem Berghang. Nachdem wir uns doch irgendwie durch das teils stachelige Dickicht gepirscht haben, gehen wir grundsätzlich immer nah am Ost-Grat entlang. Nach Süden bricht dieser steil ab, wodurch wir immer schöne Tiefblicke haben. Zwischendurch verlieren wir den - stellenweise ziemlich undeutlichen - Pfad und müssen eine kleine Scharte durchkraxeln. Zuletzt schlendern wir über eine Wiese und erreichen - knapp eine Stunde nach Beginn unserer Wanderung - den Gipfel des Vankasar (681 m). Die Attraktion ist hier sicherlich die gleichnamige Kirche aus dem 7. Jahrhundert. Selbstverständlich besichtigen wir das - (derzeit) frei zugängliche - kleine Gebäude. Die Ausblicke in die Umgebung sind durch das nach wie vor sehr dunstige Wetter zwar etwas getrübt, trotzdem lässt sich die Schönheit der Landschaft erahnen. Nebenbei entdecken wir noch eine große Schildkröte, die vermutlich von der schwülen Hitze mehr begeistert ist als wir.

Bevor wir absteigen, machen wir noch einen kleinen Umweg zu einer nahen Picknickstelle. Hier treffen wir einige Einheimische, die von Norden über eine staubige Piste im Auto auf den Berg gehoppelt sind.

Dann wandern wir wieder hinunter in Richtung Şahbulaq. Diesmal verlieren wir den Pfad nicht und ersparen uns deshalb die Kraxelpassage an der kleinen Gratscharte. Dafür treffen wir nun auf Schlangen ;-).

Wieder „unten“ spazieren wir um die interessanten Ausgrabungsstätten - immerhin soll dieses Tigranakert (es gibt noch weitere gleichnamige, antike Städte) weit über 2.000 Jahre alt sein. Und selbstverständlich besichtigen wir auch die Ausstellung in den Gebäuden der Festung.

Nun folgt noch ein kurzer Abstecher zum Xaçınçay-Stausee (Xaçınçay su anbarı). Auch hier erwartet uns leider sehr viel Tristesse und Zerstörung: Von den Orten Əlimədətli und Xaçındərbətli an den Ufern des Reservoirs sind nur Ruinen geblieben.

Langsam wird es nun auch Zeit für unsere Rückreise. Unser Auto-Navi hat dafür eine „Wahnsinns-Abkürzung“ parat: Zuerst geht’s über die Staumauer der Talsperre. Dann schlängeln wir uns auf immer schmalerer Piste durch das bergige Wald-und-Wiesen-Gelände. So weit, so gut.

Unmittelbar am Rand des Feldwegs entdecken wir nun aber Halo-Trust-Schildchen, die leider in der Regel auf Minenfelder hindeuten. Ob diese beräumt oder noch gefährlich sind, möchten wir logischerweise nicht testen.

Zudem wird die offenbar kaum noch genutzte Piste plötzlich derart steil und schlecht, dass selbst unser Allrad-Geländefahrzeug nicht mehr weiter kommt. Nach mehreren Anläufen kämpfen wir uns aber doch irgendwie über die Kuppe. Etwas später erreichen wir einen besseren (aber immer noch unbefestigten) Weg und bald auch wieder die Zivilisation in Pirlər (aka Xramort).

Die weitere Fahrt verläuft ohne größere Sensationen: Gegen 15.30 Uhr verlassen wir Nagorny Karabach wieder, und am späten Abend kommen wir im mittlerweile bestens vertrauten „Base Camp“ neben dem Kari-See am Aragats an.

Hinter uns liegt eine sehr interessante und aufschlussreiche Kurzreise - diesmal zu einem eher kleineren Hügel, dafür aber zu einem umso schöneren Denkmal.


pika8x14 sind heute: A. + A.


Zu guter Letzt

Grundsätzlich existieren für die Region zahlreiche verschiedene Ortsbezeichnung auf Aserbaidschanisch, Russisch oder Armenisch bzw. die entsprechenden Transliterationen. In der Regel sind in unserem Text die aserbaidschanischen bzw. international üblichen Ortsbezeichnungen angegeben. Nachfolgend werden einige weitere Namen angegeben - ohne hundertprozentige Gewähr:

Xankəndi bzw. Stepanakert - armenisch: Ստեփանակերտ,
Şuşa - armenisch: Շուշի,
Festung Şuşa - aserbaidschanisch: Şuşa qalası - armenisch: Շուշիի ամրոց ,
Obere Moschee aka Yuxarı Gövhər  Ağa-Moschee - aserbaidschanisch: Yuxarı Gövhər ağa məscidi,
Ghazanchetsots Kathedrale bzw. Kathedrale Christi des Heiligen Retters -
armenisch: Ղազանչեցոց Եկեղեցի / Սուրբ Ամենափրկիչ Ղազանչեցոց մայր տաճար,
Şahbulaq aka Cağazur - armenisch: Ջաղազուր,
Festung Şahbulaq / archäologische Stätte Tigranakert (Artsakh) -
aserbaidschanisch: Şahbulaq qalası, Şahbulaq Qıfılı saray kompleksi -
armenisch: Տիգրանակերտ (Արցախ),
Vankasar, selten auch: Vanqasar - armenisch: Վանքասար,
Xaçınçay-Stausse - aserbaidschanisch: Xaçınçay su anbarı, armenisch: Խաչենի ջրամբար.

Tourengänger: pika8x14


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Kommentare (5)


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Sputnik Pro hat gesagt:
Gesendet am 18. Dezember 2015 um 07:35
Hallo Zusammen,

Ihr überrascht einen ja schon immer wieder! Mit Spannung habe ich den Bericht von Nagorny-Karabach gelesen. Die Fotos sind trotz dem dunstigen Wetter dennoch gelungen. Als ich nach Armenien reiste hatte ich im Vorfeld an die Tourismusbehörden wegen dem höchsten Karabechberg geschrieben. Antwort hatte ich trotz mehrmaliger Anfrage jedoch nie bekommen.

Gerade heute Morgen habe ich gelesen dass sich der aserbaidschanische und armenische Präsident sich bald in der Schweiz treffen um den Konflikt zu enschärfen. Die Zukunft scheint ein wenig offener zu sein, mal schauen ob Karabach wirklich unabhängig wird oder ein Teil davon. Möglich wäre vielleicht auch ein Aufteilen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Auf jeden Fall bleibt es interessant.

Viele Grüsse Andi

pika8x14 hat gesagt: RE:
Gesendet am 18. Dezember 2015 um 20:59
Hallo Andi,

so richtig vorstellen kann man es sich in Anbetracht der Konflikte der letzten Jahrzehnte zwar nicht - aber es wäre wirklich sehr zu wünschen, dass sich die Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan verbessern.

Und vielleicht können wir dann in einigen Jahren gemeinsam auf dem Gamış dağı stehen, zusammen mit Bergsteigern beider Nationalitäten …

Viele Grüße, Andrea und André.

Sputnik Pro hat gesagt: Höchster Berg von Nagorny Karabach
Gesendet am 19. Dezember 2015 um 16:16
Hallo zusammen,

So viel weiss ich nur vom Gipfel: Nach Karte und Fotos (z.B. Wikipedia) muss er von Süden her einfach über Geröll besteigbar sein (T3). Auch könnte man mit einem Allradfahrzeug sehr weit hinauf fahren da auf einem niedrigeren Nachbarberg eine Militärstation ist wohin die Gröllstrasse geht. Nun warten wir ab wie es weiter geht.

Nächstes Jahr versuche ich nach Abchasien zu reisen, den Landeshöhepunkt besteige ich jedoch von der russischen Seite. Erstens ist dies die Normalroute (ZS+ !) und zweitens bin ich nicht angewiesen dass es mit dem abchasischen Visum funktioniert. Abchasien mit einigen Tagen am Meer wäre natürlich eine schöne Zugabe nach der schwierigen Hochtour.

Viele Grüsse,

Andi

pika8x14 hat gesagt: RE:Höchster Berg von Nagorny Karabach
Gesendet am 19. Dezember 2015 um 23:30
Hallo Andi,

wir haben uns im Vorfeld auch über eine Besteigung des Gamış dağı informiert. So wie Du schreibst: Besonders schwierig scheint es nicht zu sein, und der Berg ist über die Piste auch relativ gut zugänglich.

Allerdings braucht man offenbar die Zustimmung des Militärs, und man wird wohl auch von diesem begleitet. Nebenbei ist uns nicht ganz klar geworden, ob man wirklich auf den höchsten Punkt darf. In Anbetracht der Unwägbarkeiten haben wir deshalb (vorerst?) auf die Tour verzichtet.

Viele Grüße, Andrea + André.

ABoehlen hat gesagt: RE:
Gesendet am 20. Dezember 2015 um 20:33
Aktuell sieht es leider nicht danach aus. Das von Andi angesprochene Treffen der Präsidenten von Armenien und Aserbaidschan am Freitag in Bern hat keine Annäherung gebracht:
http://www.swissinfo.ch/ger/praesidenten-von-armenien-und-aserbaidschan-verhandeln-in-bern/41850184

Liebe Grüsse
Adrian


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