"Zwischen Wildnis und Freizeitpark"


Publiziert von silberhorn, 11. Mai 2015 um 11:57. Diese Seite wurde 873 mal angezeigt.

Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen. Erschienen 2015 im Rotpunkt Verlag.

"Die gängigen Zukunftsbilder für die europäische Grossregion Alpen verheissen wenig Gutes. Wie es anders ginge, erklärt Werner Bätzing, einer der renomiertesten Alpenkenner."

Auf der Verlagswebseite kann im schmalen Band geschmöckert werden.

Das Büchlein habe ich noch nicht gelesen. Einige der Themen werden wohl für  etliche Hikrs  alt Bekanntes sein.
Interessant scheint mir wie sich der Autor den sorgsamen Umgang mit den Alpen vorstellt.

Da der direkte Link ein "halber Roman" beinhaltet an dieser Stelle nur jener des Verlags: www.rotpunktverlag.ch



Kommentare (7)


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Alpin_Rise hat gesagt: Link
Gesendet am 11. Mai 2015 um 12:00
Danke silberhorn!

Hier der direkte Link zum Buch auf der Verlagsseite.

G, Rise

kopfsalat hat gesagt:
Gesendet am 11. Mai 2015 um 12:01
hier noch der direktlink

silberhorn hat gesagt:
Gesendet am 11. Mai 2015 um 12:17
Komisch, meine Adressleiste war total ausgefüllt. Vielleicht weil ich auf der Verlagsseite in der Suche zuerst den Namen des Autors eingab. Wie dem auch sei: Danke für die Links.

roger_h hat gesagt: Interview mit Werner Bätzig
Gesendet am 11. Mai 2015 um 12:19
"Die Alpen werden zu billig verkauft"

Werner Bätzing ist der bekannteste Alpenforscher.
Ein Gespräch über Dirndlabende, Spektakeltourismus und gigantische Luxusprojekte

INTERVIEW: MATTHIAS DAUM UND FLORIAN GASSER

DIE ZEIT: Herr Bätzing, sind Sie ein Sisyphos?

Werner Bätzing: Wieso?

ZEIT: Vor 30 Jahren erschien Ihr Standardwerk Die Alpen. Schon damals kritisierten Sie, dass die Bergwelt zu einer großen Kirmes verkommt. Sind Sie gescheitert?

Bätzing: Im Gegenteil. Viele Menschen beziehen sich auf meine Arbeit und erkennen, dass sich Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung nicht gegenseitig ausschließen – wovon man vor 30 Jahren noch vollständig überzeugt war. Aber als Einzelner kann man natürlich nicht eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung aufhalten.

ZEIT: Hat sich die Situation in den Alpen in den vergangenen 30 Jahren also verbessert?

Bätzing: Nein, sie hat sich signifikant verschlechtert. Früher standen die Alpen im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit – sei es als Freizeitregion, sei es als Transitregion, sei es mit ihren Umweltproblemen. Heute gelten die Alpen als Peripherie. Die Goldgräberzeit im alpinen Tourismus ist längst zu Ende, und die Berglandwirtschaft geht permanent weiter zurück.

ZEIT: Mit welchen Folgen?

Bätzing: Auf der einen Seite ist die Verstädterung der Tallagen und der Tourismuszentren massiv vorangeschritten. Andererseits hat die Entsiedelung sehr stark zugenommen. Der positivste Punkt ist die veränderte kulturelle Identität: Als ich Ende der siebziger Jahre begann, mich mit den Alpen zu beschäftigen, galten die regionalen Sprachen und Dialekte als etwas Minderwertiges. Heute sind die Leute wieder stolz darauf, dass sie ihre alten Sprachen sprechen.

ZEIT: Es gibt Täler, im Tiroler Außerfern zum Beispiel das Bschlabertal, da leben keine hundert Menschen mehr. Und trotzdem werden viele Millionen Euro für Straßen oder Lawinenschutz aufgewendet. Wie kann man das rechtfertigen?

Bätzing: Das ist die klassische neoliberale Argumentation: Jeder Euro oder jeder Franken, der irgendwo investiert wird, muss möglichst vielen Leuten zugutekommen. Wenn man so argumentiert, muss man die Berggebiete sofort aufgeben. Der Staat trägt aber für sein gesamtes Territorium die Verantwortung. Wenn er sich nur noch auf seine Metropolen konzentriert, wird alles der maximalen Effizienz untergeordnet, und das Leben ist nicht mehr lebenswert.

ZEIT: Noch mal zurück zu unserer Frage. Ein überaltertes Dorf, wo niemand mehr leben möchte, wo Akademiker keine Arbeit finden: Wann ist der Punkt erreicht, an dem man diesen Ort nicht mehr durchfüttern kann?

Bätzing: Es gibt keinen festen Schwellenwert. Das große Problem ist, dass gut ausgebildete Menschen oft einen städtischen Lebensstil haben und sich auf dem Land nicht wohlfühlen. Wenn man dezentrale Arbeitsplätze fördern möchte, gibt es eher kulturelle Hemmnisse als ökonomische oder technische. Wer macht zum Beispiel die Tourismuswerbung für Gastein im österreichischen Pongau? Keine Firma aus dem Tal selber oder aus den Alpen, sondern eine Firma aus Wien. Es gibt Untersuchungen für Graubünden, die zeigen, dass Menschen nach Zürich fahren, weil sie denken, der Rechtsanwalt dort sei besser ausgebildet als jener in Chur. Das sind mentale Blockaden.

ZEIT: Wie wollen Sie diese mentalen Blockaden lösen?

Bätzing: Über kulturelle Innovation, über kulturelle Identität. Die Leute sollen gerne vor Ort leben.

ZEIT: Wie weit sind wir da von einer rechtsnationalen Blut-und-Boden-Ideologie entfernt?

Bätzing: Sehr weit, da bin ich sehr empfindlich! Der Alpenraum kann nicht allein von seinen endogenen Potenzialen, von seinen eigenen Ressourcen leben. Er braucht das restliche Europa. 1870 lebten 7,5 Millionen Menschen in den Alpen. Heute, wo die Hälfte der Fläche verwaldet und verbuscht ist, könnten da maximal 2,5 Millionen leben, wir haben aber 15 Millionen – und die Überzähligen kann man ja nicht einfach rausschmeißen.

ZEIT: Die Menschen in den Alpen mussten seit je Mittel und Wege finden, um ein Auskommen zu haben, und sich dabei immer wieder neu erfinden. Hat man das inzwischen verlernt?

Bätzing: Ja. Das heutige Denken zielt immer stärker darauf, Standardlösungen zu suchen, die weltweit immer und überall anwendbar sind. Da sind die Alpen der Störfall. Dort erfährt der Mensch, dass er, anders als in den Städten, die Natur technisch nie im Griff hat.

ZEIT: Ist es also eine gute Idee, wenn zum Beispiel Remo Stoffel in Vals einen 380 Meter hohen Wolkenkratzer bauen will oder Samih Sawiris Touristen aus aller Welt nach Andermatt locken möchte oder wenn in Lech am Arlberg ein Investor ein Anwesen baut, in dem man für 275.000 Euro die Woche übernachten kann?

Bätzing: Der Turmbau von Vals ist grauenvoll. Das sind die üblichen globalisierten Ideen. Auf diese Weise kommt der Alpenraum unter die Räder – oder er verstädtert total.

ZEIT: Die Bauherren in Vals argumentieren: Wir in den Alpen verkaufen uns zu billig, wir müssen endlich wieder einen guten Preis für unsere Dienstleistungen kriegen.

Bätzing: Das Argument ist richtig, die Konsequenz ist falsch. Die Alpen werden zu billig verkauft. Es besteht die Gefahr, dass der Alpentourismus zum Ramschtourismus wird. Alles Schnäppchen. Aber der Valser Turm ist keine Alternative, das ist ein städtisches Angebot. Er könnte überall stehen. Nicht umsonst fällt im Zusammenhang mit Vals das Stichwort Dubai. Langfristig muss der Alpenraum auf seine Besonderheiten setzen.

ZEIT: Jetzt gibt es auch unter Naturschützern Stimmen, die sagen: Lasst uns das Spektakel auf ein paar Orte konzentrieren, damit die Natur anderswo Ruhe hat.

Bätzing: Diese Stimmen gab es schon in den siebziger Jahren. Ich hielt die immer für falsch. Auch in den touristischen Zentren muss der Tourismus umgebaut werden. Wenn er sich noch mehr von der alpinen Realität entfernt, wenn Touristen-Ghettos entstehen, ohne Bezug zur Natur und Kultur, dann sind das Fremdkörper, die sich immer mehr abschotten. Das ist weder für die Gäste noch für die Bewohner der Alpen attraktiv.

ZEIT: Aber manche Bergbahnen sind wahre Gelddruckmaschinen. Und deren Betreibern wollen Sie zurufen: Setzt auf regionalen Käse und sanften Wandertourismus? Die lachen Sie doch aus.

Bätzing: Es braucht heute zwei Strategien, eine für die Tourismuszentren und eine für die Gebiete mit wenig oder gar keinem Tourismus. Für Zentren wie Sölden oder Laax bräuchte es unbedingt eine Deckelung des weiteren Ausbaus. Nur wenn der Wettbewerb nicht noch brutaler wird, kann man anfangen, wieder mehr Bezug zur regionalen Wirtschaft zu schaffen und die touristische Selbstzerstörung zu reduzieren.

ZEIT: Sie haben einmal gesagt: "Die Alpen sind unbequem; wenn man meint, man könnte sie anders genießen, dann geht es nicht." Da würden Ihnen Millionen Touristen widersprechen.

Bätzing: Viele Menschen meinen, wenn sie etwas kaufen, können sie damit ihr Erlebnis steigern. Das halte ich für sehr problematisch. Die Leute verlernen, selbst etwas zu erleben. Das sehen wir beim Sommertourismus mit all seinen Hängebrücken oder Aussichtsplattformen. Die Leute sagen einmal "Wow!" – und im nächsten Jahr ist es ihnen schon langweilig, und etwas noch Spektakuläreres muss her.

ZEIT: Ein Tourismusmanager würde sagen, wenn wir das Spektakel nicht bieten, fliegen die Leute für dasselbe Geld ans Rote Meer.

Bätzing: So werden die Alpen austauschbar. Das ist meine große Sorge: Der Alpentourismus bietet, was alle Ferienclubs bieten. Sein Alleinstellungsmerkmal aber ist die Besonderheit von Natur und Kultur. Das Naturerlebnis in den Alpen ist einzigartig in Europa. Und diese Tradition und Geschichte – das ist äußerst spannend.

ZEIT: Dann gefallen Ihnen also Lederhosen- und Dirndlabende?

Bätzing: Nein, das ist die postmoderne Verklärung einer falschen Vergangenheit. Das ist Kitsch.

ZEIT: Sie haben ursprünglich Theologie und Philosophie studiert. Wie sind Sie eigentlich auf die Alpen gekommen?

Bätzing: Ich habe Theologie studiert, bin dann aber aus der Kirche ausgetreten und habe eine Buchhändlerlehre gemacht. Die Beziehung Mensch – Natur hat mich schon immer interessiert. Ich habe bei einem Schüler von Heidegger Philosophie studiert und früh dessen Technik-Kritik kennengelernt. Die akademische Behandlung dieser Themen bot mir aber keinen Boden unter den Füßen. Als ich in Berlin lebte, in dieser hektischen Großstadt, kamen die Bilder der Alpen wieder in mir hoch, die ich als Jugendlicher in Gsteig im Berner Oberland erlebt habe. Da wurde mir klar: Ich muss in die Alpen.

ZEIT: Das klingt ein bisschen wie die Indien-Touristen, die versuchen, mit dem Lonely Planet im Rucksack die letzten unberührten Regionen der Welt zu finden. Ist das nicht allzu sozialromantisch?

Bätzing: Nein. Es ging mir nicht um archaische Regionen, sondern darum, eine andere Umgehensweise mit Natur zu erfahren. Und ich bin dann im Piemont auf Menschen getroffen, die noch traditionell gelebt haben.

ZEIT: Ist Tradition automatisch gut? Kann ja sein, dass man 200 Jahre lang etwas falsch gemacht hat.

Bätzing: Natürlich. Es war den Menschen im Piemont aber gelungen, diese schwierige, bedrohliche Umgebung tiefgreifend zu verändern, ohne sie zu zerstören.

ZEIT: In Ihrer eben erschienenen Streitschrift Zwischen Wildnis und Freizeitpark entwickeln Sie eine Vision, wie man in Zukunft in den Alpen wirtschaften könnte. Sie setzen dabei vor allem auf regionale Produkte. Reicht dieses Klein-Klein, um den Wohlstand in den Bergen zu erhalten?

Bätzing: Ich halte es überhaupt nicht für klein, wenn man voll auf regionale Produkte setzt. Das ist eine große Idee, die gleichwertig zum globalen Wirtschaften steht.

ZEIT: Aber die Bergler argumentieren: Ihr im Unterland habt uns nicht zu sagen, was wir zu tun haben. Wir haben Anrecht auf denselben Wohlstand wie ihr.

Bätzing: Das ist das, was ich in meiner Streitschrift als Nachholmoderne beschreibe. Die Bergler wollen das Gleiche wie die Flachländer. Das geht aber nicht – dabei verstädtern die Alpen bestenfalls, oder sie werden menschenleer.

ZEIT: Herr Bätzing, wenn man Ihre Bücher liest und Ihnen so zuhört, wird man den Eindruck nicht los: Dieser Mann will die Revolution.

Bätzing: Ja, ich will die Revolution! Weil ich der Meinung bin, dass unser jetziges Lebens- und Wirtschaftsmodell zur Selbstzerstörung führt. In meiner Streitschrift beziehe ich mich auch auf Karl Marx, wenn ich beschreibe, wie die Menschen heute durch ihr Wirtschaften die Quelle ihres Reichtums unterminieren. Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Hingegen haben wir im Alpenraum ein Beispiel, wie Menschen über Jahrhunderte in einer schwierigen Umgebung leben konnten, ohne sie zu zerstören. Wir können die alte Gesellschaft nicht wiederbeleben, das geht nicht. Aber es stecken Erfahrungen in ihr, die wir mit dem Heute verbinden können, damit eine neue Dauerhaftigkeit entstehen kann.

ZEIT: Wie müssen wir uns den Revolutionär Bätzing vorstellen, mit der Heugabel auf den Barrikaden?

Bätzing: Wieso nicht. (lacht) Aber Barrikaden gehören eigentlich ins 19. Jahrhundert.

kopfsalat hat gesagt:
Gesendet am 11. Mai 2015 um 14:31
Wer sich "vergnüglich" in das Thema einarbeiten will, dem empfehle ich Teil 4 der Piefke-Saga! Gibts auf DVD.

Thuner2009 hat gesagt: RE:
Gesendet am 11. Mai 2015 um 19:59
Kleine Ergänzung: alle Teile ansehen, sie lohnen sich alle!

Gherard hat gesagt:
Gesendet am 11. Mai 2015 um 19:51
Danke für den Hinweis auf das Buch und auch auf das Interview!

Auf dem Münchner DOK.fest läuft derzeit "Andermatt - Global Village" ein Dokumentarfilm (Andermatt wird im Interview erwähnt). Als wärs ein Stück von Dürrenmatt - einfach schaurig.



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